SPÖ-Chef Babler
Partei auf Schrumpfkurs? Manche Sozialdemokraten finden die bisherige Entwicklung ernüchternd.
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In den vergangenen Tagen liefen in der SPÖ die Telefone heiß. Reihenweise, so erzählt es ein Funktionär, hätten Delegierte mahnende Anrufe aus der eigenen Bezirksorganisation erhalten. Anders als beim letzten regulären Parteitag vor gut zweieinhalb Jahren sollten ja nicht wieder zu viele Teilnehmer zu früh nach Hause oder auf ein Bier gehen. Damals hatten sich die Reihen am Ende so gelichtet, dass das Event auf Hinweis eines Wiener Funktionärs mangels Beschlussfähigkeit jäh abgebrochen werden musste.

Zumindest so weit sind sich die Sozialdemokraten einig: Noch eine peinliche Panne darf sich die Partei in ihrer Situation nicht erlauben.

Doch wie steht es darüber hinaus um die Geschlossenheit der SPÖ? Einen Gradmesser bietet das kommende Wochenende. In Graz will sich Andreas Babler als Parteiobmann bestätigen lassen. Je mehr der 613 Delegierten ihm die Stimme geben, desto stärkeren Rückenwind darf er sich erhoffen: positivere Schlagzeilen in den Medien, größeres Engagement der Genossinnen und Genossen im kommenden Wahljahr. Habe Babler diese Hürde erst einmal genommen, prophezeit ein Genosse, könne er freier agieren: "Dann muss er nicht mehr ständig auf alle Befindlichkeiten in der Partei Rücksicht nehmen."

Die Ausgangslage: Rückstand auf die FPÖ

Geht es nach den Umfragen, könnte diese definitiv besser sein. Auch nach fünf Monaten Babler liegt die SPÖ konstant und klar hinter der führenden FPÖ, und das trotz – Stichwort Inflation – günstig erscheinender Themenlage. Doch was nach Stagnation aussieht, werten Optimisten in der Partei durchaus als Teilerfolg.

Schließlich gelte es die Vorgeschichte in Rechnung zu stellen: Die Grabenkämpfe um die Führung der SPÖ waren bei der Kampfabstimmung zwischen Babler und Hans Peter Doskozil am Parteitag im Juni in einem Desaster kulminiert. Der denkwürdige Auszählungsfehler machte erst den Falschen zum Chef – und gab die Partei der Lächerlichkeit preis. Angesichts dessen, so die wohlwollende Lesart, seien die zuletzt stabilen 24 Prozent mit deutlichem Vorsprung auf die ÖVP nicht der schlechteste Zwischenstand.

Das Ziel: Hoffen auf Rückenwind

Hauptsache, besser als beim letzten Mal, hat Babler einmal gesagt, doch das ist ein Schmäh: Sollte das Resultat nicht weit über den 52,7 Prozent aus dem Duell mit Doskozil in Linz liegen, wäre das ein riesiges Misstrauensvotum. Unter gut stellt man sich in seinem Lager ein Resultat im Bereich von 85 Prozent vor.

Zum Vergleich: Zu Zeiten von Franz Vranitzky (90,5 bis 98,5 Prozent), Alfred Gusenbauer (88,9 bis 99,6 Prozent) und Christian Kern (96,8 Prozent) waren die Zustimmungsraten durchwegs höher, Werner Faymann hingegen blieb bei seinen letzten beiden Parteitagen bei 83 und 84 Prozent picken – trotz Kanzlerbonus. Am schlechtesten kam Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner weg: Von Führungsdebatten gebeutelt, erreichte sie 2021 lediglich 75,3 Prozent. 

Die Gegner: Doskozil hat noch Fans

Zweifellos gibt es in der SPÖ Funktionäre, die Babler für den Falschen an der Spitze halten – schließlich sind die Doskozil-Anhänger nicht mit einem Schlag ausgestorben. Gleich sieben von neun roten Landesparteichefs hatten sich vor dem Showdown im Juni für den burgenländischen Rivalen ausgesprochen.

