Sonnenaufgang Erde
Daten aus dem Weltall zeigen, dass es auf der Erde in diesem Jahr extrem warm geworden ist.
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Viele Rekorde und nichts zu gewinnen: Neue Hitzeextreme haben in diesem Jahr mehrmals für Aufsehen gesorgt. Am global gesehen heißesten Tag, dem 6. Juli, wurde eine Durchschnittstemperatur von mehr als 17 Grad Celsius gemessen. Jene Woche wurde zur heißesten Woche, der Juli zum heißesten Monat, der Sommer 2023 zum heißesten der Messgeschichte. Auch andere Monate überschritten die bis dahin gültigen Höchstwerte.

Schnell lag der Verdacht nahe, dass das gesamte Jahr ein neues Temperaturmaximum erreichen könnte. Dies bestätigt sich nun mit hoher Wahrscheinlichkeit. Das teilt Copernicus mit, das Erdbeobachtungsprogramm der EU, das im Rahmen seines Klimawandeldienstes Messdaten zur Verfügung stellt. In einer Aussendung von Mittwochfrüh heißt es, 2023 werde "so gut wie sicher das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen".

Exakte eigene Messdaten von Satelliten bezieht der Klimawandeldienst ab dem Jahr 1979 ein, aber auch Datensätze älterer Messungen werden berücksichtigt. Wetterstationen rund um den Globus liefern vor allem seit 1850 gute Messreihen. In Österreich reichen die regelmäßigen Messungen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG), heute Teil der Geosphere Austria, einer Einrichtung des Wissenschaftsministeriums, für das Tiefland bis ins Jahr 1768 zurück.

Der bisherige Temperaturverlauf stimmt gut mit den Projektionen der Klimamodelle überein – trotz der extremen Temperaturen im diesjährigen Sommer und Herbst, sagt Klimaforscher Marc Olefs von der Geosphere Austria auf STANDARD-Anfrage: "Für die zukünftige globale Erwärmung bedeutet das, dass wir hohes Vertrauen in die Projektionen der Klimamodelle haben können, was die Temperatur und direkt daraus abgeleitete Größen – zum Beispiel Hitzebelastung – haben können." Wie etwa der zusammenfassende Bericht des Weltklimarats IPCC 2021 aufzeigte, kommt es durch den Einfluss der menschlichen Treibhausgasemissionen bei einer Erwärmung um 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit 4-mal so oft zu Hitzeereignissen, die man sonst nur einmal alle zehn Jahre erwartet hätte. Außerdem treten 8- bis 9-mal so oft Ereignisse ein, die es sonst nur einmal in 50 Jahren gäbe. Erwartet wird bis zum Ende des Jahrhunderts aber derzeit eine globale Erhitzung um zwei Grad und mehr.

Sommer im Herbst

Hierzulande wird ebenfalls ein Höchstwert nach dem anderen übertrumpft, vor allem im Herbst. Der September war der wärmste der österreichischen Messgeschichte, Gleiches galt für den Monat Oktober (hier nachzulesen, mit interaktiven Grafiken). Am 2. Oktober 2023 hatte es im niederösterreichischen Langenlebarn 30,3 Grad. In Wien gab es im Oktober fünf Sommertage, also Tage, an denen es mindestens 25 Grad hatte.

International überstieg der Monat ebenfalls bisher gemessene Werte für diese Zeit des Jahres. Um 0,85 Grad war es global wärmer als im Oktoberdurchschnitt der Jahre 1991 bis 2020. Der bisher wärmste Oktober, der ins Jahr 2019 fiel, wurde übertroffen, um beachtliche 0,4 Grad. Eine noch höhere Temperaturanomalie als im vergangenen Oktober, also eine Abweichung der Monatswerte vom Referenzzeitraum in den Copernicus-Daten seit 1979, gab es nur einmal – und zwar im September 2023.

Grafik Weltkugel mit rötlich oder bläulich gefärbten Regionen. Vor allem auf der Nordhalbkugel war es 2023 im September viel wärmer als während der Vergleichsperiode, in Zentralasien etwa war es vergleichsweise kälter.
Noch nie war die Temperaturanomalie so groß wie im vergangenen September. Die Durchschnittstemperaturen der Regionen im September 2023 werden hier mit dem September-Durchschnitt des Vergleichszeitraums 2001 bis 2010 verglichen.
Frank Ramspott / Getty / Nasa Earth Observations

Wärmstes Jahr seit 125.000 Jahren

Einem aktuellen Klimareport im Fachjournal "Bioscience" zufolge dürften die Höchsttemperaturen erstmals seit 100.000 Jahren so hoch sein (DER STANDARD berichtete). "Wenn wir unsere Daten mit denen des IPCC (Weltklimarat, Anm.) kombinieren, können wir sagen, dass dies das wärmste Jahr der vergangenen 125.000 Jahre ist", wird Samantha Burgess, Vizedirektorin des Copernicus-Klimawandeldienstes, von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert. Die Studien, die der IPCC berücksichtigt, analysierten unter anderem Baumringe, Eisbohrkerne sowie Korallenablagerungen auf Klimadaten hin.

