"Der katholischen Kirche geht es beschissen", erklärte vor kurzem der Wiener Dompfarrer Toni Faber ziemlich unverblümt. Er bezog sich auf die Massenaustritte, die Missbrauchsskandale, den fehlenden Priesternachwuchs und den allgemeinen Bedeutungsverlust der Religion in den europäischen Gesellschaften. Diese Beurteilung wird nicht zuletzt durch die in diesen Tagen ohne wirkliches Ergebnis zu Ende gegangene Bischofssynode in Rom unterstrichen. Dieser Reformansatz, der erst bei der nächsten Synode weiterverfolgt werden soll, ist, wen wundert’s, in der Öffentlichkeit kaum registriert worden. Kirchenkrise?

Wiener Stephansdom
Die Kirche steckt in der Krise.
APA/GEORG HOCHMUTH

Der Wiener Politikwissenschafter Thomas Schmidinger analysiert in der vom Forum Kunst-Wissenschaft-Medien herausgegebenen Zeitschrift Quart die Situation der einst mächtigen katholischen Kirche in Österreich folgendermaßen: Die liberalen Katholiken treten aus, die Fundamentalisten bleiben.

Diese strikt antimodernen Gruppen, die im Zweiten Vatikanischen Konzil einen "Glaubensabfall" sehen und die Ökumene und auch die Verständigung mit dem Judentum ablehnen, sind – im Gegensatz zu den Liberalen – gut vernetzt, aber hierzulande schwach. Anders etwa in Polen, wo Superkonservative nicht nur in der Regierung, sondern auch in der Kirche das Sagen haben.

Eine etwas andere Interpretation vertritt der tschechische Theologe Tomáš Halik in seinem vor kurzem auf Deutsch erschienen Buch Der Nachmittag des Christentums. Halik, seinerzeit in der "Geheimkirche" zum Priester geweiht, Seelsorger der Prager Akademischen Gemeinde und einst Freund und Mitarbeiter von Václav Havel, vergleicht die derzeitige Situation des Christentums mit der Zeit seiner Entstehung aus dem Judentum heraus. Die moderne Gestalt des Christentums sei "der säkulare Humanismus aus dem Geist des Evangeliums". Das passt nicht schlecht zu dem Bild von der Kirche als "Feldlazarett", das Papst Franziskus gewählt und populär gemacht hat.

Die Caritas der Erzdiözese Wien verleiht gerade wieder den Leopold-Ungar-Preis an Journalisten, die im letzten Jahr im Geist ebendieses Humanismus über soziale Themen berichtet haben. Prälat Leopold Ungar, einst aufgrund der Nazis emigriert, war die prägende Figur der Caritas in den Fünfzigerjahren, damals in seinen Worten "eine bessere Armenküche". Heute ist diese kirchliche Einrichtung ein wichtiger Teil der Zivilgesellschaft und eine Stimme für die Benachteiligten in der Gesellschaft, deren Stimme oft nicht gehört wird. Jury wie Preisträger kommen nicht aus kirchlichen Medien.

Es ist bemerkenswert, dass in einer Epoche, in der der Amtskirche die Mitglieder davonlaufen, die Caritas über jede Menge Freiwilliger verfügt und viele, die längst aus der Kirche ausgetreten sind oder nie dabei waren, regelmäßig und großzügig spenden.

Ja, es gibt eine Kirchenkrise. Aber das "Feldlazarett" funktioniert. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 16.11.2023)