Mancher lässt das den Mann ganz oben bis heute spüren. Der Tiroler SP-Chef Georg Dornauer stilisiert sich zum "Anti-Babler" ("Die Presse"), mit Doskozil selbst ist keine Versöhnung in Sicht. Sogar mit Michael Ludwig, einem Unterstützer aus der Kampfabstimmung, gab es einen Clinch. Der Wiener Statthalter stemmte sich gegen Bablers basisdemokratische Pläne – und verabschiedete sich unlängst aus den Führungsgremien der Partei.

Doch Unzufriedenheit muss nicht bedeuten, dass dem Vorsitzenden ein "Streichkonzert" – also massenhaft verweigerte Zustimmung – droht. Denn selbst Delegierte, die Babler für eine Fehlbesetzung halten, werden womöglich die Folgen einer öffentlichen Protestaktion bedenken: Wem hilft es, wenn sie die SPÖ in die nächste Krise stürzen?

Die Streitfragen: Zweifel am Realismus

Die SPÖ entscheidet am Parteitag nicht nur über den Vorsitzenden sowie die Besetzung von Vorstand und Präsidium, sondern auch über die inhaltliche Ausrichtung. Insgesamt 169 Anträge von Bundespartei, Landes- und Bezirksorganisationen liegen vor. In einer Vorauswahl empfiehlt die parteiinterne, von Vizeklubchefin Julia Herr geleitete Antragskommission entweder die Zustimmung – oder die Zuweisung zur weiteren Debatte in einem Gremium, was in der Regel Entsorgung bedeutet.

Im Zentrum stehen die Leitanträge, in denen der Bundesparteichef seine künftige Linie skizziert. Das meiste davon, wie etwa ein höheres Arbeitslosengeld oder die Kindergrundsicherung, ist in der Partei unumstritten. Für ein Babler’sches Herzensprojekt gilt das aber nicht.

Grundsätzlich wird kaum ein Sozialdemokrat etwas gegen das Ziel der 32-Stunden-Woche haben. Doch viele teilen die Meinung Doskozils, wonach diese angesichts der Arbeitskräfteknappheit weder machbar noch sinnvoll sei und höhere Löhne Vorrang haben sollten. Eine Arbeitszeitverkürzung auf Knopfdruck für alle sei unrealistisch, argumentiert der rote Chefgewerkschafter Josef Muchitsch: Dafür fehle etwa in der Pflege und den Spitälern schlicht das Personal.

Der Leitantrag macht den Skeptikern die Zustimmung aber leicht, denn Babler hat seine Ansagen abgeschwächt. Von der 32-Stunden-Woche ist nun nicht mehr direkt die Rede, sondern von mit Unternehmen und Betriebsräten vereinbarten Pilotprojekten zur Arbeitszeitverkürzung. Auch eine sechste Urlaubswoche für alle steht im Forderungskatalog.

Widerstand, und zwar von den Wortführern der Wiener SPÖ, gibt es überdies gegen den Plan, die Parteivorsitzenden künftig von den Mitgliedern statt von den Parteitagsdelegierten wählen zu lassen. Doch damit ist keinesfalls gesagt, dass sich beim Votum am Samstag alle Wiener Vertreter der restriktiven Meinung ihres Chefs Ludwig anschließen werden. Intern soll dieser die Abstimmung freigegeben haben. Das heißt: Niemand müsse der Vorgabe von oben folgen.

Das Reizthema: Nichts Neues zu Asyl

"Humanismus statt Festung Europa" propagiert der Leitantrag in der Asylfrage, um in der Folge "legale Fluchtrouten" zu fordern. Ein liberalerer Kurs, der Anhänger einer restriktiveren Linie à la Doskozil abstoßen könnte?

Hinter den Formulierungen verberge sich nichts anderes als die Positionen aus jenem Papier, in dem einst der burgenländische Landeshauptmann selbst mit seinem Kärntner Amtskollegen Peter Kaiser die rote Linie festgeschrieben hatte, erläuterte Herr bei einem Hintergrundgespräch am Dienstag. Tatsächlich ist auch dort bereits von legalen Fluchtmöglichkeiten die Rede, und zwar über "Verfahrenszentren" nahe der Herkunftsregionen. Das Kaiser-Doskozil-Konzept sei nach wie vor gültig, betont Herr: "Nichts, was wir in unseren Leitanträgen forden, steht dazu in einem Widerspruch." (Gerald John, 8.11.2023)