Mehr als 200 leicht stilisierte Davidsterne wurden mit einer Schablone in blauer Farbe auf Fassaden in Paris und mehreren Vororten gesprayt. Die jüdische Gemeinschaft reagierte aufgebracht, erinnern sie die Wandinschriften doch an die Nazizeit. Ob Juden in den Wohnungen der betroffenen Häuser und Wohnungen zu wohnen, scheint nicht das erste Kriterium zu sein – es geht den Tätern offenbar mehr um den Abschreckungseffekt.

Vermehrt sind dieser Tage in Frankreich Davidsterne auf Hausfassaden zu sehen.
Vermehrt sind dieser Tage in Frankreich Davidsterne auf Hausfassaden zu sehen.
REUTERS/LUCIEN LIBERT

Das Ganze sieht nach einer konzertierten Aktion aus, weshalb die Staatsanwaltschaft Ende Oktober eine Untersuchung der Umtriebe eröffnete. Wie am Dienstag bekannt wurde, glückte es der Polizei, zwei jüngere Personen auf frischer Tat beim Sprayen zu ertappen und festzunehmen. Laut dem Radiosender France-Info handelt es sich um zwei 30-jährige Moldawier ohne Aufenthaltsbewilligung. Sie hätten erklärt, "ein Russe" habe sie mit der Sprayaktion beauftragt und dafür bezahlt.

Video: Davidsterne auf Häusern in Paris offenbar russischer Destabilisierungsversuch
AFP/DER STANDARD/mvu

Telefonat abgefangen

Die Staatssicherheit, die den Fall von der Staatsanwaltschaft übernommen hat, fing nach Medienberichten ein auf Russisch geführtes Telefongespräch mit einem Auftraggeber ab. Später habe die Polizei ein – nicht näher definiertes – Paar in einer ähnlichen Lage gestellt; es habe sich aber ins Ausland abgesetzt, bevor es befragt werden konnte.

Laut France-Info gehen die Geheimdienste davon aus, dass es sich um einen "Destabilisierungsversuch russischer Herkunft" handelt. Die Absicht bestand offenbar darin, den Nahostkonflikt in die Banlieuezonen um Paris, Marseille oder Straßburg zu holen, indem die Gemeinschaften der französischen Juden und Muslime – die jeweils größten Europas – gegeneinander aufgewiegelt werden.

Frankreich wird regelmäßig Zielscheibe russischer Attacken – womöglich, weil das Einwanderungsland im Kreml als ethnisch fragil und beeinflussbar gilt. So zirkulierten auf französischen Plattformen gestellte Fake-Videos russischer Herkunft mit angeblichen Vertretern der Gelbwesten-Bewegung. Nach Beginn des Ukrainekrieges kamen zudem gefälschte Titelseiten von Pariser Medien in Umlauf; eine Imitation des Satiremagazins "Charlie Hebdo" stellte den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj als Hund dar.

Präventivkrieg gegen Frankreich

Noch plumper ist der Versuch, Frankreich über das russische Staatsfernsehen zu bedrohen. Auf dem Sender Rossija 1 verlangte der bekannte Präsentator Wladimir Solowiew, dass Russland "gegen Frankreich einen präventiven Krieg" lanciere. Der Duma-Abgeordnete Andrej Guruljow sagte dazu: "Wenn wir Frankreich einmal geschlagen haben, hört das Ganze auf." Gemeint war wohl die französische Unterstützung der Ukraine.

In den französischen Ex-Kolonien Westafrikas führten regelrechte, von russischen Hackern orchestrierte Agitprop-Kampagnen dazu, dass die gegen Jihadisten kämpfenden Elitetruppen Frankreichs abziehen mussten. In Mali und Burkina Faso wurden sie durch Söldner der russischen Wagner-Truppe ersetzt.

Das Außenministerium in Paris wirft dem russischen Präsidenten Wladimir Putin heute unverhohlen vor, er führe gegen westliche Länder einen "hybriden Krieg" aus Propaganda, Desinformation und systematischen "Staatslügen". Das hinderte die Rechtspopulistin Marine Le Pen nicht daran, für den Präsidentschaftswahlkampf 2017 Geld einer russischen Bank anzunehmen. Das französische Newsportal "Mediapart" enthüllte kürzlich die Existenz von E-Mails, die einen direkten Bezug zwischen dem Millionenkredit für Le Pen und dem Putin-Vertrauten Alexander Babakow belegen.

Putin will die EU spalten

Der Europaabgeordnete Raphael Glucksmann erklärte, dass Putin in einzelnen Ländern auch deshalb Ängste und Spannungen zu schüren versuche, weil dies xenophoben und prorussischen Kandidaten wie Le Pen und Éric Zemmour in Frankreich oder Viktor Orbán in Ungarn Auftrieb verleihe. Zudem spalte der russische Präsident auf diese Weise die Europäische Union, fügte der Abgeordnete der Linkspartei Place Publique an: "Putins Ziel ist, die EU zu zersetzen."

Glucksmann rechnet auch mit russischen Störmanövern vor den Europawahlen des nächsten Jahres. "Die russische Destabilisierungspolitik wird sich auf die Migration konzentrieren", schätzt er mit Verweis auf die russischen Umtriebe in Transitländern wie Mali, Libyen und Belarus.

Die EU-Kommission hat im September ihre Besorgnis über die zunehmende Desinformation auf sozialen Medien wie X (ehemals Twitter) ausgedrückt. Sie rief die Plattformen dazu auf, gegen die russischen Manipulationen vorzugehen. Google eruierte Anfang dieses Jahres 400 Youtube-Kanäle, die zur russischen Einflusssphäre gehören sollen. (Stefan Brändle aus Paris, 9.11.2023)