In drei der neun Bundesländer stehen soziale Berufe bereits auf der Mangelberufsliste. Das bedeutet, dass pro offener Stelle weniger als 1,5 Arbeitssuchende zur Verfügung stehen. Aktuell ist das zwar nur in Oberösterreich, Vorarlberg und Salzburg der Fall, Fachkräfte fehlen aber bundesweit.

Die stellvertretende Studiengangsleiterin der Sozialen Arbeit an der FH St. Pölten, Ulrike Rautner-Reiter, erklärt die Situation folgendermaßen: "Seit der Pandemie ist der Bedarf an gewissen Dienstleistungen der sozialen Arbeit gestiegen. Beispielsweise im Gewaltschutz, in der materiellen Grundsicherung oder in der Schuldnerberatung." Und auch im Sozialwesen geht ein gewisser Anteil des Personals in den kommenden Jahren in Pension. Das verschärft den Fachkräftemangel der Branche zusätzlich, sagt Rautner-Reiter.

Jugendlicher spricht mit Sozialarbeiter über mentale Gesundheit
Dringenden Handlungsbedarf gebe es vor allem beim Thema mentale Gesundheit für Kinder und Jugendliche.
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Dringender Handlungsbedarf

Dringenden Handlungsbedarf sieht die Geschäftsführerin von SOS-Kinderdorf, Annemarie Schlack, vor allem beim Thema mentale Gesundheit für Kinder und Jugendliche. Nach wie vor gebe es zum Beispiel an Schulen zu wenig Fachpersonal, das im Schulalltag unterstütze.

Auch Wolfgang Kramer, stellvertretender Geschäftsführer der Wiener Suchthilfe Dialog, betont die schwerwiegenden gesellschaftlichen Auswirkungen des Fachkräftemangels im Sozialwesen: "Um die Folgen der Pandemie zu bewältigen, ist die soziale Arbeit gefordert." Sei es bei der pathologischen Internetnutzung oder bei der Suchthilfe – immer wenn die soziale Situation instabil sei, könne mit sozialer Arbeit dagegengehalten werden, so Kramer. "Hier zu sparen ist der falsche Platz", ist er überzeugt.

Apropos Geld: Ähnlich wie in vielen anderen sozialen Berufen sorgen die Gehälter von Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern immer wieder für Debatten. Angesichts der Rekordteuerung und des Personalmangels fordern die Gewerkschaften GPA und Vida für die Sozialwirtschaft aktuell 15 Prozent mehr Lohn. Der Arbeitgeberverband bietet hingegen ein Plus von 8,8 Prozent und bezeichnet die Forderung der Beschäftigten als "sicher nicht realisierbar". Mitte November geht es in mit verhärteten Fronten in die nächste Verhandlungsrunde.

Großer Andrang

Trotz der hohen Belastung – physisch wie emotional – und der vergleichsweise niedrigen Bezahlung ist das Interesse an der Berufssparte groß. Der Rektor und akademische Leiter der FH Campus Wien, Heimo Sandtner, berichtet: "Studiengänge wie Soziale Arbeit, Physiotherapie, Diätologie oder Ergotherapie, um nur einige zu nennen, sind konstant stark nachgefragt. Das sind ‚Klassiker‘, schon seit Jahren."

Auch Rautner-Reiter von der FH St. Pölten berichtet von einer besonders großen Nachfrage bei der sozialen Arbeit sowie im Gesundheitsbereich. Nur rund ein Viertel der Bewerbenden für den Bachelorstudiengang Soziale Arbeit konnten heuer aufgrund der Studienplatzkapazitäten aufgenommen werden. Im Herbst begannen rund 100 Personen das Bachelorstudium. An Interessentinnen und Interessenten mangelt es also nicht, die Fachkräfte fehlen aber trotzdem. Die Entscheidung, mehr Geld für mehr Studienplätzen bereitzustellen, liege allerdings bei der Politik – genauer gesagt beim Bund, erklärt Rautner-Reiter.

