Warnstreik der Metaller
Warnstreik der Metaller am Montag. Noch differieren die Positionen.
APA/ROLAND SCHLAGER

Die Zeichen stehen auf Konfrontation. Die Beschäftigten in der Metallindustrie sind bereits diese Woche in den Warnstreik getreten. Am kommenden Montag wird noch einmal verhandelt. Gibt es auch in dieser sechsten Runde keine Annäherung, droht die Gewerkschaft mit einem Gesprächsabbruch und einem richtigen, also für die Arbeitgeber weit schmerzhafteren Streik. Im Handel sieht es nicht viel besser aus: Für Dienstag rufen Gewerkschafter schon zu "Aktionen und Protesten" auf.

Die Ausgangslage ist extrem schwierig: Die Inflation, die von den Arbeitgebern abgegolten werden soll, liegt im Falle der Metaller bei 9,6 Prozent. Zugleich steckt Österreich in einer Rezession.

Ein Konflikt ist allerdings nicht unausweichlich. Das haben die Bäcker gerade bewiesen. Nach nur zwei Verhandlungsrunden einigten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Bäckergewerbe am Montag auf einen neuen Kollektivvertrag: 9,71 Prozent steigen die Löhne rückwirkend ab Oktober, was einem Abschluss knapp über der Inflationsrate entspricht. Dabei läuft auch im Bäckereigewerbe nicht alles rund: Viele kleinere Betriebe sperren zu, die großen Lebensmittelhändler drücken die Preise für Lieferanten. "Mit gegenseitiger Empathie" sei es dennoch gelungen, den Abschluss schnell und geräuschlos hinzubekommen, sagt Erwin Kinslechner, der für die Produktionsgewerkschaft mit den Bäckern verhandelte. Kann so eine Einigung auch bei der größeren Lohnrunde der Metaller gelingen? Das würde wohl den Weg zu einer ähnlichen Lösung im Handel freimachen. Ein kleiner Wegweiser durch widerstreitende Argumente, die aktuell herumschwirren.

1. Argument: Die Unternehmen stecken in der Krise und können sich keine hohen Abschlüsse leisten

Faktencheck: Die Industrie hat ohne Zweifel viele gute Jahre hinter sich. Österreichs Industrieproduktion hat seit 2005 um 20 Prozent zugelegt, es werden also um ein Fünftel mehr Motoren und Maschinen erzeugt. Woran die Branche aktuell leidet, ist die schwache Konjunktur in der Weltwirtschaft.

Um gerade 3,3 Prozent ist die Wertschöpfung in der Industrie im ersten Halbjahr 2023 gestiegen, hat das Wifo vor kurzem ausgerechnet. In dieser Berechnung sind Kosten für Vorleistungen, etwa Energie, schon abgezogen. Die 3,3 Prozent ergeben laut dem Ökonomen Benjamin Bittschi vom Forschungsinstitut Wifo also jenen Spielraum, der in den Lohnverhandlungen verteilt werden kann. Darüber hinaus wird es schwer. Dabei liegt ein Lohnplus von drei oder vier Prozent weit unter der wesentlichen Inflationsrate der vergangenen zwölf Monate.

Allerdings wenden Arbeitnehmer ein, dass trotz flauer Konjunktur viel mehr zum Verteilen da sei. Die Industriegewerkschaft Pro-Ge hat die Jahresabschlüsse von 135 Unternehmen aus der Metallindustrie für 2022 analysiert. Meist erfolgten die Abschlüsse im ersten Halbjahr 2023, als es wirtschaftlich angeblich schon bergab ging. Da lasse sich keine Zurückhaltung bei Gewinnausschüttungen feststellen, so die Arbeitnehmervertreter, Dividendenzahlungen seien um sieben Prozent gestiegen. Unternehmern sei es also sehr wohl gelungen, ihre Gewinne stabil zu halten.

Diese Zahlen klingen plausibel, sagt Ökonom Bittschi. Aber die Gewerkschaft decke in ihrer Analyse vor allem größere Betriebe ab. Kleinere und schwächere Betriebe seien im Sample deutlich unterrepräsentiert, viele dieser Unternehmen haben für 2022 noch nicht einmal ihre Bilanz vorgelegt.

Dadurch erscheinen die Zahlen besser, als sie umgelegt für die gesamte Branche sind. Die Industriellenvereinigung spricht davon, dass nach den guten Jahren aktuell "jedes dritte Unternehmen mit einem negativen Ergebnis" rechne.

2. Argument: Steigen die Löhne zu schnell, wird auch die Arbeitslosigkeit rasant zulegen

Faktencheck: Je höher die Arbeitslosigkeit, umso schwieriger können Gewerkschaften höhere Löhne durchsetzen. Und je stärker Löhne steigen, umso mehr besteht das Risiko, dass Betriebe Beschäftigte abbauen müssen. Doch am Arbeitsmarkt herrscht aktuell eine besondere Konstellation vor. Unternehmen sind zurückhaltend dabei, Leute gehen zu lassen. Trotz Rezession ist die Arbeitslosigkeit nur leicht gestiegen – die Beschäftigung hat sogar zugelegt. Eine Erklärung dafür: "labour hoarding". Mit dem Begriff beschreiben Ökonomen das Phänomen, wenn Unternehmen mehr Beschäftigte halten, als sie ideal einsetzen können. Der Grund dafür ist die Angst, später im Aufschwung nicht genug geeignetes Personal zu finden. Die Frage ist, ob die Stimmung umschlägt: Wenn Betriebe beginnen, viele Leute zu kündigen, verschwindet die Angst in den Personalabteilungen vielleicht. Das könnte eine Kündigungswelle lostreten. Noch gibt es keine Spur davon.

