Gwyneth Paltrow kleidete sich im Prozess unauffällig luxuriös.
Auslöser des aktuellen Hypes um "Quiet Luxury" waren im Frühjahr die Prozessauftritte von Schauspielerin Gwyneth Paltrow. Sie kleidete sich im Prozess unauffällig luxuriös.
Reuters

Ein schlichter Rollkragenpullover, eine Wildledertasche in Schwarz, ein Blazer aus Wolle mit Knöpfen aus Horn. Ende Oktober ging A1, die erste, 150 Kleidungsstücke umfassende Kollektion der Modedesignerin Phoebe Philo online. Das Debüt der ehemaligen Céline-Designerin war mehrmals verschoben worden, die Aufregung entsprechend groß. Die Mode fiel allerdings dezent aus. Die Entwürfe der britischen Designerin kommen ohne Logos und Schnickschnack aus. Die Preise hingegen bewegen sich in himmlischen Höhen. Blazer 3.000 Pfund. Rollkragenpullover 1.100 Pfund. Wildledertasche 5.800 Pfund. Das Argument: Qualität made in Italy kostet. 24 Stunden später ist das halbe Sortiment ausverkauft.

Das Comeback der Britin kam zum richtigen Zeitpunkt. Mit ihrem Label dockt Phoebe Philo an die Welt des leisen Luxus an. "Quiet Luxury" ist nicht neu, fand aber in der Regel hinter verschlossenen Türen statt – in den Villen von Hietzing, Döbling oder den Hamptons. Laut ist dort schon lange out, der stille Luxus kein Gesprächsthema.

In unsicheren Zeiten aber frönen immer mehr Menschen mit Geld dem unauffälligen Wohlstand. Es gilt, sich abzusetzen von Bling-Bling, Protzerei und Logos, den nach Aufmerksamkeit schreienden Looks auf Tiktok, dem neureichen Image der Kardashians. Der diskrete Luxus fasziniert – und er provoziert. Kaum ein Modephänomen wurde im vergangenen Jahr in den sozialen Netzwerken ähnlich leidenschaftlich diskutiert. Die Vogue bezeichnete "Quiet Luxury" als den "wohl größten Trend des Jahres", die Faz als das "Buzz-Word der Stunde". Mittlerweile ist der Hype so penetrant, dass er den leisen Luxus ad absurdum führt: Auf Tiktok trendet der Hashtag #QietLuxury mit mehr als 370 Millionen Aufrufen.

Einer der Katalysatoren: Die Prozessauftritte der Schauspielerin und Unternehmerin Gwyneth Paltrow. Sie stand im März in Utah wegen einer Ski-Kollision vor Gericht, die Öffentlichkeit aber verhandelte die täglich wechselnden Kleidungsstücke. Mal erschien Paltrow in einem dunkelblauen Samtblazer, dann in einem Lodenmantel oder einem Kaschmirpullover. Was auf den ersten Blick unscheinbar wirkte, entpuppte sich als teure Designerware. Und so war bald überall zu lesen: Paltrow in Prada, The Row oder Loro Piana, Spitzname "Uniqlo für Millionäre". Ob die Schauspielerin den Prozess wohl auch in einem Bling-Bling-Outfit von Philipp Plein gewonnen hätte?

Die "Anti-Kardashians"

Etwa zeitgleich startete die vierte Staffel der HBO-Serie Succession, die sich um die milliardenschwere Familie Roy dreht. Vorbild? Der Murdoch-Clan. Plötzlich war überall die Rede vom zurückgenommenen Look der Protagonisten. Kostümdesignerin Michelle Matland kleidete die Serienstars in Gabriela Hearst, Hermès, Max Mara, Bottega Veneta, in logofreie Baseballcaps und Kleidung von Loro Piana. Verachtet werden in der Serie eine "lächerlich geräumige" Burberry-Tasche mit Burberry-Check oder eine Moncler-Weste. In Interviews hat Matland die Familie als "Anti-Kardashians", als Superreiche, die es nicht nötig haben, mit Mode Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, bezeichnet.

