Der Schriftsteller Clemens J. Setz bei der Verleihung am Montag.
Der Schriftsteller Clemens J. Setz bei der Verleihung am Montag.
APA/EVA MANHART

Vor zwei Jahren hat Clemens J. Setz mit dem Büchnerpreis die wichtigste Auszeichnung im deutschsprachigen Literaturbetrieb gewonnen. Seit Montagabend ist der aus Graz stammende und inzwischen in Wien lebende Bestsellerautor also auch Gewinner des Österreichischen Buchpreises (20.000 Euro). Neben Wolf Haas war Setz der Favorit im Nominiertenfeld. "Tschuldigung, ich bin ein bisschen überrascht, ich bin so verkrampft gewesen, dass mein Fuß eingeschlafen ist", mag man ihm als erste Reaktion insofern nicht ganz glauben. Bescheiden und ein bisschen schräg ist sie aber jedenfalls typisch Setz.

Gewonnen hat er mit dem historischen Roman Monde vor der Landung (Suhrkamp), in dem er sich der wahren Figur des aus dem Rheinland stammenden Peter Bender annimmt, der in den 1920ern die Hohlwelt-Theorie propagierte und heute so etwas wie ein Querdenker wäre. Zwölf Jahre hat Setz an dem Buch gearbeitet, auf die Verbindung des Charakters zu zeitgenössischen Corona-Skeptikern wurde zum Erscheinen des Romans schon hingewiesen. Eine weitere, unglückliche Parallele zur Gegenwart räumte Setz nun im Zuge der Verleihung ein.

Antisemitismus ist aktuell

Monde vor der Landung sei nämlich auch ein Roman über die langsame Installierung des Antisemitismus in einer Gesellschaft, sagte der kommende Woche 41 Jahre alt werdende Autor. "Das Bizarre daran ist, jetzt ist plötzlich ein Moment gekommen, wo Freunde, Verwandte und Bekannte den Antisemitismus für sich entdecken." Man schreibe doch keine historischen Romane, damit die Dinge wieder geschähen!

Der sprachlich wie gedanklich originelle Autor setzte sich damit in der fünfköpfigen Jury gegen ein prominentes Nominiertenfeld durch. Neben Wolf Haas' Mutter-Biografie Eigentum hatten es Milena Michiko Flašar (Oben Erde, unten Himmel), Teresa Präauer (Kochen im falschen Jahrhundert) und Maja Haderlap (Nachtfrauen) ins Finale geschafft. 118 Titel waren heuer für den Buchpreis eingesandt worden. Dass der Wiener Tonio Schachinger, der erst Mitte Oktober für Echtzeitalter den Deutschen Buchpreis annehmen konnte, es in der Heimat nicht einmal auf die Longlist geschafft hat, überrascht aber doch etwas.

Mühsames Wien

21 Nominierte waren es hingegen für den Debütpreis gewesen. Der ging an Arad Dabiri für sein im Frühjahr im Septime-Verlag erschienenes Werk Drama. Es ist ein Wien-Roman über schöne Fassaden, Tourismus-Hotspots, aber auch über abgestandenes Bier und den Absturz. "Wien wird zum Labyrinth – und zur zweiten Hauptdarstellerin der Erzählung. Die Stadt schnauft schwer. Sie ächzt und taumelt", lobte die Jury das Erstlingswerk. "Drama ist Satire und Suada, ein großes, sehr bewusstes und selbstbewusstes Spiel mit dem Spiel im Spiel." Wie er es geschrieben hat? "Recherche gab's nicht, Recherche war das Leben", sagte der 1997 in Wien geborene Autor über das Buch bei Entgegennahme des Preises. Wie die Recherche und das Schreiben waren? "Es war beides scheiße, beides mühsam."

Mit dem Debütpreis wurde Arad Dabiri ausgezeichnet
Mit dem Debütpreis wurde Arad Dabiri ausgezeichnet.
APA/EVA MANHART

Vom Kulturministerium und dem Hauptverband des Österreichischen Buchhandels ausgelobt, wurde die Auszeichnung, die sich nur an österreichische Autorinnen und Autoren richtet (was ihr von den deutschsprachigen Nachbarländern manchmal als Protektionismus angekreidet wird), heuer zum bereits achten Mal vergeben. Eigentlich kann den Preis das "beste" Werk aus den Sparten Prosa, Lyrik, Essay oder Dramatik gewinnen, bisher ist es aber stets Prosa geworden. Heuer waren zudem überhaupt nur Prosawerke für die Shortlist nominiert. Da könnte man demnächst einmal mehr Mut zur Vielfalt beweisen.

Typisch österreichisch

So war die Vergabe des Buchpreises im Großen und Ganzen wieder einmal ein bisschen wie die heimische Literaturszene selbst. Während es beim deutschen Pendant eher sachlich und nüchtern zugeht, garniert mit ein paar politischen und branchenspezifischen Geleitworten, wurde am Montagabend charmant musiziert, und – das war neu – es wurden in Hörspielqualität von den Moderatoren Philipp Hauß und Dorothee Hartinger Textauszüge aus den nominierten Titeln zusammen mit Schauspielstudierenden vorgetragen. Barock, das kann man in Österreich!

Und auch die Politik kam zu Wort. Da durfte Kulturstaatsekretärin Andrea Mayer (Grüne) an den Gastlandauftritt Österreichs auf der Leipziger Buchmesse im Frühjahr erinnern und auf eine Befragung ihres Ministeriums zum Publikumsverhalten in puncto Kultur verweisen, die zutage förderte, dass 34 Prozent der Befragten täglich oder mehrmals wöchentlich ein Buch läsen, weitere 20 Prozent immerhin mehrmals im Monat. "Das, finde ich, ist eine gute Nachricht", sagte Mayer. (Michael Wurmitzer, 6.11.2023)