Selenskyj-Rede im Parlament
"Entsetzliches Bild", das fehlende Expertise zeige: Bei Selenskyjs Rede im Nationalrat blieben die Plätze vieler SPÖ-Mandatare verwaist.
APA / Robert Jäger

Helfried Carl fand das Bild, das die Genossinnen und Genossen abgaben, entsetzlich. Als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im März per Videoschaltung im Parlament eine Rede hielt, waren die Plätze der SPÖ-Abgeordneten nur schütter besetzt. Kritik an der eigenmächtigen Anbahnung durch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hält Carl, selbst Sozialdemokrat, für eine schlechte Entschuldigung. Die Mandatare hätten die fatale Symbolik völlig unterschätzt, sagt er: "Das zeigt, dass es an Expertise fehlt."

Gemeinsam mit Gleichgesinnten ist Carl angetreten, das zu ändern. Der 54-Jährige zählt zu jenem Kreis (ehemaliger) roter Diplomaten, der den nunmehrigen SPÖ-Chef An­dreas Babler bereits während seines Wahlkampfs um den Parteivorsitz im Frühjahr mit Expertise fütterte. Nun wird daraus institutionalisierter Support: Die Initiative Demokratische Außenpolitik will den Diskurs über ebendieses aktuell so brisante Thema "befeuern".

Um eine neue Teilorganisation der SPÖ handle es sich nicht, betont Sprecher Carl. Ganz im Sinne des einstigen Kanzlers Bruno Kreisky, der auch ideologisch anders gepolte Menschen zu einem Stück gemeinsamen Weges eingeladen hatte, ist Mitgliedschaft in der Partei keine Voraussetzung für Engagement. Eine gemeinsame sozialdemokratische Wertehaltung sollte aber schon vorhanden sein, sagt Carl: "Motto: Es zählt die Stärke des Rechts – und nicht das Recht des Stärkeren."

Rüstzeug für Babler

Was der Debatte entspringt, soll nicht zuletzt den obersten Sozial­demokraten mit fundierten Positionen versorgen. Um als Kanzlerkandidat ernst genommen zu werden, braucht Babler schließlich auch außenpolitische Glaubwürdigkeit.

In der Debatte über den Nahostkonflikt hat der SPÖ-Chef bereits ­Input der Initiative aufgenommen. Wie DER STANDARD berichtete, legt sein neues Positionspapier ein größeres Augenmerk auf einen politischen Einsatz für eine Zweistaatenlösung zwischen Israel und den Palästinensern, als dies die heimische Regierung aktuell tut. Anders als die ÖVP fordert die SPÖ auch eine "humanitäre Feuerpause" zum Schutz der Bevölkerung von Gaza.

Widerspruch ist programmiert

Doch die Aktivisten vertreten auch manches, was nicht alle in der Partei begrüßen werden. "Die Neu­tralität wird in der SPÖ oft überhöht", befindet Carl. "Es wird so getan, als ob sich die Welt nicht verändern würde. Dieser falsch verstandene, nostalgische Neutralismus führt etwa auch dazu, dass es in der SPÖ immer noch Kräfte gibt, die nach Russlands Angriff ein eindeutiges Bekenntnis für die Verteidigung der Ukraine vermissen ließen."

Helfried Carl
Sozialdemokrat Carl will seiner Partei heikle Debatten zumuten: "Die Neutralität wird in der SPÖ oft überhöht. Es wird so getan, als ob sich die Welt nicht verändern würde."
IMAGO/SEPA.Media

Das bedeute nicht, dass Österreich der Nato beitreten solle. Doch weil ein neutraler Staat in Zeiten der EU nie mehr einen Handlungsspielraum haben werde wie zu Kreiskys Tagen, gehöre das Prinzip modern interpretiert. So lähme es die EU, in der Außen- und Sicherheitspolitik weiterhin auf das Prinzip der Einstimmigkeit zu pochen, sagt Carl. Es brauche zwar Mechanismen, dass über kleine Staaten nicht drübergefahren werde. Grrundsätzlich solle der Weg aber zu Beschlüssen mit qualifizierter Mehrheit führen.

Auf dem Parteitag kommendes Wochenende, bei dem die SPÖ nicht nur Babler wiederwählen will, sondern auch über 169 inhaltliche Anträge abstimmt, setzt es allerdings Widerspruch: Ein offiziell zur Annahme empfohlener Antrag fordert, das Einstimmigkeitsprinzip unangetastet zu lassen.

Gesammelte Erfahrung

Carl ist seit vielen Jahren außenpolitisch aktiv. Er war enger Mitarbeiter des internationalen Spitzendiplomaten Wolfgang Petritsch, wurde nach Jahren als Büroleiter von Nationalratspräsidentin Bar­bara Prammer (SPÖ) Botschafter in der Slowakei. Als Bediensteter des Außenministeriums derzeit karenziert, ist Carl einer der Köpfe des Instituts Innovation in Politics.

Auch Petritsch selbst ist in der neuen Außenpolitik-Initiative aktiv. Selbiges gilt für Ex-Botschafterin Eva Nowotny, einst Beraterin von Kanzler Franz Vranitzky, und Nikolaus Kowall, der unter Babler vom aus der kritischen SPÖ-Sektion 8 bekannten "Parteirebellen" zum Mitstreiter der roten Chefetage avancierte. (Gerald John, 6.11.2023)