Manchmal verschwimmen aber auch die Realitäten: Das italienische Modehaus Zegna engagierte Sucession-Darsteller Kieran Culkin als Werbegesicht, in der Rolle des Roman Roy hätte er einen solchen Job natürlich nicht angenommen. Meist aber agieren die Modeunternehmen ebenso dezent wie ihre Kundschaft. Ein Spaziergang durch die Wiener Innenstadt führt vor: Die Puppen in den Schaufenstern von Marken wie Loro Piana oder Brunello Cucinelli sind gehüllt in unauffällige Strickware. "Je luxuriöser die Marke, desto subtiler sind die Logos", sagt Christoph Fuchs, Professor für Marketing an der Universität Wien. Noch dazu ist kein einziges Preisschild neben den Puppen platziert. Wieso auch? Wer in der Welt der Luxusmodehersteller einkauft, muss sich um eine Null mehr keine Gedanken machen.

Ausschnitt HBO-Serie
... und die HBO-Serie "Succession".
HBO

Österreich ist für Modefirmen ein attraktiver Standort, laut der Onlineplattform Statista beträgt der Umsatz mit Luxusmode hierzulande etwa 1,07 Milliarden Euro, Tendenz steigend. In fünf Jahren soll er bei 1,4 Milliarden Euro liegen. Auch Marken wie das Hamburger Kaschmirlabel Iris von Arnim sind nun in Wien aufgeschlagen. "Die Nachfrage nach Luxus ist riesig", erklärt der Unternehmer Valentin Arnim anlässlich der Boutiqueeröffnung am Neuen Markt im November 2022. Die von Arnims sind dafür extra nach Wien gereist. Während des Gesprächs sitzen die Unternehmensgründerin und ihr Sohn auf einem Sofa im Hotel Sacher, zuvor war man mit Elisabeth Gürtler und anderen potenziellen Kundinnen zum Ladies-Lunch verabredet.

Ob es heutzutage schwer sei, Luxus zu verkaufen? Die von Arnims schütteln unisono die Köpfe. Der Verkauf sei nicht das Problem, es gebe eine extrem wohlhabende Oberschicht, erklärt das Mutter-Sohn-Gespann. Ihre Kundschaft sei zwischen 50 und 60 Jahre alt und ziemlich loyal. 120 Quadratmeter misst die neue Boutique im Windschatten der Kärntner Straße, hier gehen Pullover für 1.200 Euro über die Theke. Verändert habe sich, dass früher eine Mittelschicht diese Produkte gekauft habe, sagt von Arnim: "Das tut sie heute nicht mehr."

"Die Nachfrage nach Luxus ist riesig, es gibt eine extrem wohlhabende Oberschicht." – Valentin von Arnim, Unternehmer

Die sogenannte Mittelschicht ist für viele Luxusmodemarken nicht mehr die Kernzielgruppe. Wie ließe sich sonst erklären, dass Handtaschen so viel wie Kleinwagen kosten? "Luxusgüter sind sogenannte Veblen goods, bei denen ein höherer Preis teils zu einer höheren Nachfrage führen kann", erklärt Christoph Fuchs von der Uni Wien. Anders gesagt: Wenn es nach der Markttheorie des Ökonomen Thorstein Veblen geht, erscheint ein Luxusprodukt als attraktiver, wenn es teuer ist. In den vergangenen Jahren seien viele Preise erhöht worden, weil es eine "sehr hohe Zahlungsbereitschaft" gebe, sagt Fuchs.

Dass Firmen wie Chanel oder Louis Vuitton die Preise anheben, um das exklusive Image zu wahren, ist allerdings nicht neu. Schon vor einem Jahrzehnt hatte Jean-Jacques Guiony, damals Finanzvorstand bei Louis Vuitton, gegenüber dem Wall Street Journal erklärt, dass auf diese Weise eine übermäßige Verbreitung der Marke verhindert werden solle. Auch an der Preisgestaltung der Birkin Bag von Hermès lässt sich diese Entwicklung verfolgen. Kostete die Tasche in der Serie Sex and the City im Jahr 2001 4.000 Dollar, muss heute in etwa doppelt so viel Geld hingelegt werden – die Wartezeit auf das Modell kann zudem Jahre betragen.

