Das Vorbild für die neue Rutsche auf dem Wiener Donauturm steht in London.
Heribert Corn

Es gibt Luft nach oben. Reichlich. Das wissen Kurt Gollowitzer, Paul Blaguss und Hermann Krammer. Das hier, sagten die drei am Mittwoch, sei nur der Anfang. Dann stürzten sie sich – todesverachtend – in die Tiefe.

Zugegeben: Das Adjektiv ist mehr dem Narrativ denn den Fakten geschuldet. Denn der Geschäftsführer der Wien Holding (Gollowitzer), der Kopf der Blaguss-Busse und der Geschäftsführer des Wiener Donauturms (Krammer) betonten mehrfach, dass ihre als "Kunstinstallation" titulierte Rutsche zwar "Adrenalin pur" garantiere – aber "absolut sicher" sei. Ja, obwohl das Rutschrohr schwindelerregende 165 Meter über dem Grund aus einem Zwischengeschoß des Donauturmes ins Freie führt: Das sei der Clou der angeblich "höchstgelegene Rutsche Europas".

Diese einzuweihen hatten die Eigentümer und Betreiber des Donauturmes geladen. Mit Rutschoption im Kunstwerk. Gekommen waren allerdings Chronik-Redaktionen: Einzig die APA entsandte den Kultur-Ressortchef. Seine (erwartbare) Frage, was eine Rutsche zu Kunst mache, erwischte die eröffnende Herrentroika kalt.

Dabei hat Carsten Höller, der Schöpfer der Wiener Rutsch-Helix, 2005 die Biennale in Venedig bespielt. 2016 wurde im Londoner Olympiapark sein "Arcelor Mittal Orbit" präsentiert: mit 178 Meter Länge und 78 Meter Höhe die längste Rutsche der Welt. Als Paul Blaguss diese um das Jahr 2018 sah, war dem Kopf des Busunternehmens klar: Derlei wollte er auch für "seinen" Turm, den Donauturm, Österreichs höchstes Bauwerk.

Mit Bratenfett-Odeur nach oben

Der gehört nämlich seit 2020 Blaguss – und der Wien Holding. Darüber, dass der 1964 eröffnete Turm dringend ein Face- respektive Imagelifting braucht, sind sich die Eigner einig. Obwohl die Zahlen im Grunde passen: 450.000 Besucherinnen und Besucher stiegen jährlich in die Expresslifte. Mehr als die Hälfte sind aus Österreich. Und seit sich der Architekt Gregor Eichinger 2019 das Interieur der sich (wenn sie nicht – wie derzeit – gerade defekt sind) drehenden Gastro-Ebenen auf 170 und 160 Metern Höhe vornahm, atmet zumindest das Innere nicht mehr den Mief der 70er-Jahre.

"Wahrnehmbarer" soll das – ohnehin sichtbare Bauwerk – durch eine neue Agentur werden.
Heribert Corn

"Mief" galt wörtlich: Die Turmlifte waren zur Zeit der Eröffnung die schnellsten der Welt. Darauf wurde und wird gerne verwiesen. Wieso es drin aber nach Bratenfett stank, blieb unerklärt. Dabei war das symptomatisch für den Turm und seinen Bezug zu der Zeit: Frittieren war aus Brandschutzgründen oben verboten, doch weit über Pommes und Schnitzel reichte der Gastro-Horizont nicht. Also kam das Fettige in ein Fach unter dem Liftboden.

Nebensache? Nicht ganz: Gerüche verraten viel über die Philosophie eines Lokales. Aber: Wer im Lift war, war ja schon da. Dass Ambiente und Gastro-Qualität über das Wiederkommen entscheiden, war scheints nie Thema.

Gehobene Küche auf höchster Ebene

Genau darum betont Turm-Geschäftsführer Hermann Krammer das Hier und Heute fast mantraartig: Fine Dining, Brunch- oder Sunset-Specials, Weinverkostungen mit Ausblick gäbe es. Gehobene Küche auf höchster Ebene, Bodenständiges zu ebener Erd': Wäre es nicht notwendig, darauf hinzuweisen, täte es der einstige Hotel-Spitzenmanager sicher nicht. Ebenso wenig hätten die Türmer den Wechsel ihrer PR-Agentur in Fachmedien groß kommuniziert: Derlei geschieht sonst eher still und leise.

Die Agentur tritt mit der Ansage an, den Donauturm "wahrnehmbarer" machen zu wollen. Eigentlich grotesk: Sichtbarer kann ein Bauwerk kaum sein. Allein auf weiter Flur – in einem weitläufigen Park. Dem attestiert Donauturm-Kommuniaktionschefin Christina Brandenstein gerne "Qualitäten wie dem New Yorker Central Park".

