Bewohner im Süden des Gazastreifens.
Die Uno versorgt im Süden des Gazastreifens (Bild: Rafah) derzeit noch viel mehr Flüchtlinge als ohnehin schon. Weil nun aber der Treibstoff fehlt, steht es um die Bemühungen besonders schlecht.
AFP/SAID KHATIB

Während in den vergangenen Tagen die angespannte Lage in den Krankenhäusern im Norden des Gazastreifens im Fokus war, schlagen humanitäre Helfer nun Alarm, was die rund 900.000 Zivilisten betrifft, die im Süden ausharren.

Ab Mittwoch könne man die Binnenflüchtlinge nicht mehr versorgen, melden die Vereinten Nationen. Zwar kommen auch weiterhin Hilfslieferungen per Lkw am ägyptischen Grenzübergang Rafah an. "Wir können sie aber dort nicht mehr übernehmen", sagt die lokale Leiterin der UN-Koordination für humanitäre Angelegenheiten (OCHA), Lynn Hastings. Der Grund: Um die Pakete an die Bedürftigen zu verteilen, brauche man Klein-Lkws in Gaza. Da alle Treibstoffvorräte aber aufgebraucht seien, könnten diese Laster nicht mehr fahren.

Israels Blockade

Seit dem 7. Oktober zehren die Menschen im Gazastreifen von gelagertem Treibstoff. Einfuhren werden von Israel aus zwei Gründen abgelehnt: Einerseits verweist die Armee darauf, dass die Hamas-Terroristen noch über Vorräte verfügten. Es liege an diesen, sie der Zivilbevölkerung zur Verfügung zu stellen. Zum anderen begründet Israel die Blockade mit der Sorge, dass eingeführter Treibstoff erst recht in die Hände der Hamas gelangen könnte.

Dem setzt die UN-Koordination jedoch entgegen, dass Israel in den vergangenen Wochen mitgewirkt hat, Treibstoff in Gaza zu verteilen. Es handelt sich um ein "strategisches Reservoir" im Süden des Streifens, das von den Vereinten Nationen in den vergangenen zehn Tagen angezapft wurde – immer in Abstimmung mit der israelischen Armee. Dieses Reservoir ist nun leer.

Netanjahu ist dagegen

"Alles, was wir fordern, ist, dass dieses Reservoir wieder aufgefüllt wird", sagt Tom White, Gaza-Direktor des UN-Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser (UNRWA). Es geht um rund eine Million Liter Treibstoff, die aus Ägypten geliefert werden könnten. White ließ anklingen, dass es in der israelischen Armee dafür durchaus Bereitschaft gebe. Die Verhandlungen mit der Armee seien seit drei Wochen im Gang, es gehe um die konkrete Abwicklung der Lieferung. "Es scheitert aber an der höchsten Ebene", sagt White – also am Kabinett unter Benjamin Netanjahu. Eine Regierungssprecherin machte dazu bis Redaktionsschluss keine Angaben.

Eine Sprecherin der israelischen Armee bestätigt aber im Gespräch mit dem STANDARD, dass die Verteilung des Treibstoffs im Gazastreifen in den vergangenen Wochen in Abstimmung zwischen den Vereinten Nationen und der israelischen Armee erfolgt ist.

Seuchengefahr

Dass der Sprit fehlt, hat gravierende Folgen: Ohne Generatorenstrom fallen die Abwasserpumpen aus. Das erhöht die Gefahr, dass sich Seuchen wie Cholera ausbreiten. Wasserpumpen und Entsalzungsanlagen müssen den Betrieb einstellen, wodurch sich die Versorgung mit Trinkwasser drastisch verringert. Getreidemühlen stoppen den Betrieb, aber auch Bäckereien, die noch Mehlvorräte haben, können den Bedarf nicht decken.

Laut UN waren schon bisher nur 39 Prozent des täglichen Bedarfs an Nahrung verfügbar, was auch daran liegt, dass die Felder wegen Binnenflucht und Luftbeschusses nicht abgeerntet werden konnten.

Abhängig von Lieferungen

UN-Koordinatorin Lynn Hastings erklärt die Größenordnungen: "Vor dem 7. Oktober wurden 500 Lkw-Lieferungen pro Tag geliefert, davon waren 50 Lieferungen Treibstoff. Heute sind es 40 Lieferungen pro Tag – und kein Treibstoff." Und das, obwohl der Bedarf der Menschen ungleich höher sei als vor dem Krieg, da die Wirtschaft des Gazastreifens völlig brachliegt. Das sei der große Unterschied zu anderen Konfliktgebieten, sagt Hastings. "Normalerweise sind die Vereinten Nationen nicht alleine für die Versorgung zuständig, sondern Seite an Seite mit der Privatwirtschaft." Im Gazastreifen fällt diese zweite Säule der Versorgung weg: Lokal kann nichts produziert werden, von außen darf fast nichts hinein.

In Israel wird betont, dass es sehr wohl Hilfslieferungen nach Gaza gebe, sogar auf israelische Initiative hin. Ein Armeesprecher verweist auf die Einfuhr mobiler Inkubatoren für die Versorgung von Frühchen. Auf die Frage, wie die Geräte ohne Strom betrieben werden sollen, antwortet der Sprecher nicht. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 14.11.2023)