Klara, Tobias und Fabian stehen auf einem Aussichtsturm vor einer Salzlacke und schauen durch ihre Fernrohre.
Klara, Tobias und Fabian legen sich auf die Lauer, um Vögel zu zählen.
Heribert Corn

Er kneift die Augen zusammen. "Ganz da hinten auf dem Feld. Neben dem Busch. Seht ihr das? Das Weiße. Was ist das?" Tobias Kirschner wird ganz aufgeregt und schaut seine zwei Kumpane Klara Beck und Fabian Heckenast fragend an. "Lass mich mal schauen", drängt Klara. Platzwechsel. Das Sichtgerät geht ihr bis zu den Schultern. Sie beugt sich nach vorne, der Rücken rund, die Ohren gespitzt. Jetzt ist Präzisionsarbeit gefragt. Millimeter um Millimeter verschiebt sie vorsichtig das Fernrohr. Auch Fabian zückt sein Handfernrohr und lehnt sich über das Geländer des Aussichtsturms. Vor ihnen: Pampa, verdorrtes Gras, eine Salzlacke, ein paar Büsche. Sonst weit und breit nichts. Alle werden still.

Vögel zu zählen und das Ergebnis in eine App einzutragen gehört zu ihrer wöchentlichen Aufgabe als Freiwillige des Umweltjahrs. Zehn Monate helfen sie nun im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel mit. Rund 100 junge Österreicherinnen und Österreicher haben jedes Jahr die Möglichkeit, ein solches freiwilliges Umweltjahr zu absolvieren. Man kann es als Ersatz für den für Männer verpflichtenden Grundwehrdienst oder den Zivildienst machen. Aber auch Frauen dürfen sich für das Programm melden. So wie Klara: "Ich habe gerade meine Matura gemacht und weiß noch nicht ganz, was ich studieren will. Da dachte ich mir, ein freiwilliges Umweltjahr wäre eine gute Überbrückung bis zum Studienbeginn." Ihre Mutter macht gerade die Ranger-Ausbildung beim Nationalpark Neusiedler See und brachte ihre Tochter auf diese Idee. Vorher hat Klara noch nichts von dem Programm gewusst.

Jugendlicher steigt auf einen Aufsichtsturm.
Um die Vögel besser zu beobachten, kann man auf die großen Aussichtstürme steigen, die rund um den Nationalpark aufgestellt sind.
Heribert CORN

"Ich erkenne nicht, welcher Vogel es ist. Wenn wir nachher noch mal kommen, sehen wir ihn vielleicht besser", meint Klara. Die drei geben sich vorerst geschlagen. Sie steigen vom Turm hinunter und gehen zum Auto. Das Fernrohr kommt in den Kofferraum des weißen E-Renault Kangoo. "Ich fahr dieses Auto sehr ungern", raunt Tobias. Lautlos und langsam schiebt sich das Fahrzeug über den sandigen Feldweg. Nächste Station: Zaun checken bei den Eseln. Glücklicherweise ist deren Koppel nicht zu weit weg. Denn der Nationalpark umfasst insgesamt rund 300 Quadratkilometer in Österreich und Ungarn. Umgerechnet sind das etwa 42.000 Fußballfelder.

"Obwohl ich hier schon mein Leben lang wohne, lerne ich hier sehr viel Neues über die Gegend", sagt Fabian. Er stammt wie Klara und Tobias aus den umliegenden Dörfern. Die beiden Jungs hatten keine Lust auf Militärdienst. Tobias schüttelt den Kopf: "Von Fremden regelmäßig angeschrien werden? Na danke." Beide wollten möglichst in der Gegend bleiben für ihr verpflichtendes Jahr. Durch Zufall erfuhren sie von dem freiwilligen Umweltdienst und waren sofort begeistert.

Tobias, Fabian und Klara räumen das Auto aus. 
Mit einem kleinen E-Auto fahren die drei zu ihren Stationen im Nationalpark.
Heribert Corn

Nach zwanzig Minuten Fahrt und vielen prüfenden Blicken auf den Zaun parkt Tobias das Auto vor der Eselweide. "Wir haben Glück! Da hinten sieht man sogar die Wasserbüffel! Sie sind heute nicht im Schilfgürtel unterwegs und sogar recht nah." Kauend oder grasend verweilen die massigen Tiere mit den großen geschwungenen Hörnern rund einen Kilometer entfernt. Durch den Zaun zu den Tieren zu gehen ist ihnen nicht erlaubt.

Für die Organisation des freiwilligen Umweltjahrs ist die Jugend-Umwelt-Plattform Jump zuständig. "Als wir 2012 mit dem Programm starteten, waren es nur rund zehn Jugendliche mit Gummistiefeln", meint lachend die Jump-Geschäftsführende für den Bereich Freiwilligenmanagement, Claudia Kinzl-Ogris. Dieses Jahr bewarben sich rund 300 Bewerberinnen und Bewerber. Aufgrund der Finanzierung und der Kapazitäten können jedes Jahr allerdings nur ein Drittel davon das Programm in Anspruch nehmen.

Für die Bewerbung muss man einen Lebenslauf und ein Motivationsschreiben einreichen sowie drei präferierte Einsatzstellen angeben. "Die Bewerbung war leicht, und alles lief sehr unkompliziert ab", meint Klara. Tobias machte auch einen Schnuppertag.

