Bücher auf der Esoterikmesse in Wien
Auf dem Bücherstand der Esoterikmesse in der Wiener Stadthalle gab es auch schon in der Vergangenheit vor allem Harmloses – aber nicht nur.
Reiner Riedler

Wer auf eine Esoterikmesse geht, den erwartet keine Wissenschaft. So weit, so klar. Und so wenig überraschend. So war das auch bei der "Spiritualität und Heilen", die am Wochenende wieder in der Wiener Stadthalle gastierte. "Glauben statt Wissen" könnte das inoffizielle Motto der Veranstaltung lauten. Denn von den Angeboten der Messe ist wenig bis nichts auch nur ansatzweise belegbar. Ganz im Gegenteil.

Wie schon bei den vergangenen Ausgaben der Messe – DER STANDARD berichtete – gab es auch am Wochenende wieder "Karma-Analysen", "Jenseitskontakte" und "Heilen mit Engeln". Besucherinnen und Besucher konnten sich bei der in Wien zweimal jährlich stattfindenden Messe Karten legen oder ihre "Aura" fotografieren lassen und sich von einem Wünschelroutengeher die "falsche polare Drehung" ihrer Mobiltelefone oder Brillengläser "neutralisieren" lassen.

Hochtrabende Versprechen

In anderen Worten: Wie immer auf Veranstaltungen dieser Art gab es ein großes Angebot an – freundlich formuliert – Pseudowissenschaft, die gerade suchenden Menschen mit hochtrabenden Versprechen Geld aus der Tasche zieht. Besonders oft übrigens jenen, die sich in schwierigen Umständen oder gar Lebenskrisen befinden – Fachleute wie etwa jene der Bundesstelle für Sektenfragen, die in Österreich auch für das weite Feld der Esoterik zuständig ist, weisen regelmäßig auf diesen Zusammenhang hin.

Geschäftemacherei mit den Nöten von Menschen: Das mag man problematisch finden. Verboten ist es nicht. Auch die haarsträubendsten Angebote auf Veranstaltungen dieser Art fallen in der Regel unter die für rechtsstaatliche Demokratien zentrale Meinungs- beziehungsweise Erwerbsfreiheit. Denn – selbst das gehört zur Demokratie: Auch ein hohes Maß an Humbug müssen freie Gesellschaften aushalten.

Antisemitische Mythen

Bei manchem, das noch im Vorjahr auf der Esoterikmesse in der Stadthalle angeboten wurde, war das allerdings schon nicht mehr so klar. Das galt vor allem für den üppig bestückten Stand eines deutschen Online-Buchhändlers. Auch dort fand sich zwar schon damals großteils Skurril-Harmloses. Aber eben nicht nur. "Das Virus war nicht die Ursache", hieß es etwa gleich auf dem Cover des Buches "Lockdown". "Es war nur der willkommene Auslöser für das größte, je gewagte Experiment am Menschen." "Sklavenplanet Erde" lautet der Titel eines weiteren Werks. "Es ist Zeit aufzuwachen!", wird im Untertitel empfohlen. Den Inhalt der Bücher lassen die Cover bereits erahnen: krudeste Verschwörungstheorien, in der Regel mit strukturell antisemitischem Inhalt.

In den meisten dieser Bücher geht es sehr bald um Freimaurer, Bilderberger, Illuminaten oder die Familie Rothschild, die in Wahrheit die Geschicke der ganzen Welt bestimmen würden – also das kleine Einmaleins antisemitischer Verschwörungsmythologie. Politikerinnen von Barack Obama bis Hillary Clinton sind in diesen modernen Mythen nur "Marionetten" einer verschworenen "globalen Elite", die für ihre eigenen Interessen den Rest der Menschheit unter totale Kontrolle bringen wollen würde. Mit der Implantierung von Mikrochips etwa, mit "Gedankenkontrolle über 5G-Netze" und natürlich mit der Corona-Impfung, die in Wahrheit die Kontrollchips einimpfen würde.

Im Fokus der Behörden

In einigen der Werke wird nicht nur mittelbar, sondern ganz direkt zum politischen Umsturz aufgerufen. Da ist es wenig verblüffend, dass einer der auf der Wiener Esoterikmesse noch im Vorjahr mit mehreren Büchern vertretenen Autoren schnell die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes erweckt hat. Schon vor mehr als 25 Jahren genau genommen. Da tauchte "Jan van Helsing", ein Pseudonym des 55-jährigen Deutschen Jan Udo Holey, erstmals in einem Bericht des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg auf – im Abschnitt über rechtsextreme Einflussnahme auf die Esoterikszene. Über die Jahre kam Holeys Name dann noch in mehreren weiteren Verfassungsschutzberichten vor, auch in Österreich.

An Verboten schrammen zahlreiche Werke, die vergangenes Jahr noch in der Stadthalle angeboten wurden, knapp vorbei. Denn nachdem gleich Holeys erste beide Bücher Mitte der 1990er in Deutschland und der Schweiz indiziert wurden, verfasste der Autor seine folgenden Werke mit leicht angezogener Handbremse – sodass seine Thesen und Codes in der Szene zwar verstanden wurden, aber nicht mehr ausreichend explizit für Verkaufsverbote waren. Andere einschlägige Autoren taten es Holey gleich.

