Haupteingang der Universität Wien, die Rampe am Ring
Das Rektorat der Universität Wien sagte eine Vortragsreihe zum Thema Palästina ab, weil sie nicht multiperspektivisch programmiert war.
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Der Krieg in Israel nach dem pogromartigen Terrorangriff der radikalislamischen Hamas am 7. Oktober, bei dem rund 1.400 Menschen in Israel getötet, mehrere Tausend verletzt sowie mehr als 150 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen entführt worden sind, hat nun indirekt auch Folgen an der Universität Wien. Denn am Freitagnachmittag verkündete die Leitung der Universität Wien auf ihrem offiziellen Account auf der Plattform X, vormals Twitter, die kurzfristige Absage für eine Vortragsreihe, in deren Zentrum Palästina stehen sollte: "Die vom Institut für Kultur- und Sozialanthropologie angekündigte Veranstaltungsreihe 'Teach-in: Against the Present: Past and Future Perspectives on Palestine' wird nicht stattfinden."

Was ist der Grund für diesen Schritt? Im STANDARD-Gespräch erklärte die Sprecherin der Uni Wien, Cornelia Blum, dass die Uni-Leitung auf die Veranstaltung – pro Tag finden an der Uni Wien zwischen 50 und 100 Veranstaltungen statt – aufmerksam gemacht worden sei, und "aus dem, was wir sehen konnten, also den Informationen auf der Website, zeigte sich, dass durch die Auswahl der Rednerinnen keine Perspektivenvielfalt gewährleistet war". Es sei eine "sehr einseitige Vorlesungsreihe" programmiert worden. Außerdem habe es Hinweise auf "verschiedene Verbindungen von Vortragenden zu einschlägigen Organisationen" gegeben. Konkret zur BDS-Bewegung. STANDARD-Watchblogger Markus Sulzbacher hatte auf die BDS-Aktivistinnen auf der Vortragendenliste hingewiesen.

Grünen-Bildungssprecherin Eva Blimlinger forderte umgehend, auch auf X, dass die Veranstaltung abgesagt werden müsse.

BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions". Die dahinter stehende internationale politische Bewegung will den Staat Israel wirtschaftlich, politisch und kulturell boykottieren. Der Boykott soll sich gegen israelische Waren, aber auch Forschende, Kunstschaffende sowie Sportlerinnen und Sportler richten. Der Deutsche Bundestag hat die BDS-Bewegung 2019 als antisemitisch verurteilt.

Auf der Plattform X hieß es weiters, die Universität Wien sei offen für sachliche Diskussionen, auch zu kontroversiellen Themen in einer Perspektivenvielfalt. "Einseitige Darstellungen, Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus haben an der Universität Wien keinen Platz." Im STANDARD-Gespräch führte Uni-Sprecherin Blum weiters aus, dass das Rektorat und die Fakultät das "Teach-in", das auch für die nichtstudentische Öffentlichkeit zugänglich gewesen wäre, gemeinsam abgesagt haben – "in Abstimmung mit dem Institut für Sozial- und Kulturanthropologie". Damit ist die Sache für die Uni-Spitze aber nicht erledigt. Man werde sich genau anschauen, "wie die Prozesse waren" bzw. wie es zu dieser Veranstaltung kam, um Derartiges künftig zu vermeiden. Die Uni Wien bedauere, dass es überhaut zu dieser Ankündigung gekommen sei.

Kooperation mit CEU

Angekündigt waren vier Vorträge, die das Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien gemeinsam mit dem Department of Gender Studies der Central European University (CEU), auf deren Homepage die Veranstaltungsreihe am späten Freitagnachmittag (im Gegensatz zur Uni Wien, wo sie schon entfernt worden war) noch zu finden war, organisiert hatte. Am 7. November sollten Layal Ftouni (Utrecht University) und Adriana Qubaiova (CEU) zum Thema "Palestine as a Feminist Issue" referieren. Zwei Tage später wäre ein Vortrag unter dem Titel "Settler Colonial Rule in Palestine" von Amahl Bishara (Tufts University) auf dem Programm gestanden. Am 15. November hätte Darryl Li von der University of Chicago über "Gaza Under Siege: Debates on International Law and Resistance" gesprochen und einen Tag darauf Ilana Feldman (George Washington University) das Thema "Governing Gaza" behandeln sollen. Wobei der erste Vortrag nur vor Ort und nach Anmeldung hätte gehört werden können, die drei anderen wären hybrid via Zoom organisiert worden.

Layal Ftouni hat zum Beispiel als Assistenzprofessorin für Gender Studies und Kritische Theorie an der niederländischen Utrecht University 2021 in einem Beitrag auf der Nachrichten- und Meinungsseite ihrer Universität gefordert, dass diese israelische Universitäten boykottieren solle. Die "Zeit des Schweigens" sei vorbei. Mit Blick auf derartige akademische Kooperationen bezeichnete Ftouni Israel als "Siedlerkolonialstaat" und sprach von Apartheid. Universitäten, die mit israelischen Unis zusammenarbeiten, würden sich an der Entwicklung und Aufrechterhaltung der militärischen Besatzung, Apartheid und ethnischen Säuberungspolitik Israels beteiligen. In Ftounis Kurzbiografie auf der Uni-Seite steht: "She's actively involved in Palestine solidarity work in her teaching, research and political activism."

Als aktive BDS-Unterstützerin bekannt ist Ilana Feldman. Als sie 2020 an der George Washington University zur Interimsdekanin ernannt wurde, gab es Widerstand wegen ihres BDS-Engagements. Die Universität stellte in einem Statement ihre Position zur BDS-Bewegung klar, nämlich dass sie keinerlei Boykottforderungen gegen Israel unterstütze und von Feldman in ihrer Funktion auch erwarte, dass sie sich an diese Richtlinie der Universität halte. Die George Washington University unterstütze akademische Freiheit für alle, die Mitglieder der Uni-Verwaltung seien aber auch verpflichtet, "alle Richtlinien der Universität, einschließlich der BDS-Richtlinie, einzuhalten und eine Atmosphäre zu fördern, in der alle Stimmen gleichermaßen gehört werden". Feldman habe sich ausdrücklich dazu verpflichtet, alle Richtlinien zur Meinungsfreiheit einzuhalten. (Lisa Nimmervoll, 3.11.2023)