Grab mit Kreuz und vertrockneten Nelken
Im Sommer sorgen Hitzewellen für eine Übersterblichkeit, die sich berechnen lässt.
Mercedes Rancaño Otero / Getty

Die Sommer haben durch die Erderhitzung immer häufiger das Potenzial für Hitzewellen, die Menschen gesundheitlich stark belasten. Extremere Hitzeperioden, die vor der Industrialisierung nur alle zehn Jahre auftraten, sind heute etwa dreimal so wahrscheinlich und durchschnittlich um ein Grad wärmer. Die Zahl der Hitzetoten dürfte künftig steigen, wenn keine passenden Maßnahmen ergriffen werden, kritisierten Fachleute, die zuletzt mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle für den Sommer 2022 allein in Europa berechneten. Hier wird erklärt, wie man solche Zahlen ermittelt und welche Risiken mit den hohen Temperaturen einhergehen.

Frage: Woher weiß man, ob jemand unter dem Einfluss hoher Temperaturen verstorben ist?

Antwort: Zwar wird sich wohl in keinem offiziellen Dokument die Todesursache Sonnenstich finden, doch Hitze hat vielfältige Auswirkungen auf den menschlichen Körper (siehe unten). Für die Statistik können aber nicht einzelne Todesursachen evaluiert werden. Stattdessen wird aus den generellen Sterbedaten im Zusammenhang mit besonders heißen Wochen abgeleitet, wie viele Todesfälle es bei hohen Temperaturen "zu viel" gibt – die sogenannte Übersterblichkeit. Diese ergibt sich aus dem Vergleich mit ähnlichen Wochen früherer Jahre, in denen niedrigere Temperaturen vorherrschten. Im Zusammenhang mit anderen Faktoren werden entsprechende Modelle beispielsweise auch für Grippetote angewandt, da die Grippe keine meldepflichtige Krankheit ist. Auch die Übersterblichkeit durch Covid-19-Infektionen wurde mit vergleichbaren Methoden ermittelt.

Frage: Wie wirkt sich Hitze auf den Menschen aus?

Antwort: Insbesondere das Herz-Kreislauf-System wird belastet. Die Arbeit wird selbst bei körperlich wenig anstrengenden Bürojobs erschwert, der Schlaf wird unruhiger. Hinzu kommen können längerfristige Folgen von Sonneneinstrahlung wie Hautkrebs. Fachleute wie die Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann warnen davor, dass kühlere Regionen schlechter angepasst sind als heißere Zonen, in denen Menschen seit Jahrhunderten eher gewohnt sind, mit hohen Temperaturen umzugehen: "Die Hitze macht Kranke kränker und kann sie sogar umbringen."

Frage: Wer hat bei Hitze ein besonders hohes Sterberisiko, und was kann man dagegen tun?

Antwort: Zu den Risikogruppen zählen ältere Menschen und Kinder sowie Personen mit Vorerkrankungen (etwa des Herz-Kreislauf-Systems), eingeschränkter Mobilität, psychischen Erkrankungen und schädigenden Lebensstilfaktoren. Da die Bevölkerung Europas durchschnittlich immer älter wird und es immer öfter zu Hitzewellen kommt, dürfte auch die Zahl der Hitzetoten steigen, sofern keine adäquaten Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Dazu gehört die Unterstützung medizinischer Einrichtungen, die Risikokommunikation, der Schutz besonders exponierter Gruppen, die etwa unter freiem Himmel (schwere körperliche) Arbeit verrichten, aber auch das drastische Senken der CO2-Emissionen, um die Klimaerhitzung zu verlangsamen. Individuell kann man sich und seine Mitmenschen schützen, indem man bei hohen Temperaturen für ausreichend Kühlung sorgt, energieaufwendige Tätigkeiten in den heißen Stunden des Tages möglichst vermeidet und viel Wasser trinkt.

Frage: Wie viele Menschen sterben aktuellen Daten zufolge hierzulande an den Folgen der Hitze?

