Babler am Parteitag
Andreas Babler am Parteitag im Moment der Erleichterung. Doch der Kanzleranspruch verlangt mehr.
Heribert Corn

Am Ende ging ihm das Herz, von dem er auf der Bühne so viel gesprochen hatte, über. Andreas Babler bekam vor Tränen kaum ein Wort heraus, als sich die auszählungsgeschädigte SPÖ endlich traute, ein Ergebnis zu verkünden. Mit 88,76 Prozent der Stimmen hatten ihn die Genossinnen und Genossen als Parteichef wiedergewählt. Der Gekürte war so baff, als hätte er bereits die Nationalratswahl gewonnen: "Was sind wir für eine coole Partei!"

Der Überschwang ist verständlich, denn Selbstläufer war der Parteitag keiner. Immerhin hatte sich bei der Kampfabstimmung im Juni noch fast die Hälfte der Delegierten einen anderen an der SPÖ-Spitze gewünscht. Auch jetzt wird der umarmungsfreudige Bürgermeister gewiss nicht alle, die für Hans Peter Doskozil waren, von seiner Kanzlertauglichkeit überzeugt haben. Aber zumindest zettelte niemand einen Racheakt an. Auch das ist ein Fortschritt.

Nicht so weiter machen

Doch das Erfolgsrezept vom Wochenende hat ein Ablaufdatum. Will Babler auch außerhalb des roten Apparats reüssieren, darf er gerade nicht so weiter machen wie bisher. Für den Regierungsanspruch braucht die SPÖ, wie er es selbst in seiner Rede ansprach, mehr inhaltliche Breite. Sprich: Babler muss raus aus der Rolle des linken Outlaws.

Das heißt nicht, dass er all seine Lieblingsprojekte still begraben sollte. Das Ziel der Arbeitszeitverkürzung etwa ist auf längere Sicht realistischer, als das Kritiker glauben machen wollen; beim letzten Schritt in den Siebzigerjahren waren gemeldete Arbeitskräfte knapper als heute. Aber eine Idee, die auf ein Jahrzehnt angelegt ist, taugt ohnehin nicht als Wahlkampfschlager. Die nun anvisierten Pilotprojekte berühren nur die Lebenswelt der wenigen Beschäftigten in den betroffenen Betrieben.

Anders ist das, zumindest gefühlt, bei Asyl und Integration. Bisher hat Babler diese Reizthemen gescheut wie der Marxist das Weihwasser, zu weit driften die Haltungen innerhalb der SPÖ auseinander. Dass er dieses Minenfeld nicht vor einem Parteitag betreten wollte, bei dem es um demonstrative Geschlossenheit geht, liegt auf der Hand. Soviel Opportunismus darf sein.

Den Spagat versuchen

Doch im Wahlkampf wird er um eine "klare Kante" (O-Ton Babler) nicht umhin kommen. Hilfe für Schutzbedürftige hat in einem bewältigbaren Ausmaß im Programm zu bleiben – alles andere wäre Verrat an seinem in Traiskirchen aufgebauten humanistischen Image. Gleichzeitig aber muss Babler entschlossen demonstrieren, dass er Integrationsprobleme ernst nimmt, Sorgen aufgreift, ungezügelten Zustrom unterbinden will und Extremisten kein Stück nachgibt. Sein Statement gegen Scharia und Kalifat am Parteitag war bei weitem nicht deutlich genug, weil selbstverständlich.

Selbst, wenn der Spagat gelingt, wird ihm kaum jemand wegen der Haltung in der "Ausländerfrage" die Stimme geben. Aber gelingen könnte die Immunisierung gegen den ewigen Vorwurf, auf einem Auge blind zu sein. Dann wird Bablers Sozialpolitik für Menschen wählbar, die sonst Abstand gehalten hätten.

Zur Breite gehört auch der Brückenschlag zum Gegner. Entgegen seiner Alle-gegen-uns-Rhetorik muss Babler, zumindest hinter den Kulissen, eine Gesprächsbasis zur ÖVP aufbauen. Sofern sich überhaupt die Chance auf eine Regierungskoalition bietet, wird der Weg schwer am bei den linken Parteifreunden so verhassten Expartner vorbeiführen. Und weitere fünf Jahre Opposition kann die SPÖ nicht wollen. (Gerald John, 12.11.2023)