Amazon-Gründer und CEO Jeff Bezos spricht während einer Keynote zum Publikum
Wie aus einem Rechtstreit der FTC mit Amazon herauszulesen ist, dürfte Kundenorientierung nicht immer im Fokus des Onlinehändlers stehen.
APA/AFP/MARK RALSTON

Haben Sie sich als Amazon-Kunde schon einmal gefragt, warum Sie die Suche des Onlinehändlers selten direkt zum Ziel geführt hat? Jüngste Enthüllungen aus einer Kartellklage der US-Handelsbehörde FTC haben nun Vorwürfe ans Licht gebracht, die den kundenorientierten Ruf, den Amazon und sein Gründer Jeff Bezos seit langem pflegen, ein wenig trüben könnten.

Die ungeschwärzten Teile der Klagsschrift, die am Donnerstag bekannt wurden, werfen Bezos eine Verkaufsstrategie vor, die Werbeeinnahmen gegenüber der Genauigkeit von Amazons Suchergebnissen bevorzugt. Laut FTC wies Bezos die Amazon-Manager ausdrücklich an, eine Zunahme weniger relevanter Suchergebnisse – intern als "Defekte" bezeichnet – zuzulassen, da diese lukrative Werbeeinnahmen generierten. Die gleichzeitige Verschlechterung des Service für die Amazon-Kunden sei mit dieser Anweisung bewusst in Kauf genommen worden.

Wie die "Washington Post" berichtet, die ironischerweise auch Jeff Bezos gehört, geht aus den juristischen Dokumenten der FTC hervor, dass die Flut irrelevanter und irreführender Werbung es extrem schwierig gemacht habe, die Verbraucher mit qualitativ hochwertigen Suchergebnissen zu erreichen. Amazon hat seinerseits in einer Stellungnahme darauf reagiert und erklärt, dass die Behauptungen in der Klage eine grobe Falschdarstellung seien und nicht die tatsächlichen Praktiken von Amazon widerspiegelten, die sich – wenig überraschend – natürlich auf die Verbesserung der Kundenerfahrung konzentrieren.

Die Behauptung, Amazon habe das Kundenerlebnis dem Profit geopfert, steht in krassem Gegensatz zu Bezos' weithin anerkannter Kundenorientierung. Die FTC argumentiert jedoch, dass die Unternehmensführung eine profitable Möglichkeit darin sah, die Zahl der Anzeigen auf Kosten der Qualität der Suchergebnisse zu erhöhen.

Eine Milliarde Dollar mehr dank "Project Nessie“

Ursprünglich waren viele Details der FTC-Klage durch Schwärzungen unkenntlich gemacht worden, aber nach anhaltenden juristischen Bemühungen sind nun mehr dieser Vorwürfe der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Zu den bekannt gewordenen Details gehört auch die Erwähnung von "Project Nessie", einem Algorithmus, den Amazon laut FTC verwendet haben soll, um Produkte zu identifizieren, deren Preis erhöht werden könnte in der Erwartung, dass die Wettbewerber dasselbe tun würden, was laut FTC zu einem "zusätzlichen Gewinn von einer Milliarde Dollar" für Amazon geführt haben soll.

Amazon hat diese Darstellung ebenfalls zurückgewiesen und behauptet, der Algorithmus sei eingestellt worden, nachdem er nicht in der Lage gewesen sei, unhaltbare Preissenkungen zu verhindern, und er sei nur für eine begrenzte Anzahl von Produkten verwendet worden. Die FTC warnt jedoch davor, dass Amazon grundsätzlich nicht daran gehindert sei, "Project Nessie" wiederzubeleben oder auszuweiten.

Strenge Standards für den Marktplatz

Doch damit nicht genug. Darüber hinaus wirft die Klage Amazon vor, seinen Marktplatz zu manipulieren, um den Wettbewerb einzuschränken, indem es den Verkäufern strenge Standards auferlegt und sie davon abhält, alternative Versand- und Logistikmethoden zu nutzen, selbst wenn diese genauso effizient sind wie die von Amazon angebotenen.

Die zitierten Daten aus dem Jahr 2018 zeigen, dass Verkäufer die Zielvorgaben für die Liefergeschwindigkeit in 95 Prozent der Fälle ohne Amazons Eingreifen erfüllten, was bei Amazon zu Bedenken führte, dass eine unabhängige Logistik Konkurrenten ermutigen könnte, ebenso schnelle Versanddienste anzubieten.

Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits sind weitere Enthüllungen nicht auszuschließen, die die öffentliche Wahrnehmung und den regulatorischen Ansatz gegenüber Amazon und ähnlichen Technologiegiganten durchaus verändern könnten. (bbr, 3.11.2023)