Wenn Gerhard Egger etwa angeknabberte Sträucher, verbissene Bäume, Trittspuren oder Dunghaufen im Marchegger Auenreservat in Niederösterreich erspäht, freut er sich. Denn er sieht darin weit mehr als kaputtes Gehölz, zertrampelten Boden oder stinkende Kothaufen – der Vegetationsökologe weiß um die positiven Auswirkungen dieser Spuren. Denn sie stammen von 25 Pferden, die der WWF vor acht Jahren in dem Naturschutzgebiet angesiedelt hat.

Die Idee der Naturschützer: Die sogenannten Koniks, eine Pferderasse, deren Vorfahre das europäische Wildpferd Tarpan ist, sollen die Artenvielfalt in den March-Thaya-Auen erhalten und sogar steigern – und das einfach nur, indem sie Gras, Blumen und Hölzer fressen und wieder verdauen und sich hernach in der Erde wälzen. So würden sie neuen Lebensraum schaffen und die Mahd ersetzen.

Letztere will Egger in den Marchauen ohnehin, so gut es geht, vermeiden. Sein Motto lautet "Motor raus, Pferd rein". Maschinelles Mähen ziehe im Gegensatz zu natürlichen Weiden ungewollt scharfe Grenzen zwischen Wiese und Wald, außerdem überlebten viele Insekten den Mäher nicht.

25 Koniks leben auf knapp 80 Hektar in den March-Thaya-Auen in Niederösterreich. Sie fressen Flächen leer und schaffen somit Lebensraum, in ihrem Dung fühlen sich zudem Insekten wohl.
WWF/Gerhard Egger

Von den 1100 Hektar können sich die Pferde auf knapp 80 Hektar frei bewegen. Zu Beginn waren es fünf Stuten und drei Hengste, mittlerweile hat sich die Herde auf 25 Pferde ausgedehnt, und dabei wird es vorerst auch bleiben – die Tiere sind mittlerweile kastriert. Man betreibe zwar Prozessschutz, was bedeutet, dass die Tiere so naturnahe wie möglich leben sollen, ab und an müsse man aber doch eingreifen, sagt Egger. Die halbwilden Pferde grasen ganzjährig im Naturschutzgebiet und werden nur in äußersten Ausnahmefällen gefüttert. Ursprünglich stammen sie aus Polen. Sie sind robust, trotzen der Kälte sowie Hitze.

Für den Vegetationsökologen ist das Experiment bereits geglückt. Anstatt wertvollen Boden niederzutrampeln und Pflanzen nur kurz und kleinzufressen, haben die Pferde die "Vegetation durchmischt und wiederbelebt". Das belegt auch das Monitoring-Programm, das mit den Pferden eingeführt wurde.

Mehr Biodiversität

Jurrien Westerhof ist Teil des Monitoring-Teams und leitet das Projekt im Naturschutzgebiet und veröffentlicht seine Ergebnisse jährlich in einem Bericht. Im Jahr 2022 konnte ein Drittel der Pflanzen- und Tierarten in diesen neu geschaffenen Nischen entdeckt werden – und zwar an durchaus überraschenden Stellen nämlich direkt auf dem Dung und in den Trittspuren der Pferde. "In diesen Mikrolebensräumen leben zwar weniger Arten als auf anderen Flächen, doch viele Spezies kommen ausschließlich hier vor", sagt Westerhof. Die Artenvielfalt auf der naturnah beweideten Fläche sei beträchtlich gestiegen. Außerdem seien dort häufiger gefährdete Arten zu finden.

Ohne Beweidung, schätzt der Kulturtechniker, würden sie sehr wahrscheinlich gänzlich fehlen. Die Beweidung habe 2022 auch einen neuen Brutrekord bei den Weißstorchen gebracht: 2,77 Jungvögel flogen pro Storchenpaar aus.