Um die Lücke zwischen Ausbildungsplätzen und Arbeitskräften zu schließen, wäre es hilfreich, genaue Daten und Zahlen über den Berufsstand zu haben. Der Österreichische Berufsverband der Sozialen Arbeit (OBDS) stellte für das Studienjahr 2022/23 in Österreich fest, dass es 19 öffentlich finanzierte Fachhochschulstudiengänge mit insgesamt 2650 Ausbildungsplätzen gibt.

Wie viele Personen aber tatsächlich danach als Sozialarbeiterinnen oder Sozialpädagogen arbeiten, ist nicht bekannt. Auch nicht, welche Ausbildungen die Personen haben, die diesen Berufen bereits nachgehen. Eine Schätzung des OBDS geht von rund 43.000 Absolventinnen und Absolventen zwischen 1990 und 2021 in Österreich aus, die eine einschlägige Ausbildung in der sozialen Arbeit gemacht haben.

Fehlendes Berufsgesetz

Ein Grund dafür, wieso es so schwer ist, Daten über den Berufsstand zu sammeln, ist das fehlende Berufsgesetz. Momentan kann sich jede Person als Sozialarbeiterin oder Sozialarbeiter bezeichnen, egal mit welchem Ausbildungshintergrund. In einem Berufsgesetz könnten beispielsweise Ausbildungsstandards geregelt werden – derzeit gibt es österreichweit kein einheitliches Curriculum an den Fachhochschulen. Außerdem könnten auch Fort- und Weiterbildungen darin festgeschrieben werden.

"Die interne Differenzierung im Feld der sozialen Arbeit und die föderalistische Struktur Österreichs hat in den letzten Jahrzehnten eine rasche Umsetzung behindert", heißt es vom OBDS. Seit 1997 setzt er sich bereits für ein solches Gesetz ein. Die einzigen Länder der EU, die keinerlei entsprechende gesetzliche Regelungen verabschiedet haben, sind laut der International Federation of Social Workers (IFSW) Österreich und Bulgarien.

Aber Veränderungen kündigen sich an: Im Regierungsprogramm ist festgehalten, dass ein Berufsgesetz erarbeitet werden soll. Eine solche Maßnahme zeichnet sich momentan zwar nicht ab, dafür aber ein sogenannter Bezeichnungsschutz. Damit dürften sich dann nur Personen mit einem bestimmten Ausbildungshintergrund Sozialarbeiterinnen nennen. "Ein Bezeichnungsschutz ist ein erster wichtiger und notwendiger Schritt für alle weiterführenden legistischen Regelungen und für ein umfassendes Berufsgesetz für soziale Arbeit", sagt Gerlinde Blemenschitz-Kramer, Geschäftsführerin des OBDS. Offiziell verabschiedet wurde der Bezeichnungsschutz allerdings noch nicht.

Viele offene Stellen

Und wie steht es um die Jobperspektiven? "Es sind schon deutlich mehr Stellen ausgeschrieben als noch vor ein paar Jahren", erzählt der Sozialarbeiter Elias M. Der 30-Jährige, der eigentlich anders heißt, hat sein Studium vor vier Jahren abgeschlossen und sieht sich gerade nach einem neuen Job um.

In Stellenanzeigen beobachte er immer wieder, wie versucht werde, die Löhne zu drücken. Das Gehalt zu verhandeln sei meist keine Option: "Die mogeln sich dann irgendwie durch und sagen, sie zahlen tätigkeits- und nicht ausbildungsbezogen", erzählt er. Ein Berufsgesetz ist deshalb seiner Meinung nach nicht nur für die Anzahl der Ausbildungsplätze, sondern auch für die Gehälter von Vorteil. Denn die Verantwortung, die man trage, spiegle sich bislang nicht in der Bezahlung wider. Was ihn und viele andere dennoch motiviert: "Dafür habe ich einen Job, hinter dem ich voll und ganz stehen kann." (Anika Dang, Natascha Ickert, 8.11.2023)