Amazonas-Wald und Sternenhimmel.
Die Wälder unserer Erde können gut vom Weltraum aus beobachtet werden.
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Ein Drittel der Landmasse unserer Erde ist von Wäldern bedeckt. Neben ihrer Rolle als wertvolles Habitat für zahllose Tier- und Pflanzenarten fungieren sie als riesige Wasser- und CO₂-Speicher. Doch kaum ein Lebensraum ist aktuell derart stark bedroht – einerseits durch Abholzung, andererseits durch den Klimawandel. Fallen ganze bewaldete Landstriche Hitze, Dürre und Bränden zum Opfer, befeuert das die Negativspirale erst recht. Europa ist von dieser Entwicklung besonders stark betroffen. Während in Südosteuropa der Waldbestand stetig abnimmt, setzten wiederholte Hitze- und Dürrewellen die europäischen Wälder zuletzt gesamt stark unter Druck.

Dass der Baumbestand – nicht zuletzt auch aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen – besonders geschützt werden muss, steht außer Frage. Forschende, aber auch die Politik stehen aber vor dem Dilemma, dass das Monitoring der Waldbestände schwierig ist. Baum- und Waldkataster haben in den meisten Ländern zwar eine lange Tradition. Sie werden in der Regel aber lokal verwaltet und vielerorts nur in Abständen von fünf oder gar zehn Jahren aktualisiert. Geht wertvolle Biomasse durch Extremereignisse verloren, auch Schädlingsbefall an geschwächten Bäumen zählt da dazu, bleibt dies im europäischen oder globalen Gesamtkontext oft jahrelang unentdeckt.

Wertvolle Daten aus dem Weltraum

Abhilfe könnte von weit oben, genauer gesagt aus dem Weltraum kommen. Zwar liefern die optischen Sensoren sowie Radargeräte von Satelliten wie Sentinel 1 und 2 nur Auflösungen von zehn bis 30 Metern. Durch die Kombination mit hochauflösenden Messungen wie etwa des Nasa-Programms GEDI, das fünf Jahre lang von der Raumstation ISS aus werkte, und Daten von Flugzeugen, Drohnen und Bodenstationen kann man Waldkarten mit bis zu drei Metern Auflösung erzeugen.

Jeder Baum der Erde könne so erfasst werden, sagte der renommierte Klimaforscher Philippe Ciais auf der Weltraumkonferenz Big Data From Space, die gerade in Wien stattfand. Das Ziel sind stets aktuelle, globale Biomasse- und Baumkarten, an denen sich über die Zeit ablesen lassen sollen, ob politische Maßnahmen fruchten.

Bäume in lichtem Wald
Praktisch jeder Baum kann aus dem All erfasst werden – möglich macht das künstliche Intelligenz.
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Elf Milliarden Bäume in der Sahara

Erste Ergebnisse fördern Erstaunliches zutage. So gelang es dem Team um Ciais erstmals, realistische Berechnungen des Einzelbaumbestandes außerhalb von Wäldern durchzuführen, die normalerweise in nationalen Baumkatastern nicht oder nur unvollständig erfasst werden. Dabei fanden sie heraus, dass in vielen Regionen Europas dieser Bestand bis zu 30 Prozent der gesamten Baumflächen ausmacht, gesamt immerhin eine Fläche von 60 Millionen Hektar.

"Diese Bäume schienen auf unserem Kohlenstoffradar bisher nicht auf. In unserer Gesamtstrategie, den CO2-Ausstoß zu senken, müssen sie berücksichtigt und beobachtet werden", sagt Ciais zum STANDARD. Mit derselben Analysemethode zählten die Forschenden elf Milliarden Bäume in der Sahara-Region. Auch alle Bäume Ruandas wurden so inventarisiert. Für Indien förderte die Auswertung der Periode 2010 bis 2020 jedoch Beunruhigendes zutage. 36 Millionen Bäume sind allein im vergangenen Jahrzehnt verschwunden. Sorgen bereitet aber auch Frankreich: 38 Prozent von neu gepflanzten Bäumen überleben die ersten Jahre nicht.

