Grobien Schrefel die vielen Stimmen meines Bruders Bues Kosmos Theater Schauspielhaus
Leonard Grobien und Florentine Krafft spielen ein Geschwisterpaar, das die Kommunikation miteinander und die Beziehung zueinander überprüft – auch wegen einer beeinträchtigenden Krankheit.
Heike Mondschein

Sind die Stimmen von Ryan Gosling oder Bruce Willis tatsächlich so toll? Egal, der namenlose junge Titelheld im Stück Die vielen Stimmen meines Bruders von Magdalena Schrefel würde sich deren Stimmen gerne kapern. Nicht grundlos. Ein Gendefekt macht ihm jetzt, 24-jährig, das Sprechen immer schwerer; es droht der Stimmverlust. Gemeinsam mit seiner älteren Schwester sucht er im Stimmlabor nach einer neuen Stimme.

Die Geschichte beginnt aber anders. Sie beginnt bei der erzählenden Schwester, die ihren Bruder zum Thema macht und beschreibt. Wie er die Diagnose erhalten hat, welche körperlichen Einschränkungen ihn zudem betreffen, und dass der Gendefekt progressiv ist und jetzt eben auch den Stimmapparat betrifft: "Was wirklich, wirklich bescheuert ist."

Beschreiben und Zuschreiben

Es ist eine kluge Ouvertüre für einen Dramentext. Denn Schrefel verschraubt Prosa- und Dialogschnipsel so ineinander, dass die Blickrichtungen immer offen angelegt sind – und sich dadurch selbst verraten –, das Geschehen aber dennoch geschmeidig abläuft. Schrefels Text ist autobiografisch. Die 1984 in Wien geborene Autorin für Theater, Hörspiel und Erzählungen verarbeitet in diesem im September beim Kunstfest Weimar uraufgeführten und als Koproduktion von Kosmos-Theater und Schauspielhaus nun in Österreich Premiere feiernden Stück ihre eigene Geschwistergeschichte. Es geht um sie als schreibende Schwester und ihren Bruder, Valentin Schuster, der am Text mitgearbeitet hat.

Die vielen Stimmen meines Bruders verhandelt also auf mustergültige und lockere Weise Fragen der Repräsentation. Das impliziert auch das Bewusstsein dafür, wie Menschen adressiert und in welche Kontexte sie gerückt werden. Einmal bekennt die Schwester-Autorin (Florentine Krafft) ein, ihrem Bruder "Worte in den Mund geschrieben zu haben", weil das eleganter wirke. Generell hat der Bruder (Leonard Grobien) gut zu tun, sich Zuschreibungen vom Leib zu halten.

Protektiv-energisch

Eine luftig-blaue Leinwand (Bühne: Heike Mondschein) dient in der Inszenierung von Marie Bues und Anouschka Trocker als Projektionsfläche, ein Bühnenpodest mit Rampenmodulen bringt etwas Bewegung in die Szene, in der abseits einer Puppenfigur (Katharina Halus) an Bildgebung gespart wurde. Die protektiv-energische Stimme der Schwester bildet mit der zurückgelehnt-coolen des Bruders eine typische Dynamik ab. Ein sparsamer Abend, kaum sechzig Minuten, der insgesamt recht moderat verstreicht.

Die Inszenierung übersiedelt nach der Kosmos-Theater-Spielserie (bis Jänner) ab 14. Februar ins Schauspielhaus. Das ist ungewöhnlich, liegt aber nur in dem Umstand begründet, dass der Deal mit dem Kosmos bereits fixiert war, bevor Bues mit ihren Kollegen den Zuschlag als Leitungsteam des Schauspielhauses bekam. Pure friedliche Koexistenz also im sogenannten Pakt, der Plattform der Häuser darstellender Künste in Wien. (Margarete Affenzeller, 10.11.2023)