Gefährdete Pflanzen wie der Orchideenweiderich oder der Wilde Wein konnten nachgewiesen werden, und auch der Kleinblüten-Klee, der als verschollen galt, sowie das Acker-Knorpelkraut, das seit 50 Jahren verschwunden war, wachsen wieder. "Klar schreckt es einen, wenn das Pferd dann genau an dieser Stelle frisst, aber so ist das eben", sagt Egger. Sorgen bereitet hätte dem Ökologen zu Beginn der Testphase vor allem der Dung der Pferde. Doch als mit den stinkenden Haufen auch die Dungkäfer gekommen sind, haben die fleißigen Insekten alle Sorgen mitsamt kleinen Kotteilen in der Erde vergraben und den Boden damit befruchtet.

Pferde trinken am Wasser
Die Pferde werden nur in Notfällen gefüttert. Sie ernähren sich von den Gräsern, Sträuchern und den Bäumen im Naturschutzgebiet.
WWF/Gerhard Egger

Wiesenvögel statt Schweinehaxen

Dass große grasfressende Weidetiere weit mehr sind als nur Trampeltiere, davon ist auch Edgar Reisinger überzeugt. Der deutsche Biologe setzt sich seit Jahrzehnten für mehr wilde Weiden ein.

Seiner Meinung nach sei auch das Renaturierungsgesetz der EU, das mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen zu natürlichen Lebensräumen rückführen will, "nicht ohne Weidetiere" möglich. Sein Vorschlag: landwirtschaftliche Flächen, die für die Produktion nicht hochwertig sind, in Grünland umwandeln und daraus extensiv genutztes Weideland machen.

Die Vorteile seien mannigfaltig: Biodiversität werde ebenso wie Gewässerqualität gesteigert; der Tritt der Weidetiere fördere die Strukturierung in den Gewässern, und die würden dadurch revitalisiert. Und neben dem Klimaschutz bildeten sich auch Erholungslandschaften, was nicht zuletzt gut für den Tourismus in Österreich sei. Dafür, so Reisingers Vorschlag, muss den Landwirten aber ein Angebot gemacht werden, damit sie mit diesen umgewidmeten Flächen auch Geld verdienen können. "Der Landwirt produziert dann nämlich nicht mehr vorrangig Schweinshaxen, dafür aber edles Rinderfleisch und fördert selten gewordene Wiesenvögel und damit Biodiversität und Naturschutz. Davon muss sein Hof leben können, ansonsten schaffen wir das nicht", sagt der Biologe.

Im Naturschutzgebiet der Marchauen musste zwar kein Ackerland für die Pferde umgewidmet werden, trotzdem wurde einem benachbarten Landwirt ein Angebot gemacht. Vinzenz Harbich nutzt die rund 80 Hektar, auf denen die Koniks grasen, ebenfalls für seine Mutterkühe und Kälber. Läuft alles nach Plan, grasen sie dort einige Wochen pro Jahr.

Invasive Arten

Der Vorteil: Sie fressen andere Pflanzen als die Pferde und räumen somit den Weg für weitere Gräser, Blumen und Lebensräume für Insekten frei. Der Nachteil der naturschutzgenutzten Weide ist allerdings, dass der Landwirt die Flächen wechseln und im Winter Futter zukaufen muss – das treibt seine Kosten in die Höhe.

In den vergangenen drei Jahren konnten sich die Rinder im Sommer in den Marchauen nicht sattfressen. Wegen langer Trockenphasen gab es nicht genug Pflanzen. Harbich steht trotzdem hinter seinem Konzept. Er hofft, dass seine Rinder im kommenden Jahr wieder mit den Pferden auf der Weide grasen können.

Darauf setzt auch Egger. Er hofft, dass die Rinder die invasiven Arten – derzeit zählt er zwölf in den gesamten March-Thaya-Auen – in den Griff bekommen. Denn dann könnten die Flächen ausreichend Platz bieten für die 70 gefährdeten Arten, die im Naturschutzgebiet auf der roten Liste stehen. Die Pferde, glaubt Egger, könnten dem Artensterben der vergangenen Jahrzehnte entgegenwirken. (Julia Beirer, 17.11.2023)