Durchbruch mit künstlicher Intelligenz

Dass diese detaillierte Auswertung mit optischen, multispektralen und Radardaten aus dem Weltraum überhaupt möglich ist, ist in erster Linie künstlicher Intelligenz und maschinenbasiertem Lernen zu verdanken. Dass die Algorithmen treffsicher sind, wie Stichproben und unabhängige Datenabgleiche zeigen, verblüfft auch den Physiker Ciais: "Da ich nicht aus dem Bereich KI und Deep Learning komme, tu ich mir immer noch schwer zu verstehen, wie diese Modelle aus den diversen Daten die richtigen Schlüsse ziehen können. Manchmal macht einen das fast verrückt."

Satellitenbild Waldbrand
Auch Waldbrände und andere Schäden können von Satelliten getrackt werden.
via REUTERS/EUROPEAN UNION/COPER

Als Herausforderung für die Algorithmen bleibt die Umrechnung des Baumbestandes in Biomasse. Zwar können Sensoren wie GEDI sogar die Baumhöhe aus dem All messen. Alte Bäume würden irgendwann aber mit ihrem vertikalen Wachstum aufhören und ähnlich wie der Mensch, so Ciais, in die Breite gehen. Und für diese Messung aus dem All fehlen teilweise noch die Instrumente.

"Selbst in Europa, wo wir nicht wie in den Tropen 60 Meter hohe Bäume haben, wird die Biomasse von alten Bäumen und Wäldern von Modellen stets unterschätzt", erklärt Ciais. Weitere Herausforderungen sind Wolken, die den optischen Blick aus dem All verdecken, aber auch die Diversität der Bäume.

Waldbeobachtung aus dem All

Auch in Österreich gab und gibt es zum Thema Wald bereits diverse Forschungsprojekte. Forschende von Joanneum Research entwickelten mithilfe von Satellitendaten das Waldmonitoring-System AlpMon, das Sturmschäden, aber auch Borkenkäferbefall quasi in Echtzeit erkennen kann. Das von der TU Wien geleitete Projekt Confirm wiederum nutzt Sentinel-Daten und kombiniert diese unter anderem mit der Wettervorhersage von Geosphere Austria, einer Einrichtung des Wissenschaftsministerium, um die Waldbrandgefahr bestmöglich einschätzen zu können.

Welch vielfältige Möglichkeiten die Daten aus dem All bieten, wurde auf der viertägigen Konferenz der europäischen Weltraumbehörde Esa mehr als deutlich. Die Veranstaltung, die mit Unterstützung von Forschungsförderungsgesellschaft FFG, der Plattform Austria in Space und dem Klimaschutzministerium nach Wien geholt wurde, verzeichnete mit über 700 Besucherinnen und Besuchern einen Rekord. Dutzende Forschende aus der ganzen Welt, aber auch Start-ups präsentierten ihre Lösungen, die von einem Dürre-Frühwarnsystem für die Alpen über bodennahe Luftverschmutzung bis hin zur Erkennung illegaler Müllhalden aus dem Orbit reichten.

Sentinel-Satellit über der Erde
Sentinel-Satelliten liefern wertvolle Daten zur Erdbeobachtung.
EPA

Streamingdienst für Afrika

Das Innsbrucker Unternehmen Geoville stellte das Esa-Projekt Dunia vor, das der afrikanischen Bevölkerung den Zugang zu den Copernicus-Satellitendaten erleichtern soll. Mithilfe der Daten können optimierte Anbaupläne für Getreide und andere Lebensmittel, aber auch Vorsondierungen für Infrastrukturprojekte erstellt werden.

Das Problem, das Rechenleistung und mobile Bandbreite in vielen Regionen Afrikas spärlich gesät sind, will Geoville mit innovativer Technologie lösen. Anstatt die hochauflösenden Bilder erst herunterladen und auf einem lokalen Gerät verarbeiten zu müssen, findet die rechenintensive Aufbereitung in Rechenzentren fernab, also in der Cloud, statt.

Erst das Endergebnis wird stark komprimiert an die Nutzerinnen und Nutzer weitergeschickt. Vergleichbar sei das mit Streaming-Diensten, die hochauflösendes Videomaterial ebenfalls mit relativ wenig Bandbreite an Haushalte liefern können. Teil des Projekts ist die ebenfalls vorgestellte Lösung "Earth Streamer", die mithilfe von Videotechnologien das Durchforsten von Satellitenbildern auch bei schlechter Internetverbindung und leistungsschwachen Endgeräten ermöglichen soll. (Martin Stepanek, 11.11.2023)