Bühnenbeschimpfung Schauspielhaus
Die neue Truppe hat sich bereits warmgespielt: In "Bühnenbeschimpfung" hinterfragt das neu formierte Ensemble am Schauspielhaus Wien die Bedingungen des Theaters – in einer schreiend gelben Guckkastenbühne.
Marcella Ruiz Cruz

Diskussionen sind programmiert. Nicht eine Person leitet in den kommenden Jahren das Schauspielhaus Wien, und auch nicht zwei. In der Porzellangasse sind jetzt gleich vier Theatermacherinnen und Theatermacher in das "Intendantenbüro" eingezogen. Wobei: Ob diese Bezeichnung weiterhin benutzt werden kann, ist mehr als fraglich. Schließlich hat man sich ein komplett hierarchiefreies Modell für das kleine Theaterhaus in Wien-Alsergrund ausgedacht, entschieden wird nicht basisdemokratisch, die gesamte Gruppe muss dafür sein.

Ohne Diskussionen, was man gemeinsam am Theater will, geht in Zukunft also nichts mehr. Mit der ersten Premiere fängt man damit schon einmal öffentlichkeitswirksam an: Sivan Ben Yishais Stück Bühnenbeschimpfung verhandelt nämlich nichts weniger als die Bühnenstrukturen selbst, im ersten Teil aus der Perspektive der Schauspielenden, im zweiten aus jener des Publikums und im dritten, da ergreift das Theater selbst das Wort.

Arbeitsbedingungen sind ebenso Thema wie Machtstrukturen, und wer das jetzt ein bisschen sehr selbstreferenziell hält, dem wird man nicht widersprechen. Warum auch? Fragen über eine andere Art des Zusammenarbeitens am Theater beschäftigen jüngere Kräfte im deutschsprachigen Theater schon länger. Die in Berlin lebende Dramatikerin Sivan Ben Yishai hat dazu Bühnenbeschimpfung geschrieben, das vom Fachmagazin Theater Heute prompt zum "Stück des Jahres 2023" ernannt wurde. Warum also nicht gleich damit die eigene Intendanz beginnen, zumal die österreichische Erstaufführung nach der Premiere am Berliner Maxim-Gorki-Theater sowieso noch ausstand? Hat ja alles seine Logik.

Anspruch und Wirklichkeit

Auch der Umstand, dass nicht einer aus der Gruppe ausrückt, um die Einstandspremiere zu inszenieren, sondern gleich drei, wird vor diesem Hintergrund niemanden mehr überraschen. Co-Intendantin Marie Bues übernahm den ersten Teil, in dem es um die tiefe Kluft zwischen dem Anspruch der Schauspielenden und der Wirklichkeit an der Institution Theater geht. Oder um es weniger theoretisch und mit den Worten einer der Schauspielerinnen zu sagen: "Wir werden auf die Bühne gehen, und schauen, dass die Vorstellung läuft." Theorie und Praxis verzahnen sich auch in Ben Yishais Stück aufs Engste, vom Allgemeinen kommt man ins Partikulare und hangelt sich dann wieder zurück.

Diesem Prinzip folgen auch die drei Inszenierungen: Im ersten Teil schälen sich immer wieder einzelne Sprechende aus einem Chor, im zweiten (er wird von Tobias Herzberg verantwortet) verpflanzen sich die Schauspieler ins Publikum, der dritte (Niko Eleftheriadis) besteht dann zur Gänze aus einem von Ursula Reiter gesprochenen Monolog.

Da hat der Abend dann aber schon poetisch Reißaus genommen, das Theatergebäude wird jetzt nicht mehr von Spielenden, sondern von Pflanzen, Tieren und Mikroben bevölkert. Was als (moderate) Bühnenbeschimpfung seinen Ausgang nimmt, wandelt sich bald in eine recht zärtliche Institutionenbefragung.

Hinter all der Kritik am Theater pocht also ein großes Herz für das Theater. Und so verlässt man diesen sympathischen Einstandsabend in der Hoffnung, dass die Diskussionen am Schauspielhaus auch in Zukunft so produktiv enden wie in diesem Fall. (Stephan Hilpold, 5.11.2023)