Verboten waren die noch im Vorjahr auf der Wiener Esoterikschau verkauften Bücher also nicht. Aber: Die Wiener Stadthalle, in der die Messe des deutschen Veranstalters seit vielen Jahren stattfindet, hat eine Hausordnung. In dieser wird ausdrücklich ein Verbot festgehalten, "politische Propaganda und Handlungen zu betreiben sowie rassistische, fremdenfeindliche, verfassungsfeindliche Parolen" zu verbreiten. Und konform mit Österreichs Verfassung ist bei den erwähnten Büchern offenkundig eher wenig.

Stadthalle verwies auf Veranstalter

Vom STANDARD mit den angebotenen Büchern konfrontiert, hieß es damals von der Wiener Stadthalle Betriebs- und Veranstaltungsgesellschaft, man werde die ausgestellten Werke prüfen und habe Kontakt mit dem Messeveranstalter aufgenommen. Denn der Vertrag werde ja jeweils mit dem Veranstalter geschlossen und nicht etwa mit den einzelnen Standbetreibern. Der Veranstalter sei vertraglich dazu "verpflichtet, sich an die Gesetzte und Hausordnung zu halten und diese Verpflichtung an seine Standmieter weiterzugeben". Die Stadthalle werde "weiter detailliert prüfen", dass es zu keinem Vertragsbruch oder Verstoß gegen die Hausordnung komme.

Die Stadthalle gehört zur Wien Holding, die die Beteiligungen der Stadt verwaltet und politisch dem Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke (SPÖ) untersteht. Auch in dessen Büro hat DER STANDARD bezüglich der einschlägigen Werke nachgefragt. Die Überprüfung des gesamten Angebots einer Messe könne unmöglich durch das Ressort des Stadtrats erfolgen, hieß es dort. Verwiesen wurde auch im Stadtratsbüro auf den Veranstalter, der für seine Vertragspflichten Sorge zu tragen habe. Die Kontrolle der eigenen Hausordnung aber – die sei schon noch Aufgabe der Stadthalle und nicht die des Veranstalters? Natürlich, bestätigte man im Ressort Hanke. Und bei Verstößen müsse der Veranstalter entsprechend in die Pflicht genommen werden.

"Gegen links- oder rechtsextremes Gedankengut"

Und was sagt der mehrfach adressierte Veranstalter dazu? Der verwies nach der STANDARD-Berichterstattung erwartungsgemäß auf die geltende Gesetzeslage. "Die Bücher stehen in Österreich nicht auf dem Index", sagte Franz Prohaska auf Nachfrage. Er ist Geschäftsführer der Eso-Team Messe- und Kongress GmbH, die die Esoteriktage zweimal pro Jahr in der Wiener Stadthalle ausrichtet – und während des Rests des Jahres mit demselben Messekonzept durch diverse deutsche Großstädte tingelt. Und er zitierte aus dem Statement des deutschen Buchhändlers, der die Werke in der Stadthalle verkaufte, wonach dieser sich "gegen die Verbreitung von links- oder rechtsextremem Gedankengut" verwehre.

Im Gespräch äußert sich Prohaska durchaus reflektiert über das Angebot auf der Messe. Er sei etwa persönlich konsequent dahinter, dass auf seinen Veranstaltungen keine Heilsversprechen abgegeben werden. "Krebs heilen oder Ähnliches, das werden Sie bei uns nicht finden." Eine Aussage, die mehrmalige Besuche des STANDARD auf der Schau bestätigen. Sei der Verkauf bestimmter Bücher nicht verboten, tue aber auch er als Veranstalter sich schwer, dem Buchhändler dieses Angebot zu untersagen.

In Wien aus Sortiment genommen

Seit der STANDARD-Berichterstattung samt Anfragen bei Stadthalle und Stadtratsbüro und dem Gespräch mit Prohaska ist hinter den Kulissen aber offenkundig einiges passiert. Denn schon beim Besuch der nächsten Ausgabe der Messe im April waren die oben erwähnten Bücher plötzlich verschwunden. Und auch bei den darauffolgenden Esoteriktagen in der Wiener Stadthalle am Wochenende ergab ein Lokalaugenschein: Harte Kost wie die Schriften von Jan van Helsing sind in der Stadthalle nicht mehr ausgestellt. Auch andere der oben erwähnten Bücher mit verschwörungsideologischen und antisemitischen Inhalten findet man am Buchstand nicht mehr. Wie das?

Der deutsche Buchhändler sei nach den STANDARD-Berichten von selbst auf ihn zugekommen, berichtet Messeveranstalter Prohaska. "Er hat gesagt, er will keinen Ärger und nimmt die Van-Helsing-Bücher für Wien aus dem Sortiment." Die besonders einschlägige Ware dürfte in der Stadthalle also auch in Zukunft nicht mehr erhältlich sein. Dass keine Verschwörungsmythen von Jan van Helsing mehr auf der Wiener Messe verkauft werden, heißt allerdings nicht, dass der Buchhändler sie komplett aus dem Programm genommen hat – oder sie auf den Esoteriktagen an anderen Standorten nicht mehr erhältlich wären. Bei mehreren Messeterminen in deutschen Städten in den vergangenen Monaten wurden die Bücher auch weiterhin verkauft, wie DER STANDARD erfuhr. (Martin Tschiderer, 7.11.2023)