3. Argument: Angesichts von Rekordinflation und Rezession braucht es eine neue Flexibilität

Faktencheck: Was die Lohnverhandlungen diesmal erschwert, ist, dass nicht nur darüber gestritten wird, wie sehr die Einkommen im kommenden Jahr steigen sollen. Diskutiert wird auch darüber, ob die alte Formel, auf deren Basis verhandelt wird, noch Gültigkeit haben soll. Die Faustregel – und nichts anderes ist die nach dem ehemaligen Gewerkschafter benannte Benya-Formel – besagt, dass Löhne im Durchschnitt der Inflation in den vergangenen zwölf Monaten steigen sollen. Draufgeschlagen wird noch der Produktivitätsanstieg in der Gesamtwirtschaft. Letzterer Wert ist über die vergangenen drei, vier Jahre bei etwa null gelegen. Somit geht es aktuell im Wesentlichen um die Inflationsabgeltung.

Die Arbeitgeber haben in der Metallindustrie vorgeschlagen, einen zweijährigen Kollektivvertrag abzuschließen, mit Lohnsteigerungen um die zehn Prozent plus einer Einmalzahlung. Das wäre ein Systembruch. Abschlüsse über mehrere Jahre gibt es freilich in anderen Ländern, etwa bei den deutschen Metallern. Dort wurde Ende 2022 vereinbart, dass die Löhne im Juni 2023 um 5,2 Prozent und im Mai 2024 noch mal um 3,3 Prozent steigen. Dazu gibt es Einmalzahlungen.

Die Gewerkschaft in Österreich fürchtet, von der für sie günstigeren Formel abzugehen: Wird ein Lohnanstieg über zwei Jahre verhandelt, bleibt immer das Risiko, dass die Inflation höher als gedacht ausfällt. Auf dieser Rechnung könnten dann die Arbeitnehmer sitzenbleiben. Einmalzahlungen lehnt der ÖGB ab, weil es keine Automatik gibt, diese bei späteren Lohnerhöhungen in den kommenden Jahren zu berücksichtigen.

Doch es gibt auch von Arbeitgeberseite in der Industrie Gründe, an der Formel festzuhalten. Neben der Inflation wird, wie erwähnt, auf das Produktivitätsplus in der Gesamtwirtschaft abgestellt. Das liegt meist deutlich unter dem Zuwachs in der Industrie, wo die technologische Entwicklung schneller voranschreitet. Das spart den Arbeitgebern in den meisten Jahren Geld.

4. Argument: Zu hohe Lohnabschlüsse lasten auf der Wettbewerbs- fähigkeit

Faktencheck: Was den Abschluss der Bäcker erleichtert hat, ist, dass diese nur mit dem Geschäft ums Eck im Wettbewerb stehen. Steigen die Arbeitskosten für alle Betriebe an, können diese auf Kundinnen und Kunden überwälzt werden. Ein Abschluss von fast zehn Prozent wird die Semmel teurer machen, wie der Bäcker und Arbeitgebervertreter Josef Schrott sagt. Für die im internationalen Wettbewerb stehende Industrie ist das mit der Preisweitergabe nicht so einfach. Wenn eigene Preise steigen, kann das bedeuten, dass Marktanteile verlorengehen. Österreichs Inflation liegt seit Jahresbeginn deutlich über den Werten in der übrigen Eurozone. Die Inflation werde immer mehr zum "gesamtwirtschaftlichen Problem, weil sie die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft vermindert", so das Wifo.

Allerdings spielen nicht nur Lohnkosten eine Rolle bei der Preisgestaltung, sondern auch Energiekosten – die im vergangenen Jahr stark gesunken sind. Dazu kommt, dass Unternehmen mit hohen Margen auf einen Teil der Gewinne verzichten können, um preislich wettbewerbsfähig zu bleiben. Auch das dürfte passiert sein. Jedenfalls sind schon im vergangenen Jahr die Löhne in Österreich stärker gestiegen als im übrigen Euroraum. Die Preise für erzeugte Güter in der heimischen Industrie sind dennoch rückläufig. Laut Statistik Austria liegen sie um fast vier Prozent unter dem Wert im Vorjahr. Unternehmen sind also trotz der steigenden Löhne wettbewerbsfähig geblieben. Aber klar ist auch: Bloß weil Unternehmen höhere Arbeitskosten bisher verkraften konnten, heißt das nicht, dass ihnen das auch künftig gelingt. Und es gibt für sie keinen Grund, niedrigere Margen zu akzeptieren.

5. Argument: Ohne kräftiges Lohnplus drohen Armut und Krise

Faktencheck: Es fühlt sich zwar nicht so an, aber die bisherigen Lohnsteigerungen gepaart mit staatlichen Maßnahmen haben einen großen Teil der Kaufkraftverluste durch die hohe Inflation aufgefangen. Die Netto-Löhne sind inflationsbereinigt pro Kopf im vergangenen Jahr um 2,9 Prozent gesunken. Heuer dürften sie wieder steigen, wenn auch der Verlust nicht voll kompensiert wird. Das würde im kommenden Jahr geschehen, wenn die Lohnabschlüsse entsprechend hoch ausfallen.

Interessant ist die Lohnentwicklung auch volkswirtschaftlich. 2024 soll die Rezession enden. Ein großer Teil Wirtschaftswachstum entsteht im kommenden Jahr, weil die Einkommen und damit der Konsum anzieht, sagt Wifo-Chef Gabriel Felbermayr. Das wird aber nur geschehen, wenn die Löhne auch mit der rollierenden Inflation mitsteigen. Das wirke dann wie ein Konjunkturprogramm. (Andras Szigetvari, 12.11.2023)