In Hausners neuem Film
In Hausners neuem Film "Club Zero" manipuliert eine Lehrerin mit ihren extremen Ernährungslehren eine Schülergruppe.
© Coproduction Office.

In Jessica Hausners Club Zero geht es unterhaltsam enthaltsam zu. Eine Schülergruppe an einer britischen Eliteschule fällt unter den Bann der extremen Ernährungslehre der Lehrerin Miss Novak (Mia Wasikowska). Die Schuldirektorin (Sidse Babett Knudsen) und die wohlhabenden Eltern schauen hilflos zu, wie ihre Kinder immer magerer werden. Das ernste Thema betrachtet Hausner mit satirisch-analytischem Blick und großem Stilbewusstsein. Ein Gespräch mit der Regisseurin über Radikalisierung, Ernährungsideologien und ihre Perspektive auf das Leben.

STANDARD: "Club Zero" hatte in Cannes Premiere – mit gemischter Rezeption.

Hausner: Während der Filmpremiere in Cannes war es spannend zu sehen, wie das Publikum reagiert. Bei der Szene, in der eine Darstellerin ihre Kotze isst, gingen die Emotionen hoch. Dazu kommt der selt­same satirische Humor. Ich bin es gewohnt, dass meine Filme Begeisterung und Ablehnung auslösen.

STANDARD: Warum ist das so?

Hausner: Sie geben keine eindeutige Direktive vor. Manche lesen etwas Bestimmtes in den Film hinein, manche etwas anderes. Das ist zwar manchmal schwer auszuhalten, aber insgesamt muss ich zugeben: Das ist genau das, was ich mit meinen Filmen erreichen will.

STANDARD: Was war die Ausgangsidee?

Hausern: Die Manipulation der Gedanken. Das Thema begleitet mich schon lange. Ich finde es interessant zu sehen, wie sehr jeder Mensch in seiner oder ihrer eigenen Welt lebt, in der eben das richtig ist, was man selbst denkt. Außerdem ist mir aufgefallen, dass in letzter Zeit Radikalisierung zunimmt. Woher kommt es, dass Menschen wieder vermehrt zu bestimmten ideologischen Gruppen dazugehören wollen? Ist widersprüchliche Wahrheit so schwer auszuhalten? Das war der Ausgangspunkt zu meinem Film: Manipulation und Radikalisierung.

STANDARD: Ein zentrales Thema sind Essstörungen.

Hausner: Ich glaube nicht, dass der Film davon handelt. Eine Essstörung hat mit individuellen psychologischen Gründen zu tun, aber hier geht es darum, dass eine Gruppe einer Ideologie folgt und sich durch ihre Nahrungsreligion besser fühlt – und sich dadurch radikalisiert.

STANDARD: Worin besteht die Faszination, die Miss Novak auf die Jugendlichen ausübt?

Hausner: Es geht um die Möglichkeit, zu einer Gruppe dazuzuge­hören, die tatsächlich etwas zum Positiven verändert. Was Miss Novak behauptet, ist: Einerseits rettet man sich selbst, den Körper, indem man die gesündeste Version des ­Lebens wählt – nämlich nichts zu essen –, und zugleich rettet man die Umwelt.

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STANDARD: Klimaaktivismus spielt also auch eine Rolle?

Hausner: Ja, das ist ein Grund, der die Jugendlichen in der Geschichte für die Radikalisierung empfänglich macht, und das ist ein Aspekt, den ich sehr gut verstehe. Ich denke auch, dass der Klimawandel eine Bedrohung ist, die auf diese Generation viel stärker zurollt als auf Leute wie mich, die 50 sind. Die haben ihr ganzes Leben vor sich. Da verstehe ich, dass man in Panik gerät und wirklich durchsetzen muss, dass sich etwas ändert – und so auch zu krasseren Mitteln greift.

STANDARD: Auch in den sozialen Medien bekommt man ständig Ratschläge, wie man richtig isst.

Hausner: Mein Eindruck ist, dass Essen eine existenzielle Sache ist. Unser Essen definiert uns. Einerseits ideologisch, andererseits körperlich. Arten und Weisen zu essen sind bezeichnend für die Rituale der jeweiligen Gesellschaft. Auch Gruppenzwang spielt da eine Rolle.

STANDARD: In einer sehr komischen Szene tun die Jugendlichen nur so, als ob sie in der Kantine essen.

Hausner: Ja, die Szene ist symptomatisch für die Erzählhaltung, die der Film einnimmt. Es ist erst ein distanzierter Blick. Dann zoomt die Kamera heran. Je näher man kommt, desto stärker wird der Eindruck, dass sie gar nicht essen, sondern nur so tun als ob. Ich spiele gerne mit verschiedenen Perspektiven. Praktisch, aber auch weltanschaulich. Das führt auch dazu, dass keine der Personen im Film recht hat.

STANDARD: Was ist Ihre Perspektive auf die Welt?

Hausner: Eine der Widersprüche. Ich bin selbst ein Mensch, der nicht so leicht zu einer klaren Aussage kommt, weil ich immer auch das Gegenteil in Erwägung ziehe. Für mich ist der Zweifel das eigentlich Interessante.

Die Wienerin Jessica Hausner ist eine Fixgröße in der heimischen Filmlandschaft. Mit
Die Wienerin Jessica Hausner ist eine Fixgröße in der heimischen Filmlandschaft. Mit "Club Zero" war sie heuer in Cannes.
REUTERS

STANDARD: Wie sehr sind Sie Stilistin, wie sehr sind Sie an Ihren Figuren psychologisch interessiert?

Hausner: Mich interessiert beides. Meine Kameraperspektive ist deshalb oft distanziert, weil ich infrage stellen möchte, was stimmt und was nicht. Deshalb gibt es auch Störfaktoren. Ich will, dass Orte und Ausstattung auch ein bisschen vorlaut sind. Dass die Figuren, die ja angeblich in einem Film das Wichtigste sein sollten, auch ein bisschen Konkurrenz kriegen. Durch ein pinkes T-Shirt oder eine verrückte Statue, die neben ihnen steht, oder einen farbenfrohen Hintergrund. Damit will ich fragen: Was ist hier wichtig? Das rosa Shirt oder die weinende Frau, die es anhat?

STANDARD: Bieten Sie deshalb keine Identifikationsfiguren an?

Hausner: Ich glaube nicht an Identifikation. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, zu verstehen, was ein anderer Mensch denkt oder empfindet. Das ist ein Wunschtraum. Ich weiß, das Kino verspricht diese Erfüllung, die Sehnsucht anderer zu fühlen und zu verstehen. Die meisten Drehbücher folgen einer Figur, damit man versteht, was sie fühlt und was sie will. Aber so nehme ich die Welt nicht wahr.

STANDARD: Aber es gibt doch eine sympathische Figur in Ihrem Film, und gerade die kommt aus einem sozial weniger begünstigten Milieu. Absicht?

Hausner: Ich habe in all meinen Filmen immer wieder versucht, das soziale Gefälle darzustellen. Sie zeigen die gesellschaftliche Hierarchie, in der wir leben. Mich hat immer schon beschäftigt, welchen Platz jede und jeder von uns in der Gesellschaft hat, welcher einem zugewiesen wurde – und die Ungerechtigkeit, die darin steckt. Man kann zwar ein bisschen was ändern, aber eigentlich recht wenig dafür, dass wir in einer sogenannten freien Welt leben. (Valerie Dirk, 17.11.2023)