Reden wir einmal anstatt von Rassismus von "gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit". Damit erübrigen sich hoffentlich Diskussionen darüber, ob man "Rassismus und Antisemitismus" nebeneinanderstellen soll oder ob das eine eine spezifische Form das anderen ist. Und hoffentlich auch Diskussionen darüber, ob man feindliche Einstellungen gegenüber einer religiösen Gruppe als Rassismus bezeichnen kann. Der Oberbegriff umfasst auch Sexismus, die Abwertung von Obdachlosen, Homosexuellen und Behinderten.

Protest gegen Rassismus und Muslimfeindlichkeit
Demokratische Werte zu verteidigen bedeutet, gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit anzukämpfen.
Gary Knight via flickr, Public Domain

Passive, aktive und politische Gruppenfeindlichkeit

Ich sehe im Wesentlichen drei Abstufungen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit:

Auch die erste Stufe stellt eine Gefährdung der Demokratie dar, weil sie jedenfalls anfällig macht für die zweite und dritte Stufe. Handlungen der zweiten Stufe hängen wohl meistens auch mit einer Übereinstimmung zur dritten Stufe zusammen. Die dritte Stufe ist unmittelbar demokratiegefährdend: Sie zielt auf die Zerstörung demokratischer Strukturen und die Einschränkung der Menschenrechte ab.

Sehen wir uns nun zwei Studien an: den Antisemitismusbericht 2022 im Auftrag des Parlaments und den Sozialen Survey der Universität Salzburg 2018 zu Einstellungen zu Muslimen in Österreich. Die Prozentzahl stellt die Summe der beiden Bewertungen "sehr zutreffend" und "eher zutreffend" dar.

Antisemitismusbericht 2022 im Auftrag des Parlaments

Spannend ist noch der folgende Anhang an den Antisemitismusbericht. Dreimal so viele Menschen würden sich von muslimischen Nachbarn gestört fühlen wie von jüdischen, aber am meisten von Rom:nja und Sinti:zze. Die Frage lautete "Wenn Sie folgende Nachbarn hätten, würde Sie das stören?":

Einstellungen zu Muslimen in Österreich – Ergebnisse des Sozialen Survey 2018

Offensichtlich sind die Fragestellungen der beiden Studien unterschiedlich. Üblicherweise wird aber bei einer Erhebung im Vorfeld untersucht, welche Fragestellungen überhaupt relevant sind. Dazu wird wissenschaftliche Literatur herangezogen oder es werden Vorstudien gemacht. Jedenfalls wird im Antisemitismusbericht etwa die Frage nach der Gleichberechtigung von Jüdinnen und Juden oder nach der Akzeptanz von Synagogen gar nicht gestellt, vermutlich weil davon keine relevanten Ergebnisse erwartet wurden.

Forderungen nach politischer Entrechtung

Im Antisemitismusbericht habe ich nur eine Aussage gefunden, die direkt auf innenpolitische Entrechtung von Jüd:innen hinausläuft: "Juden sind für mich im Grunde israelische Staatsbürger und keine Österreicher." Beunruhigende 21 Prozent stimmen dieser Aussage zu, die impliziert, dass Jüd:innen als Ausländer:innen behandelt werden sollen. Vielleicht wäre dieser Prozentsatz doch eine Veranlassung, auch direkt die Frage nach der Gleichberechtigung zu stellen. Die Aussage "Wenn es den Staat Israel nicht mehr gibt, dann herrscht Frieden im Nahen Osten", die von 14 Prozent geteilt wird, ist außenpolitisch, aber nicht präzise formuliert. Wenn sie darauf hinauswill, die Juden in Israel zu vertreiben oder umzubringen, ist sie klar menschenfeindlich. Etwas anderes ist es, wenn damit eine Einstaatenlösung gemeint ist, ein demokratischer Staat für alle seine Bürger:innen – so illusorisch das auch erscheinen mag. Das wäre dann nicht mehr das jetzige Israel, das sich ja als jüdischer Staat definiert.

Im Sozialen Survey zu Muslimenfeindlichkeit finde ich dagegen fünf Aussagen, die ich zur politischen Gruppenfeindlichkeit zähle: Am beunruhigendsten ist, dass 45 Prozent offen aussprechen: "Muslime sollten nicht gleiche Rechte haben wie alle in Österreich". 48 Prozent wollen keine Moscheen tolerieren, 51 Prozent wollen Glaubensausübung von Muslim:innen eingeschränkt sehen, und 79 Prozent wollen, dass der Staat islamische Gemeinschaften beobachtet. Hinter der Forderung nach Kopftuchverbot in der Schule, die von 66 Prozent geteilt wird, könnten ja eventuell auch pädagogische Motive stehen, wenn sie generell auf die Forderung nach Trennung von Religion und Schule abzielt. Soweit sie sich aber ausschließlich auf Musliminnen bezieht, stellt sie die Forderung nach Entrechtung dar.

Alle Formen der Gruppenfeindlichkeit bekämpfen 

Alle Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit gefährden die Demokratie, weil Vorurteile und Stereotype eben leicht in Handlungen umschlagen können, vor allem, wenn sie von politischen Abenteurern bewusst geschürt und ausgenutzt werden. Doch wer nur eine spezifische Form bekämpfen will, nur eine Form als bedrohlich für die Demokratie sieht, verteidigt nicht wirklich die Demokratie. Es gibt in Österreich eine Antisemitismus-Meldestelle, eine Dokustelle für antimuslimischen Rassismus, eine Beratungsstelle für Roma und Sinti, die einen Bericht Antiziganismus in Österreich herausgibt. Soweit ich weiß, gibt nur der Verein Zara Berichte über alle Formen von Rassismus heraus und berät und unterstützt alle von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit Betroffenen, die sich an ihn wenden.

Wir sollten uns doch klar sein: Man kann Muslimenfeindlichkeit bekämpfen und gleichzeitig antisemitisch eingestellt sein. Man kann Antisemitismus bekämpfen und gleichzeitig muslimenfeindlich sein. Man kann Romafeindlichkeit oder Homosexuellenfeindlichkeit oder Sexismus bekämpfen und gleichzeitig andere Gruppen verachten oder sie entrechten wollen. Man kann eine spezifische Form von Rassismus bekämpfen und gleichzeitig selber Rassist sein. Wer wirklich die Demokratie verteidigen will und nicht nur spezifische Gruppeninteressen, muss sich gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stellen, insbesondere gegen die politischen Formen. (Martin Auer, 17.11.2023)