Aktuell wird in Österreich noch sehr viel fruchtbares Ackerland verbaut. Laut dem Chef der Hagelversicherung, Kurt Weinberger, waren es in den vergangenen zwei Jahrzehnten rund 72.000 Hektar. In 200 Jahren werde es keine Agrarflächen mehr geben, warnt Weinberger schon lange, und nennt raumordnungspolitische Fehlentwicklungen als Ursache.

Ein Acker in Wien-Donaustadt.
Rund 72.000 Hektar an landwirtschaftlichen Flächen wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten in Österreich verbaut. Die EU-Taxonomie-Verordnung schiebt dem nun einen gewissen Riegel vor.
Putschögl

In seinen jahrelangen Bemühungen um einen sparsameren Umgang mit Grund und Boden erhält er nun von der EU Unterstützung, genauer gesagt durch EU-rechtliche Vorgaben. Die Brüsseler Kommission hat 2022 die sogenannte Taxonomie-Verordnung (auch unter dem Begriff "ESG" bekannt) in Kraft gesetzt, die sechs Umweltziele der EU definiert (Klimaschutz, Klimawandelanpassung, Schonung der Wasserressourcen, Beitrag zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung von Umweltverschmutzung und Wahrung der Biodiversität) und Mindestanforderungen für Unternehmen enthält, die in bestimmten Wirtschaftsbereichen tätig sind. Der Bau- und Immobiliensektor nimmt hier eine tragende Rolle ein. Ihm gibt das EU-Regelwerk unter anderem vor, welche bauliche Qualität ein Gebäude aufweisen muss, um als "taxonomiekonform" eingestuft werden zu können. Beim Neubau spielt aber etwa auch der Bodenverbrauch eine große Rolle.

Und genau hier wurde kürzlich gehörig nachgeschärft. Ende Oktober wurden im Amtsblatt der EU zwei Dokumente mit Fragen und Antworten zur Anwendung und Auslegung der Taxonomie-Verordnung veröffentlicht, und eines davon hat es in sich. Es stellt nämlich klar, dass landwirtschaftliche Böden von mittlerer bis hoher Fruchtbarkeit nicht mehr verbaut werden dürfen, wenn vom Unternehmen, das dort zu bauen beabsichtigt, eine positive Taxonomieüberprüfung angestrebt wird. Das gilt vorerst also einmal für große Kapitalgesellschaften, die bereits jetzt dazu verpflichtet sind, die seit dem Vorjahr geltende Taxonomie-Verordnung einzuhalten – wird aber Schritt für Schritt ausgeweitet.

Der Spielraum ist weg

Bisher ließ das EU-Regelwerk einiges an Interpretationsspielraum zu. Deshalb herrschte im österreichischen Klimaschutzministerium die Ansicht vor, dass Neubauten auf landwirtschaftlichen Flächen auch dann taxonomiekonform sind, "wenn vor Bebauung entsprechende Entscheidungsgrundlagen im Sinne vorhandener raumplanerischer Instrumente nachvollziehbar vorhanden sind", also wenn es etwa bereits Flächenwidmungs- und Bebauungspläne gibt. So steht es in den Empfehlungen des Ministeriums vom vergangenen März.

Dass dieser Punkt selbst in dieser moderaten Auslegung schon erhebliche Auswirkungen auf zahlreiche Entwicklungsgebiete in Österreich haben werde, war den Verfassern klar und sei von "besonderer Brisanz", wie es hieß.

Und mit der nun erfolgten Klarstellung nimmt diese Brisanz nicht ab, sondern im Gegenteil werden die Zügel noch fester in die Hand genommen. Das Klimaschutzministerium wird seine Empfehlungen nun nachschärfen müssen und dies auch tun, wie dem STANDARD aus dem Haus von Ministerin Leonore Gewessler (Grüne) bestätigt wird.

ÖGNI sieht sich bestätigt

Und bestätigt sieht man sich auch in der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI). "Unabhängig von Baulandwidmungen oder Baubescheiden sind Neubauten ausschließlich aufgrund von Bodengutachten zu bewerten, die Meinung der Baubehörde spielt bei dieser Bewertung keine Rolle", freut sich Geschäftsführer Peter Engert. Die Position der ÖGNI, "die diese Auslegung seit dem Start ihrer Taxonomie-Gutachten im Jahr 2021 vertreten hat", sei damit bestätigt worden.

"Kein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen mit bestehender bzw. künftiger Verpflichtung zur ESG-Berichterstattung" werde es sich damit noch leisten können, fruchtbaren Boden zu versiegeln oder in Gebäuden eingemietet zu sein, die die Biodiversität verletzen, sagt Engert. Der ÖGNI-Geschäftsführer erhofft sich nun einen Push für das sogenannte Flächenrecycling und eine bessere Ausnutzung etwa von "eingeschoßigen Gewerbebauten", die es bekanntlich sonder Zahl in Österreich gibt. (Martin Putschögl, 10.11.2023)