Die Ankündigung erregte zu Recht Aufsehen: Ein Team der Universität Rochester im US-Bundesstaat New York beschrieb im März 2023 in einer Studie im Fachjournal "Nature" ein neues Material aus den Elementen Wasserstoff, Stickstoff und dem zu den seltenen Erden gehörenden Metall Lutetium. Die Daten schienen zu zeigen, dass die Verbindung bei Raumtemperatur keinen elektrischen Widerstand aufweist. Strom könnte also ungehindert fließen. Das ist zwar mit anderen Materialien bereits heute möglich, allerdings nur mithilfe aufwendiger Kühlmethoden. Eine solche Entdeckung könnte zahlreiche Anwendungen ermöglichen, etwa im Energiesektor oder in Form neuer Computertechnologien. Der hohe Druck von einem Gigapascal, umgerechnet 10.000 Bar, war um ein Vielfaches geringer als bei früheren Versuchen.

Eine kleine Pille eines supraleitenden Materials schwebt über einem großen Ringmagneten.
Supraleiter schweben über Magnetfeldern. Doch auch andere Materialien haben diese Eigenschaft.
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Schon damals gab es allerdings Zweifel an den Ergebnissen. Gruppenleiter Ranga Dias hatte bereits mehrmals mit aufsehenerregenden Arbeiten zu Supraleitern von sich hören gemacht, doch die Resultate konnten von anderen in diesem Bereich aktiven Forschungsgruppen nicht reproduziert werden. Zudem hatten frühere Studien aufgrund von Mängeln zurückgezogen werden müssen.

Kollegen zweifeln an Korrektheit

Dass das renommierte Journal "Nature" die Studie von März überhaupt veröffentlichte, war also nicht selbstverständlich. Nun geschah, was manche bereits vermutetet hatten: Auch diese Studie musste zurückgezogen werden. Es waren die Co-Autoren und -Autorinnen von Dias, die darum baten, die Studie zurückzuziehen. Davon berichtet das Nachrichtenportal von "Nature", dessen Team von jenem des Fachjournals unabhängig ist.

Acht der Studienautoren machten sich für diesen Schritt stark. In der Begründung des Journals heißt es, sie hätten "als Forscher, die an der Arbeit mitgewirkt haben, die Ansicht geäußert, dass die veröffentlichte Arbeit die Herkunft der untersuchten Materialien, die durchgeführten experimentellen Messungen und die angewandten Datenverarbeitungsprotokolle nicht korrekt wiedergibt". Die Integrität der Arbeit sei dadurch beeinträchtigt.

Schlechte Nachrichten aus Korea

In der Supraleiterforschung gab es zuletzt immer wieder spektakuläre Nachrichten von möglichen Durchbrüchen, etwa von einer koreanischen Forschungsgruppe. Hier war nicht nur von einem Supraleiter die Rede gewesen, der bei Raumtemperatur funktionieren sollte, erstmals sollte das auch bei Normaldruck möglich sein, was Anwendungen ganz plötzlich in greifbare Nähe rücken würde.

Die Arbeit war weitgehend unbemerkt von einem wenig bekannten koreanischen Fachjournal publiziert worden, hierzulande sorgte aber eine vorab auf einem Preprint-Server veröffentlichte Version für Aufsehen, vor allem in sozialen Medien. Dort verfolgten viele die Versuche von Forschungsgruppen in aller Welt, das Material herzustellen oder eine theoretische Erklärung für die beschriebenen Phänomene zu finden.

Das Rätsel dürfte inzwischen gelöst sein. Es handelt sich um ein ungewöhnliches Material, das tatsächlich einen starken Abfall des Widerstands sowie das für Supraleiter typische Schweben in einem Magnetfeld zeigt. Allerdings geht der Widerstand nicht auf null. Von einem Supraleiter kann also nicht die Rede sein. Das unvollständige Schweben lässt sich auf gewöhnlichen Ferromagnetismus zurückführen, wie ihn viele andere Materialien zeigen. Auch wenn die Gruppe aus Korea ihr Probenmaterial nach wie vor nicht anderen Gruppen zur Verfügung gestellt hat, ein Schritt, der letzte Zweifel ausräumen könnte, ist, inzwischen davon auszugehen, dass es sich nicht wirklich um Supraleitung handelt.

Ranga Dias erklärt hier einige der Techniken zur Erzeugung extrem hoher Drücke, wie sie auch zur Erzeugung der von ihm gesuchten Supraleiter benötigt werden.
Brown University Department of Physics

Glaubwürdigkeitsproblem

Während im Fall der Gruppe aus Korea von vornherein ein hohes Maß an Unsicherheit bestand, immerhin hatte die Arbeit noch nicht den Peer-Review-Prozess eines geeigneten Fachjournals durchlaufen, konnte man bei den Arbeiten der Gruppe um Dias sehr wohl annehmen, es mit einem seriösen wissenschaftlichen Resultat zu tun zu haben. Doch das war offensichtlich nicht der Fall.

Hat also der Peer-Review-Prozess, die obligatorische Begutachtung durch Fachleute vor der Veröffentlichung, hier versagt? Das Team des "Nature"-Journals rechtfertigt sich so: "Was der Peer-Review-Prozess nicht erkennen kann, ist, ob das Paper, so wie es geschrieben wurde, die durchgeführte Forschung korrekt wiedergibt."

Doch andere Fachleute betonen, es habe sehr wohl Anzeichen dafür gegeben, dass das nicht der Fall sei. So sei etwa die entscheidende Kurve, die den Abfall des Widerstands auf null zeigen sollte, unnötigerweise nachbearbeitet worden. Die Korrektheit dieser Einwände bestätigt man inzwischen auch bei "Nature".

Dias selbst wird derweil in anderen Fällen nicht nur die Fälschung von Daten in früheren Arbeiten vorgeworfen, er soll zudem bei seiner Dissertation abgeschrieben haben. 2021 zählte ihn das "Time"-Magazin noch zu den 100 Führungspersönlichkeiten mit dem größten Einfluss auf unsere Zukunft. Karl Ziemelis, der Chefredakteur für Physikthemen bei "Nature", sagt, die Entscheidung über eine Veröffentlichung sei oft schwer zu treffen. "Wir bemühen uns, eine unvoreingenommene Position einzunehmen und sicherzustellen, dass die Interessen der wissenschaftlichen Gemeinschaft stets unsere Überlegungen bestimmen", rechtfertigt sich Ziemelis.

Folgenlos ist so ein wiederholtes Scheitern des wissenschaftlichen Qualitätssicherungsprozesses wohl nicht. Fachleute im Feld der Supraleiterforschung sorgen sich um die Glaubwürdigkeit ihrer Arbeit und betonen, wie viel gute, seriöse Forschung es in diesem Bereich gebe. Auch die Veröffentlichungsarbeit von „Nature“ wird künftig mit kritischerem Blick betrachtet werden. (Reinhard Kleindl, 9.11.2023)