Supermarkt.
Mitarbeiterin im Supermarkt.
APA/GEORG HOCHMUTH

Wien – Nach einem Jahr der Extreme sinken bei manchen Lebensmitteln die Preise langsam wieder – oder der Preisanstieg ist zumindest nicht mehr ganz so hoch, wie in den Monaten davor. Im September gab es einen Anstieg von 8,4 Prozent - ein Beitrag von 0,95 Prozentpunkten zur gesamten Inflation, im August waren Lebensmittel um 9,8 Prozent teurer als noch vor einem Jahr. Erstmals seit mehr als einem Jahr ist die Teuerung in diesem Bereich unter die Zehn-Prozent-Marke gesunken. Der Preisauftrieb ist alles in allem also zumindest gebremst.

Die hohe Inflation hat dafür gesorgt, dass sich alle Augen auf einen komplizierten Markt gerichtet haben. Die Verbraucher wurden mit Fragen konfrontiert, mit denen sie sich selten beschäftigen. Gibt es ausreichend Wettbewerb trotz hoher Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel? Verdienen sich Unternehmen ein Körberlgeld? Wer gewinnt in der vielgliedrigen Wertschöpfungskette? Der Handel, die Produzenten? Die Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) hat in einer großen Branchenuntersuchung seit Oktober 2022 nach Antworten gesucht. Nun liegen die Ergebnisse vor. Eines der Kernergebnisse vorweg: Der Vorwurf der "Gierflation" ließ sich nicht erhärten, erklärt BWB-Chefin Natalie Harsdorf-Borsch am Freitag bei der Präsentation der 269-seitigen Branchenuntersuchung in Wien.

Video: BWB: Gewinnmargen von Supermärkten "nicht systematisch" gestiegen.
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Gierflation nicht nachgewiesen

Die stark gestiegenen Lebensmittelpreise hätten trotz besonders hoher Konzentration im Handel nicht zu einem merkbaren Gewinnmargen-Plus bei Supermarktketten geführt. Die Handelsspannen seien vom zweiten Halbjahr 2022 bis zum zweiten Halbjahr 2023 "nicht systematisch" gestiegen. "Insgesamt fanden sich keine Hinweise, dass unter dem Deckmantel der Inflation versucht worden wäre, im Untersuchungszeitraum die Handelsspannen und Margen zu steigern", sagt Harsdorf-Borsch.

Auch in der Landwirtschaft und bei Lebensmittelherstellern orten die Wettbewerbshüter im langjährigen Vergleich keinen auffälligen Anstieg der Gewinnmargen. "Die Analyse zeigt aber mehrere Schwachstellen im Hinblick auf die Wettbewerbssituation", sagte Harsdorf-Borsch. Die Leidtragenden seien allerdings die Lieferanten. Diese berichteten von zahlreichen unlauteren Handelspraktiken - etwa von einseitigen Vertragsänderungen, davon, dass sie für unverschuldete Qualitätsverluste gerade stehen mussten.

Die Anzahl der eingemeldeten unfairen Praktiken gegenüber Lieferanten sei "sehr beunruhigend". Die Wettbewerbsbehörde will deswegen in diesem Bereich genauer hinschauen. Laut der BWB-Leiterin hat die Behörde bereits Ermittlungen gegen Supermarktketten wegen Verstößen gegen das Faire-Wettbewerbsbedingungen-Gesetz aufgenommen. Noch heuer soll es erste Anträge beim Kartellgericht geben. Gegen welche Händler konkret ermittelt wird, wollte Harsdorf-Borsch nicht kommentieren. "Das kann ich zu dem Zeitpunkt nicht beantworten."

"Österreich-Preisaufschlag"

Was den viel diskutierten Österreich-Preisaufschlag betrifft - Österreicher zahlen für ihre Lebensmittel um einiges mehr als die deutschen Nachbarn - so kommt die Wettbewerbsbehörde zum Schluss, dass sich die hohe Marktkonzentration im österreichischen Lebensmitteleinzelhandel nicht "kausal" auf die Preisanstiege auswirkte. Spar, Rewe (unter anderem Billa, Penny), Hofer und Lidl haben zusammen einen Marktanteil von 91 Prozent. Seit 2019 sind aber laut BWB mehr als 200 Nahversorger aus dem Markt ausgetreten, und die großen Supermarktketten haben ihr Filialnetz weiter ausgebaut. Vielmehr gebe es in der Lebensmittelindustrie – besonders bei internationalen Konzernen – den Anreiz, für gleiche Produkte entsprechend ihren Länderstrategien teilweise unterschiedliche Preise zu verrechnen. "Diese Strategien können ein wesentlicher Faktor für unterschiedliche Lebensmittelpreise und damit höhere Preise in Österreich sein", heißt es in der Branchenuntersuchung. Harsdorf-Borsch will diese Thematik nun rasch bei der Europäischen Kommission deponieren, weil die Behörde nur für Österreich zuständig ist.

Empfehlungen für den Lebensmittelmarkt

Was soll nun geschehen? Die BWB hat einige Empfehlungen, um den Wettbewerb im Lebensmittelmarkt anzukurbeln: Die Vorschläge reichen von Maßnahmen zur Erhöhung der Preistransparenz (siehe dazu: Lebensmittelhändler sollen Preise an Vergleichsplattformen melden) über eine Stärkung des EU-Binnenmarkts, eine Verbesserung der Transparenz bei Lebensmitteln, eine Stärkung des Verbraucherschutzes und keine Irreführung bei Preisnachlässen bis zur Rechtssicherheit für Lieferanten durch Schriftform.

Handesverbands-Geschäftsführer Rainer Will anlässlich des Lebensmittelgipfels im Sozialministerium im Mai diesen Jahres.
Der Handel fühlte sich zu unrecht an den Pranger gestellt - jetzt sieht er sich bestätigt.
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Für ihre eigene Behörde wünscht sich Harsdorf-Borsch eine bessere gesetzliche Grundlage zur Durchsetzung wettbewerbsrechtlicher Maßnahmen aufgrund von Branchenuntersuchungen. Der Handeslverband fordert nun eine Entschuldigung von der Politik. Man sei zu Unrecht "zum Sündenbock für die Inflation bei Lebensmitteln gestempelt worden". Für den freiheitlichen Konsumentenschutzsprecher Peter Wurm ist das Ergebnis der Branchenuntersuchung hingegen verblüffend. "Grundnahrungsmittel sind in Österreich so teuer wie nirgendwo und 'dank' der schwarz-grünen Bundesregierung mit ihrer verfehlten Inflationsbekämpfung für viele Menschen nicht mehr leistbar. Das Ergebnis der BWB: Keiner wars", so Wurm. AK Präsidentin Renate Anderl ortet nun dringenden Handlungsbedarf beim Thema Preisrecht. Das Preisgesetz müsse zu einem "schnellen Eingriffsinstrument bei starken Preiserhöhungen werden", so Anderl. "Wenn Unternehmen die Preise für lebensnotwendige Güter massiv anheben, müssen sie nachweisen, dass dies gerechtfertigt ist. Sonst muss der zuständige Minister eingreifen und angemessene Preise festsetzen." Zudem müsse das Wettbewerbs- und Kartellrecht gestärkt werden. (rebu 3.11.2023)