Fabian schaut durch das Fernrohr zu den Eseln.
Sehr nah kommt man an die Tiere leider nicht heran. Die Weide ist sehr groß und sollte nicht betreten werden.
Heribert Corn

Dabei durfte er gleich bei einem Highlight mithelfen: dem Vogel-Beringen und -Zählen. "Man spannt ein großes Netz auf. Dort fliegen dann alle möglichen Vögel hinein. Bei mir sind richtig viele reingeflogen." Er erzählt, wie sie die Kleinen aus dem Netz befreiten, die Tiere vermaßen, die Nummer an dem Fußring ablasen und in eine Datenbank eintrugen. Wenn ein Piepmatz noch kein Fußringerl hatte, wurde ihm gleich eines umgeschnallt. So kann die Population konstant überwacht werden.

Über 90 Einsatzstellen gibt es für das freiwillige Umweltjahr in ganz Österreich. Die meisten davon sind in Wien und Umgebung. Die Bandbreite der Organisationen ist sehr vielfältig: vom Sensen- und Mähverein über den WWF und die Universität für Bodenkultur Wien bis hin zu Tierschutzorganisationen oder der Landwirtschaftskammer Vorarlberg. Zwischen sechs und zwölf Monate darf man in der jeweiligen Organisation arbeiten.

Junger Erwachsener schaut durch ein Fernrohr.
Tobias Kirschner legt sich auf die Lauer, um Vögel zu beobachten und zu zählen.
Heribert Corn

"Mich hat überrascht, dass doch viele der Einsatzstellen mehr Bürojobs sind", sagt Klara. Tatsächlich ist Rumstiefeln im Nationalpark eher die Ausnahme. Stattdessen übernehmen die Freiwilligen oftmals die Social-Media-Betreuung, helfen bei der Öffentlichkeitsarbeit oder packen bei Veranstaltungen mit an. Auch im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel besetzen Klara, Tobias und Fabian sehr häufig das Informationszentrum – aber nicht nur.

Der Zaun bei den Eseln ist gecheckt. Nun geht es wieder ins Auto, weiter zu den Graurindern - füttern und schauen, ob es allen gutgeht. Ein paar Kälber toben, ansonsten steht die Herde friedlich kauend im Gehege. Die Freiwilligen hängen sich noch einen Moment über den Zaun und beobachten die Rinder. Bisher sind sie mit ihrer Entscheidung, das freiwillige Umweltjahr zu machen, sehr zufrieden. Am meisten Spaß machen ihnen die Klimaschutzvorträge mit den Schulklassen. Je nach Veranstaltung werden zum Beispiel CO₂-Experimente durchgeführt oder Wissen zu Vogelarten vermittelt.

Die drei lehnen am Zaun des Rindergeheges und schauen zu den Kühen.
Im Nationalpark Neusiedl gibt es nicht nur Vögeln zu beobachten, sondern auch Graurinder, Wasserbüffel und Esel.
Heribert CORN

"Es ist so cool, zu sehen, wie Volksschulkinder ein Aha-Erlebnis haben und zum Beispiel verstehen, was CO₂ ist und warum es schlecht für das Klima ist." Alle drei hat der Klimaschutz zwar vorher auch schon beschäftigt, aber mit dem Einsatz im Nationalpark ist ihr Interesse für das Thema um ein Vielfaches gestiegen. In der Schule wurde das Thema kaum behandelt. Leider, wie Fabian findet. "Je mehr ich lerne, desto wütender werde ich. Wütend, dass nichts passiert. Das selbst die einfachsten Maßnahmen einfach nicht umgesetzt werden."

Die Freiwilligen dürfen auch selbst Seminare besuchen. Sechsmal werden Workshops für die Freiwilligen angeboten, wo sie zum Beispiel Medienkompetenzen erlernen. "Eines hatten wir bereits, und es war sehr lustig. Wir haben sehr viele Übungen für den Gruppenzusammenhalt gemacht", sagt Klara.

Die drei jungen Erwachsenen stehen am Zaun der Rinderkoppel.
Fabian Heckenast, Klara Beck und Tobias Kirschner machen seit September 2023 ihr freiwilliges Umweltjahr im Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel.
Heribert CORN

Für den Einsatz bekommen die Freiwilligen rund 500 Euro pro Monat und ein kostenloses Klimaticket. Sie müssen 34 Stunden wöchentlich arbeiten. Die Einsatzstellen zahlen als Gegenleistung knapp 700 Euro pro Person an Jump.

Bei den Graurindern gibt es nun nichts mehr zu tun. Es geht wieder ab ins Auto. Einmal wollen die drei Freiwilligen noch zur Vogelbeobachtungsstelle fahren. Vielleicht erhaschen sie ja jetzt einen Blick auf das unbekannte weiße Federvieh. In den kommenden Wochen werden sie noch oft das Fernrohr auspacken. Denn hunderte bis tausende Kraniche, die vom Norden Europas zum Überwintern in den Süden fliegen, machen am Neusiedler See Rast. Klara lauscht und sagt: "Ich hör sie schon! Grugrugru!" Tobias richtet das Fernrohr wieder auf das unbekannte Weiße. Ist es vielleicht sogar ein einsamer, von seiner Gruppe verlassener Kranich? "Na ... Jetzt sieht man es: Es ist nur eine gewöhnliche Graugans", sagt Tobias lachend. (Natascha Ickert, 27.11.2023)