Schwächelnde Billigmode

Die Superreichen schmerzt diese Entwicklung nicht. Während also die Billigmodeanbieter schwächeln und ihre Verkaufsflächen in den Innenstädten abbauen, hat die Luxusbranche Grund zum Jubeln. Im Jahr 2022 betrug der Umsatz des Konzerns LVMH 79,2 Milliarden Euro. Das entsprach einer Steigerung um 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Marken wie Loro Piana, Zegna oder Hermès gehören zu den großen Gewinnern des Konzerns. Auch an Phoebe Philos neuem Label hat sich LVMH einen Anteil gesichert. Beim Tochterunternehmen Céline hatte sich die 50-Jährige schließlich in den Zehnerjahren einen Kultstatus erarbeitet.

Traumpaar des diskreten Luxus: Carolyn Bessette Kennedy und John F. Kennedy Jr. im Jahr 1999.
Traumpaar des diskreten Luxus: Carolyn Bessette Kennedy und John F. Kennedy Jr. im Jahr 1999.
imago/ZUMA Press

Carolyn Bessette Kennedy wäre möglicherweise eine gute Kundin von Phoebe Philo gewesen. Die US-Amerikanerin, die zu den schillerndsten New Yorkerinnen der Neunzigerjahre gehörte und 1999 mit ihrem Mann John F. Kennedy Jr. bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, gilt bis heute als modisches Vorbild. Die New York Times bezeichnete sie unlängst als "Ghost Influencerin". Auf dem Instagram-Account @carolynebessette (54.000 Followerinnen und Follower) wird ihr Stil nämlich bis heute von einem New Yorker Designer hochgehalten.

Bessette Kennedys diskret luxuriöser Lifestyle trifft nun wieder einen Nerv. Die US-Amerikanerin legte Wert auf ihre Privatsphäre, ihre Outfits setzte sie aus etwa 40 Kleidungsstücken zusammen, Prada-Mänteln, Jeans und teuren weißen Blusen. Dass sich nun ein neues Coffeetablebook vor der Stilikone Bessette Kennedy verbeugt? Und fast zeitgleich ein Buch über Jil Sander, die "Queen of Less", erscheint? Dürfte auch der aktuellen Begeisterung für "Quiet Luxury" geschuldet sein.

Rückkehr des Minimalismus

"Wie Logo-freier Luxus den Modemarkt neu gestaltet", schrieb unlängst das britische Modeportal Business of Fashion. Schwer verkäufliche Exzentrik hat ausgedient. Bestes Beispiel für diese Trendwende ist der Neubeginn bei der Kering-Marke Gucci. Sabato De Sarno, der neue Kreativchef der Marke, ersetzte in seiner ersten Kollektion die Gucci-Weirdness durch graue Hoodies und Minishorts. Das Augenmerk liege bei ihm auf Material, Form und Silhouette, erklärte der Italiener. Bei der Luxusmarke Bottega Veneta wiederum verursachte vor einem Jahr die größte Aufregung eine Hose, die aussah wie eine einfache Jeans – sich dann aber als edle Lederhose entpuppte. 5.200 Euro kostet das Beinkleid, Trompe-l'Œil-Effekt inklusive.

Der diskret luxuriöse Lifestyle trifft nun wieder einen Nerv.
Der diskret luxuriöse Lifestyle trifft nun wieder einen Nerv.
Midjourney / Tobias Burger

Mittlerweile ist der "leise Luxus" allerdings auch ein Fast-Fashion-Trend. So bietet die chinesische Marke Shein "Quiet Luxury" zu Spottpreisen an. 9,50 Euro kostet hier ein schwarzer Blazer, der in Tiktok-Clips als "Old Money"-Uniform durchgehen dürfte. Auf der Social-Media-Plattform übt "altes Geld" eine besondere Anziehungskraft auf junge Menschen aus. Unter dem Hashtag #OldMoneyVsNewMoney wird der Stil des alten Geldadels mit jenem der Neureichen verglichen. Anti-Establishment ist von gestern, "How to Dress Like Old Money" zum Volkssport geworden. Produkte, die für Stabilität und Reichtum stehen, werden als edgy Accessoires eingesetzt. Möglicherweise überführen die "How to Dress Like Old Money"-Videos den "leisen Luxus" als das, was er eben auch ist: eine ziemlich gefinkelte Form des Angebens. (RONDO, Anne Feldkamp, 10.11.2023)