Anstatt des bekannten Treppenlaufs wurde ein neuer Frequenzbringer gefunden: die Rutschbahn.
Heribert Corn

Blöderweise liegt der Donaupark aber nicht "central", sondern abseits: fernab der Touristenströme, auch für viele Wienerinnen und Wiener in einem Eck, für dessen Besuch es kaum Gründe gibt – nicht seit die Internationalen Gartenschau 1964, für die der Turm gebaut wurde, endete.

Und die Lilliputbahn, die über den einstigen Militärschießplatz tuckert? Nett, aber damit lockt man nicht wirklich Publikum über die Donau. Ach ja: 1983 predigte Papst Johannes Paul II hier. Das 40 Meter hohe Papstkreuz erinnert daran. Und sonst?

"Zeugnis kleinkarierter Großmannssucht"

Schon 1982 ätzte die Wien-Ausgabe der "Merian"-Reiseführers, dass sowohl der Standort als auch der Turm selbst "Zeugnis kleinkarierter Großmannssucht" seien. Man wolle zwar, traue sich dann aber nicht wirklich. Man staple gleichzeitig hoch und tief: "Er (der Turm) befindet sich an der tiefstgelegenen Stelle der Stadt." Wien-Museum-Direktor Wolfgang Kos nannte den Turm 2004 gar das "Zeugnis von unsicherem Prestigedenken", einen steten Grund für Spott.

Ganz aus dem Nichts kommt die Häme nicht. Schließlich stimmt der Satz, der Donauturm sei Österreichs höchstes Bauwerk, erst seit 2010. Damals wurde der Sender auf dem Bisamberg gesprengt. Der war mit 265 Metern knapp vor seiner Übersiedlung aus Kronstorf (Oberösterreich) mit 274 Metern sogar klar höher. Dass der Donauturm Mitglied der "World Federation of Great Towers" ist, hilft auch wenig: Dubais Burj Khalifa schluckt ihn mit 828 Metern dreimal. Und wo Wien derzeit im Ranking liegt, weiß niemand: um den 700. Platz – Tendenz fallend.

Der Turm müsse mehr als ein "Pfosten mit Ausblick" sein, findet Paul Blaguss.
Heribert Corn

Doch das verschnarchte Image liegt nicht an den Metern: Um attraktiv zu wirken, passierte in den vergangenen Jahren hier einfach zu wenig. Jahrelang sorgte etwa der "Treppenlauf" für Aufmerksamkeit. Doch der Lauf mit bis zu 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf 790 Stufen übersiedelte 2008 zum Millennium Tower. 2017 versuchte man es noch einmal – und aus.

Adrenalin für die Breite

Auch publikumswirksame Polizei-Abseilübungen finden längst anderswo statt. Aber ist da nicht eine Bungee-Jump-Anlage? Die kam 2014. Als dann 2019 jemand nach ihr fragte, fiel man oben auf dem Turm aus allen Wolken: Die Anlage war schon 2018 abgebaut worden. Aufgefallen war das niemandem. Soll sein. Aber: Seit 2017 gar nicht mehr im Angebot, stand das Springen noch 2019 online. Unbemerkt – von Publikum wie Betreibern.

Die Bungee-Anlage, erklärte Paul Blaguss am Mittwoch, stehe dennoch auch Pate für die neue Rutsche: Der Turm müsse "bespielt" werden. Müsse mehr als ein Pfosten mit Ausblick sein. "Wir brauchten etwas, das einerseits Adrenalin verspricht, aber mehr Leute anspricht als Bungeejumping." In London fand Blaguss dann die Antwort.

Rutschpartie mit Aussicht: Die neue Donauturm-Rutsche
Ab Mittwoch ist der Wiener Donauturm ein "Gesamtkunstwerk". Zu diesem wird das 1964 errichtete Bauwerk laut Wien Holding Geschäftsführer Kurt Gollowitzer durch eine Installation des deutschen Objektkünstlers Carsten Höller, die heute mit einem "Soft Opening" dem Betrieb übergeben wurde: eine semitransparente Außenrutsche an der Nordseite des Turms, die in 165 Meter Höhe beginnt und über 40 Meter kurvige Strecke auf die Terrasse in 150 Meter Höhe führt.
APA

Allerdings kann Carsten Höllers eine Million Euro teures Wiener Rohr der Londoner 178-Meter-Rekordrutsche nicht das Wasser reichen: Sie ist nur einmal 40 Meter lang, geht nur über drei Geschoße. Wird nur drei Jahre bleiben. Dabei von "unsicherem Prestigedenken" im Kos’schen Sinn zu sprechen sei aber unzulässig, sagen Gollowitzer, Blaguss und Krammer: Die Rutsche sei ein Anfang. "Es kommt mehr."

Was? "Das verraten wir, wenn es so weit ist", sagt Blaguss. Doch eines ist allen klar: Auf dem Donauturm, auf 252 Metern über Grund, gibt es viel Luft nach oben. (Thomas Rottenberg, 16.11.2023)