Sandra Hüller ist das Gegenteil einer Femme fatale. Davon ist jedenfalls die französische Regisseurin Justine Triet, in deren neuem Film Anatomie eines Falls die deutsche Schauspielerin brilliert, überzeugt.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass Hüllers Figur bei Triet ebenfalls Sandra heißt. Denn die Französin hat der Deutschen die Rolle auf den Leib geschrieben. Vor allem ihr Eindruck, dass Hüller nicht gefallen möchte, hat Triet nachhaltig beeindruckt. Eine seltene Eigenschaft, vor allem bei Frauen im Schauspielfach.
Aufgewachsen in Thüringen
Sandra Hüller wurde 1978 als Tochter eines Lehrerpaars in Thüringen geboren, ihre Kindheit verbrachte sie in der DDR, der Kleinstadt Friedrichroda. Nach dem Abitur studierte sie Mitte der 1990er-Jahre in Berlin an der Ernst-Busch-Schauspielschule. Dann ging es zunächst zurück in den ehemaligen Osten. Erste Engagements hatte sie an den Theatern in Jena und Leipzig, darauf folgten die großen deutschsprachigen Bühnen in München, Zürich und Berlin.
In dieser Zeit begann auch ihre Filmkarriere Blüten zu treiben. In Requiem beeindruckte Hüller 2006 als vom Teufel Besessene nachhaltig. Das Theater prägte ihre weiteren Filmarbeiten: Sie schätzt kleine Teams, eine konzentrierte Arbeitsatmosphäre und viele Proben, um ihre Rollen zu entwickeln.
Durchbruch in "Toni Erdmann"
Aufmerksame Beobachter des deutschsprachigen Arthouse-Kinos kamen seither an Sandra Hüller nicht vorbei. Immer wieder beeindruckte sie mit komplexen Figuren, die in moralische Zwickmühlen geraten. Der internationale Durchbruch kam 2016 mit Toni Erdmann. Sie spielt darin die Tochter Peter Simonischeks, die in Osteuropa Karriere macht und dabei von ihrem Hippievater genervt wird.
Königin von Cannes
Justine Triet begegnete Hüller das erste Mal beim Filmdreh zu Sybil (2019), in dem sie eine Regisseurin spielt. Auch mit Jessica Hausner drehte Hüller, gemeinsam mit Christian Friedel in der Kleist-Geschichte Amour Fou. Neben Friedel ist Hüller auch im zweiten großen Cannes-Gewinner zu sehen: Als Ehefrau eines KZ-Kommandanten in Jonathan Glazers The Zone of Interest, der erst nächstes Jahr in die Kinos kommt.
Ihre Rollen bei Triet und Glazer haben der Mutter einer Tochter heuer den Titel "Königin von Cannes" und den Vergleich mit Cate Blanchett eingebracht, sogar eine Oscarnominierung winkt. Damit ist Sandra Hüller wohl die berühmteste Tochter, die der Kurort Friedrichroda je hervorgebracht hat. (Valerie Dirk, 4.11.2023)