Antwort: Bei der europäischen Analyse, die kürzlich im Fachjournal "Nature Medicine" veröffentlicht wurde, ermittelte das Forschungsteam knapp 62.000 Todesfälle für den Sommer 2022 (30. Mai bis 4. September) für den Großteil Europas. Dabei handelte es sich in Europa um den bisher heißesten Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen. Für Österreich ergab sich ein Wert von 419 Hitzetoten, in Deutschland waren es 8.173 Fälle. Das sind 47 beziehungsweise 98 Fälle pro Million Einwohnerinnen und Einwohner. Andere Auswertungen ergeben jedoch andere Zahlen. In Österreich ist etwa die Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) für das Hitze-Mortalitätsmonitoring zuständig. Für den Sommer 2022 berechnete sie 231 hitzebezogene Todesfälle (mit einem 95-prozentigen Konfidenzintervall von -31 bis 493). Auch das für Deutschland zuständige Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin ermittelte für diese Zeit eine fast halb so große Zahl, nämlich etwa 4.500 Todesfälle.

Tabelle, die die Hitze-assoziierte Übersterblichkeit der Sommer 2016 bis 2022 angibt.
Je nachdem, wie viele heiße Wochen in einem Jahr vorkommen, wird die Übersterblichkeit aufgrund der Hitze durch ein statistisches Modell errechnet.
Ages

Frage: Wie kommt es zu den unterschiedlichen Zahlen?

Antwort: Das liegt vor allem an der unterschiedlichen Definition einer heißen Woche, wie Lukas Richter, Chef-Statistiker am Institut für Infektionsepidemiologie der Ages, auf Anfrage des STANDARD erklärt: "Wir definieren tendenziell weniger Wochen als 'heiß'." Dies ist bei den Modellen der Ages eine Woche mit mindestens einem Tag, an dem das Tagesminimum (oder die Nachttemperatur) 18 Grad Celsius oder mehr beträgt. Bei der Studie in "Nature Medicine" sind diese Mindestwerte regionenabhängig und betragen zwischen 17 und 19 Grad. Ähnliche Unterschiede ergeben sich auch bei den Methoden des RKI.

Frage: Welche Schwierigkeiten ergeben sich aus einem solchen Modell?

Antwort: Klar ist, dass es sich nicht um einzeln mit Hitze in Zusammenhang gestellte Todesfälle handelt, sondern um die Ergebnisse eines statistischen Modells, das aber mit dem Bestreben modelliert wird, möglichst nah an die Realität heranzukommen. "Je nach verwendeter Datengrundlage, Definition und Methode können Resultate variieren", sagt Richter. "Es sind daher auch quantitative Vergleiche von unterschiedlichen Methoden mit entsprechender Vorsicht zu ziehen." Künftig soll das österreichische Modell der Ages noch verfeinert werden.

Frage: Wie sollen die Berechnungen für Österreich verändert werden?

Antwort: Geplant ist, zusätzliche Faktoren wie Luftfeuchtigkeit einzubeziehen. Eine höhere Luftfeuchtigkeit stellt auch eine höhere Belastung für den Körper bei niedrigeren Temperaturen dar. Derzeit wird für das Monitoring die gemessene Temperatur von 181 Messstationen in ganz Österreich verwendet, erklärt Richter. "Wir arbeiten aktuell an einer Verbesserung des Modells, und es ist geplant, auch andere Parameter zu verwenden, wie zum Beispiel die gefühlte Temperatur." Außerdem sollen kleinräumiger Aussagen getroffen werden können, damit man die Übersterblichkeit etwa für den Ballungsraum Wien und andere Regionen berechnen kann (die sogenannten Nuts-3-Regionen).

Frage: Im Winter sterben mehr Menschen als im Sommer. Wäre durch die globale Erhitzung und wärmere Winter in Österreich (also weniger "kalte Wochen" mit einem Tagesminimum unter null Grad) zu erwarten, dass es entsprechend im Winter zu weniger Todesfällen kommt?

Antwort: "Wir erwarten im Winter einen geringen Effekt durch den Klimawandel, weil die Saisonalität erhalten bleibt und es auch weiterhin kalt wird", sagt Ages-Statistiker Richter. Bei Kälte ist üblicherweise die Immunabwehr schwächer, weshalb es öfter zu Infektionen kommt und dadurch auch mehr Menschen versterben können. "Starke Grippewellen korrelieren üblicherweise auch sehr gut mit Wintern mit sehr hoher Sterblichkeit", sagt der Experte. Eine Rolle bei Todesfällen spielen sowohl Umweltfaktoren als auch menschliches Verhalten. (Julia Sica, 12.7.2023)