Zu den Extremwerten trägt derzeit ein Klimaphänomen bei, das alle paar Jahre auftaucht und für neue globale Temperaturrekorde sorgt. Die Rede ist von El Niño, dem "Christkind", das häufig kurz vor Weihnachten besonders heftig wurde. Es führt insbesondere in Australien und Teilen Asiens zu Hitze und starker Trockenheit, während es vor allem in Südamerika Überschwemmungen mit sich bringt.

El-Niño-Jahr

In El-Niño-Jahren wurden immer wieder Höchsttemperaturen erreicht, zuletzt 2016, das als bisher heißestes Jahr galt. Die bisher hohen Temperaturen dieses Jahres sorgen allerdings dafür, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Jahr 2023 diesen zweifelhaften Titel übernehmen wird.

Denn während ein warmer Herbst viele Europäerinnen und Europäer erfreute, brachten extreme Hitzetage weltweit Menschen an ihre Belastungsgrenze. Schon im Sommer 2022 kam es in Europa zu mehr als 60.000 Hitzetoten, in diesem Jahr dürfte der Wert noch höher liegen. Hitze belastet vor allem alte und sehr junge Menschen sowie Personen in besonders exponierten Berufen. Insbesondere in Kombination mit hoher Luftfeuchtigkeit können selbst Temperaturen bis 35 Grad für Gesunde riskant sein.

Von der Erwärmung ist nicht nur die Lufttemperatur betroffen. In den Ozeanen wird es ebenfalls immer heißer. Schon seit dem Frühjahr verläuft die Kurve der Meeresoberflächentemperaturen weit über dem Niveau bisheriger Messungen. Auch das Meereis in der Antarktis ist in diesem Jahr auf einem extrem niedrigen Level.

1,5-Grad-Schwelle naht

Die Erderhitzung, die vor allem Industrienationen seit dem 19. Jahrhundert stark vorantreiben, trägt ebenfalls zu den hohen Temperaturen bei. Ironischerweise wurde der Treibhauseffekt über Jahrzehnte wortwörtlich verschleiert, weil Ruß und andere Aerosole aus der Verbrennung Sonnenstrahlen in der Atmosphäre reflektieren und dadurch die Erde abkühlen. Nun, da die Luft sauberer geworden ist, heizt sich die Erde stärker auf.

Wie Copernicus berichtet, war der vergangene Monat im Vergleich zum geschätzten Oktoberdurchschnitt 1850–1900 sogar um 1,7 Grad wärmer. Es ist möglich, dass 2023 die 1,5-Grad-Grenze überschreitet. Theoretisch muss dies kein dauerhaftes Übertreffen dieses klimapolitisch wichtigen Schwellenwerts bedeuten. Praktisch rückt das 1,5-Grad-Ziel Fachleuten zufolge bereits in kaum erreichbare Ferne. Derzeitige Klimamodelle bilden künftige Änderungen in dem Ausmaß, wie man dies bereits sieht, außerdem oft unzureichend ab, sagt Olefs.

"Wir können mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass 2023 das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen sein wird und derzeit um 1,43 Grad über dem vorindustriellen Durchschnitt liegt", sagt Burgess. Hinsichtlich der bevorstehenden UN-Klimakonferenz COP 28 in Dubai betont sie, dass "die Dringlichkeit ehrgeiziger Klimamaßnahmen noch nie so groß wie heute" sei.

Drei Leitfragen für die Zukunft

Erst kürzlich machte eine Studie die Notwendigkeit von Klimawandelanpassungen erneut deutlich: Das Pariser Klimaziel wird früher als bisher gedacht verfehlt, das Kohlenstoffbudget für diesen Schwellwert "reicht" demnach nur mehr sechs Jahre lang. "Das bedeutet nicht, dass wir noch sechs Jahre Zeit haben, sondern dass wir die Emissionen jetzt radikal senken müssen, sonst müssten wir in sechs Jahren plötzlich zurück in die Steinzeit", sagt Olefs.

Die 1,5 Grad seien zwar "keine magische Grenze, oberhalb derer alles zu spät ist", gleichzeitig machen sie die Notwendigkeit großer Veränderungen deutlich, da jede Tonne zähle, betont der Klimaforscher. "Wir müssen möglichst dicht an den 1,5 Grad bleiben, weil die globalen Risiken für unsere Lebensgrundlagen sonst nicht mehr tolerierbar werden, und unser Wohlstand hängt von unseren Lebensgrundlagen ab."

Die Aussichten klingen für viele bedrohlich und können bei Einzelpersonen ein Gefühl der Machtlosigkeit verursachen. Dennoch müsse man alles daran setzen, die Krise in eine Chance umzuwandeln, sagt Olefs. Dabei gehe es um drei wichtige Leitfragen: "Welche gemeinsamen Werte wollen wir bewahren? Welche Vorteile ergeben sich aus den notwendigen Klimaschutzmaßnahmen? Und welchen Beitrag kann jeder Einzelne leisten?" Die wissenschaftlichen Fakten seien eindeutig, robust und unmissverständlich, "es fehlt jetzt nur der politische Wille". (Julia Sica, Daten: Robin Kohrs, 8.11.2023)