August 2022 in Wien. Ein Erwachsener (knapp über 21, daher kein begünstigter junger Erwachsener mehr) und ein 16-Jähriger, beide autochthone Österreicher, haben einen Disput per Telefon. Die beiden legen auf, und etwa eine halbe Stunde nach dem Ende des Streitgesprächs taucht der Erwachsene am Aufenthaltsort des 16-Jährigen auf, rennt auf ihn los und versetzt ihm ohne Vorwarnung einen Kopfstoß frontal auf die Nase.

Wuchtige Faustschläge in die Verletzung hinein

Der 16-Jährige stürzt und kommt auf dem Rücken zu liegen. Er spürt sofort den heftigen Schmerz. Sogleich kommt ihm der Gedanke, dass seine Nase gebrochen ist. Dann beugt sich der Täter über den bereits stark Blutenden, kniet auf ihm, fixiert ihn am Boden und versetzt ihm noch mehrere wuchtige Faustschläge in das bereits verletzte Gesicht. Bis ihn Zeugen vom Opfer wegzerren. Dann verlässt er die Örtlichkeit. Nicht ohne dem Opfer noch zweimal ins Gesicht zu spucken.

Röntgen, Nasenbeinbruch
Dem 16-Jährigen bleibt eine Behinderung der Nasenatmung. In zwei Jahren ist zumindest eine Folgeoperation notwendig.
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Der 16-jährige Jugendliche erleidet einen dislozierten Bruch sowohl des Nasenbeins als auch des Nasenseptums (der Nasenscheidewand), wird stationär im Krankenhaus aufgenommen und operiert (rekonstruktive Septumplastik und Nasenbein-Reposition in Narkose). Trotz der Operation verbleibt ihm eine Behinderung der Nasenatmung. Laut ärztlichem Befund wird ab dem 18. Geburtstag zumindest eine Folgeoperation notwendig werden.

Folgeoperation wahrscheinlich

Die Staatsanwaltschaft Wien erhebt Anklage wegen schwerer Körperverletzung (§ 84 Abs. 4 StGB: Strafrahmen sechs Monate bis fünf Jahre), nicht aber wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung (§ 87 Abs. 1 StGB: Strafrahmen ein bis zehn Jahre).

In der Hauptverhandlung im August 2023 gesteht der Täter den Kopfstoß zu, an die Faustschläge gegen den auf dem Boden liegenden stark blutenden Verletzten könne er sich aber nicht erinnern. Auf die Frage des Richters, ob alle sechs Zeugen, die das berichteten, lügen würden:

Täter: "Kann schon sein, ja."
Richter: "Warum?"
Täter: "Nach dem Vorfall kam ein Junge zu mir, ich weiß nicht mehr, wer das war, der meinte, dass er Geld von seinem Vater bekommen hat, damit er etwas anderes erzählt."
Richter: "Wer war das?"
Täter: "Weiß ich nicht."

"Rangelei unter Jugendlichen"

Der Richter sieht bloß eine "Rangelei unter Jugendlichen" und bietet dem Angeklagten eine sogenannte diversionelle Erledigung an, also eine Alternative zu einer Verurteilung. Und zwar eine Einstellung des Strafverfahrens auf eine Probezeit von zwei Jahren. Eine andere Form der Diversion, wie eine Geldbuße (ohne Vorstrafe) oder gemeinnützige Arbeit, hält der Richter ebenso wenig für angebracht wie eine Verurteilung zu einer Geld- oder (auch nur bedingten) Freiheitsstrafe.

Lediglich 3.000 Euro (von begehrten 10.000 Euro) Schadenersatz an das Opfer trägt er dem Angeklagten auf – exakt den Betrag, den der Angeklagte anerkannt hat. In 24 monatlichen Raten, mit dem Hinweis, dass er sich zumindest bemühen müsse, den Betrag zu bezahlen. Wenn er es nicht ganz schaffe, werde es auch nichts machen. Zinsen aus dem Schadenbetrag spricht der Richter nicht zu. Auch den Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens erlässt er ihm.

"Reumütig geständig"

In der schriftlichen Ausfertigung des Einstellungsbeschlusses heißt es, dass dem Angeklagten Absichtlichkeit – also dass es ihm darauf angekommen sei, das Opfer schwer zu verletzen – nicht unterstellt werden könne, weil der Zufügung der schweren Verletzung "ein ziemlich banaler Streit unter jungen Menschen vorangegangen" sei.

Der Angeklagte habe sich reumütig geständig verantwortet und sei bereit gewesen, die Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen und Schadenersatz zu leisten. Seine Schuld sei nicht schwer. Die Einstellung auf zwei Jahre Probezeit sei "viel besser geeignet, ihn von der Begehung weiterer derartiger strafbarer Handlungen in Zukunft abzuhalten, als die Verhängung einer Geld- oder Freiheitsstrafe im untersten Rahmen".

Die Staatsanwaltschaft erhob gegen die Einstellung keine Beschwerde. Das Opfer hat kein Recht, gegen die Einstellung Beschwerde zu erheben. (Helmut Graupner, 7.11.2023)