Daniel Shams, Sprecher von Friday for Future Austria, beim weltweiten Klimastreik im September in Wien.
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Dass sich die internationale Fridays-for-Future-Bewegung im Nahostkonflikt gegen Israel stellt, den Staat als "Siedlerkolonie" bezeichnet und westlichen Medien "Gehirnwäsche" vorwirft, sorgte in den vergangenen Tagen für Empörung und harsche Kritik. Die Bewegungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz distanzierten sich umgehend – man sei entsetzt über den Hamas-Terror, betont der Sprecher von Fridays for Future Österreich, Daniel Shams.

STANDARD: Fridays for Future Österreich hat sich von den israelfeindlichen Statements, die auf den internationalen Accounts gepostet wurden, distanziert. Was heißt das für die Bewegung?

Shams: Wir haben eine klare Haltung gegen jegliche Form des Antisemitismus, islamfeindlichen Rassismus oder Rechtsextremismus. Jetzt suchen wir eine Antwort darauf, was es für uns als Bewegung konkret bedeutet, dass wir uns gegen jegliche Form von Rassismus und Gewalt stellen, und wie wir das angesichts des großen Leides in Gaza und Israel gut nach außen tragen können.

STANDARD: Antisemitische Übergriffe nehmen auch in Europa aktuell zu. In Wien gab es etwa gerade einen Brandanschlag auf den jüdischen Teil des Zentralfriedhofs. Reicht es in so einer Zeit aus, sich von Postings zu distanzieren?

Shams: Wir sind sowohl vom Hamas-Terror gegen israelische Zivilisten entsetzt als auch von den schrecklichen Bildern aus Gaza und wünschen uns schnelle Hilfe für die Zivilbevölkerung. Gleichzeitig erschreckt es uns sehr, dass auf dem jüdischen Friedhof ein Brand gelegt wurde oder antisemitische Slogans gesprayt werden. Ich möchte allerdings auch um Verständnis bitten, dass wir eine Jugendbewegung sind, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzt und wir uns nicht anmaßen können, Expertinnen im Nahostkonflikt zu sein.

STANDARD: Warum kommuniziert die Bewegung dann überhaupt in Sachen Nahostkonflikt?

Shams: Wir als Fridays for Future Österreich haben uns nicht ausgesucht, dass wir uns positionieren. Ich finde es traurig, dass einige Leute in unserer internationalen Gruppe die Entscheidung getroffen haben, sich bedingungslos mit einer Seite zu solidarisieren – in einem Diskurs, der derzeit anscheinend nur zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Dazu muss ich betonen, dass Fridays for Future dezentral organisiert ist. Das hat uns bisher geholfen, eine niederschwellige Anlaufstelle für alle bieten zu können, die sich gegen die Klimakrise engagieren wollen. Wir konnten dadurch schnell wachsen. Jetzt sehen wir, dass diese Art des Zusammenschlusses auch Probleme mit sich bringen kann. Zu dem Posting hat keinerlei Absprache mit uns stattgefunden.

STANDARD: Antisemitismusvorwürfe gegen Fridays for Future gibt es bereits länger, das alles ist also nicht neu. Hat das bisher nicht gestört?

Shams: Wir haben uns öffentlich sofort sehr klar positioniert, dass uns diese Posts nicht repräsentieren. Wie die Posts zustande gekommen sind, wurde von deutschen Medien sehr gut aufgearbeitet. Jetzt bemühen wir uns in der Bewegung Fridays for Future Österreich nach besten Kräften um eine Verständigung und Diskussion. Wir sind derzeit dabei aufzuarbeiten, wie wir sicherstellen können, dass wir eine Klimabewegung für alle sein können.

STANDARD: Wie sieht diese Aufarbeitung aus?

Shams: Wir sind zum Beispiel im Austausch mit dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Mit den Expertinnen und Expertinnen dort überlegen wir: Wie können wir als Bewegung die aktuelle Situation aufarbeiten und dabei unser Kernanliegen nicht aus den Augen verlieren. Nämlich, dass wir uns als Fridays for Future für den Klimaschutz einsetzen. Wir haben auch schon in der Vergangenheit mit der Caritas zusammengearbeitet. Als Caritas-Präsident Michael Landau sich zu den Posts des internationalen Social-Media-Accounts geäußert hat, sind wir gleich in den Austausch getreten. Er hat unsere Distanzierung dann auch retweetet.

Daniel Shams (rechts) und Klara König (links) von Fridays for Future organisieren anlässlich des weltweiten Klimastreiks und einer Klimaklage eine Diskussion im Presseclub Concordia in Wien.
APA/HELMUT FOHRINGER

STANDARD: Warum setzen sich nur die Bewegungen in Österreich, Deutschland und der Schweiz gegen Antisemitismus ein?

Shams: Es gibt dazu intern bereits länger eine Debatte. Die Menschen, die auf den internationalen Accounts posten, haben leider die Entscheidung getroffen, sich bedingungslos mit einer Seite zu solidarisieren. Davon distanzieren wir uns. Gerade auch in Anbetracht unserer historischen Verantwortung in Österreich, ist es uns wichtig, in der internationalen Bewegung in diesem Punkt dagegenzuhalten. Wir müssen uns darauf fokussieren, dass wir eine Klimagerechtigkeitsbewegung sind und nicht zu allen großen Krisen sprechen können.

STANDARD: Wofür genau soll die Bewegung also eintreten – und wofür nicht?

Shams: Für den Klimaschutz. Seit fünf Jahren engagieren wir uns für den Erhalt der Lebensgrundlagen von uns allen. Dort liegt unsere Stärke.

STANDARD: In einem anderen Post wird das Narrativ verbreitet, dass die Medien die Öffentlichkeit belügen. „Wie westliche Medien Sie durch Gehirnwäsche dazu bringen, sich auf die Seite Israels zu stellen", heißt es in einem Post, der mittlerweile gelöscht ist. Dieses Narrativ kennt man sonst eher im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien oder von rechts außen.

Shams: Dieser Instagram-Account kann nicht für uns sprechen. Das ist ein einzelner Account, von dem wir uns sehr stark distanzieren. Hier wurde klar Desinformation und Antisemitismus verbreitet. Das lehnen wir ab und kritisieren es scharf.

STANDARD: Wer bedient diesen Account derzeit?

Shams: Es ist ein Zusammenschluss von verschiedenen, oft sehr starken Einzelstimmen auf Telegram, die lose zusammengewürfelt sind. Sie sind in keiner Weise legitimiert, für uns als Bewegung zu sprechen. Die Jüdische Allgemeine hat hier sehr wertvolle Aufarbeitung geleistet, wie die Posts zustande gekommen sind. Wir als Fridays for Future Österreich sind in den Gruppen jedenfalls nicht vertreten.

STANDARD: Nach außen tretet ihr aber mit demselben Namen auf. Welche Konsequenz werdet ihr daraus jetzt ziehen?

Shams: Wir arbeiten intern an der Frage, wie wir als Bewegung weitermachen, dazu werden wir in einigen Wochen mehr sagen können. Ich und meine Mitaktivistinnen bemühen uns jedenfalls um Diskussion mit allen Menschen, ganz gleich, woher sie kommen oder welche Religion sie haben. Es geht uns in dem Prozess, in dem wir gerade sind, darum, einen guten Weg zu finden, wie wir eine Jugendklimabewegung für alle sein können. (Alicia Prager, 4.11.2023)