Ingwer, Likör, Wien
Niklas Friedl mit seinem Ingwerdrink, von dem jährlich zwischen 10.000 und 20.000 Flaschen abgefüllt werden.
Regine Hendrich

Ein Wahnsinn, dieser Duft. Versinken möchte man darin. Würzig-warm und gleichzeitig frisch und fruchtig erfüllt er den ganzen Raum – wir sitzen in einem Kellergewölbe im 6. Bezirk, unterhalb des kleinen Restaurants Ma Belle. Und das alles kommt nur von einem kleinen Stück frischem Ingwer, das Niklas Friedl, Betreiber des Ma Belle, mit einem kleinen Messer aufschneidet. Neben ihm steht ein ganzer Korb voller Ingwerknollen – sie alle und noch viel mehr werden sorgfältig zerteilt, um daraus in mühsamer Handarbeit und mit viel Zeit ein zitronengoldenes alkoholisches Getränk herzustellen, den "Feuerkuss". Der Name ist neu – bekannt und in der Wiener Szene äußerst beliebt wurde der kräftige Ingwerlikör als "Ingwerer", doch als sich Friedl dazu entschloss, das Produkt ohne seine bisherigen Schweizer Kooperationspartner herzustellen, musste eine neue Bezeichnung gefunden werden.

"Wir haben dann auch am Geschmack ein bisschen geschraubt", erzählt Friedl. "Unsere Abnehmer haben gemeint, dass der Ingwer gemeinsam mit den Gewürzen doch eindeutig winterlich schmeckt, und sie würden es gern auch im Sommer zum Mixen verwenden. Und dann haben wir sehr lange herumprobiert, und dabei ist der Feuerkuss herausgekommen."

Ingwer ist nicht Ingwer

Die Grundzutat ist natürlich dieselbe geblieben: frischer Ingwer, das Rhizom – also der Wurzelstock – der Pflanze Zingiber officinale. Dass es davon viele verschiedene Varianten gibt, ist der Durchschnittsösterreicherin wahrscheinlich gar nicht so bewusst, aber Friedl hat auch da neue Erkenntnisse gewonnen: "Der Ingwer schmeckt aus verschiedenen Regionen ganz unterschiedlich. Ein anderes Klima ergibt ein anderes Aroma: bitterer, fruchtiger, saurer, schärfer. Vor allem die Schärfe variiert sehr stark. Und es gibt Ingwersorten, die schmecken mehr nach Lemongrass, andere haben zitronigere Noten drin. Und es gibt auch saisonale Schwankungen, je nachdem, ob gerade Regenzeit herrscht oder Trockenheit."

Likör, Feuerkuss, Ingwer
Um die 200 Kilo Ingwer werden von fünf bis sechs Leuten auf einmal verarbeitet.
Regine Hendrich

Am liebsten wäre Friedl natürlich heimische Ware – in Burgenland wird ja schon seit ein paar Jahren erfolgreich Ingwer angebaut. "Der ist für unseren Zweck aber zu wenig fruchtig, das Klima ist in Österreich nicht warm genug", sagt er. Und setzt trocken nach: "Noch."

So kommen Friedls Rhizome – noch – aus Indien. "Die allerersten Chargen haben wir noch am Naschmarkt gekauft", lacht Friedl. "Ich hab gemeint: 'Ich hätte bitte 20 Kilo!', da hat er mich seltsam angeschaut und gemeint, er muss schauen, ob er überhaupt so viel hat. Und irgendwann hat er dann gemeint, wir sollen doch gleich zu seinem Lieferanten am Großgrünmarkt fahren." Das hat er dann gemacht, mittlerweile bestellt er den Bio-Ingwer direkt beim Erzeuger. Immer noch kein billiger Spaß: "Der Preis ist in den letzten Jahren noch sehr stark gestiegen, in den letzten Saisonen gab's viele Verluste wegen schlechtem Wetter. Und auch Corona war ein Problem – in China, wo man ja stark auf Naturprodukte und Naturmedizin zählt, stieg auch die Nachfrage nach Ingwer, weil er dort als Corona-vorbeugend gilt. Da war es oft wirklich schwierig, gute Ware zu bekommen." Friedl besteht auf Bio-Ingwer in hoher Qualität. "Man kann natürlich auch viel Mist am Markt kaufen, aber den können wir nicht verwenden."

Feuerblitze aus der Hand

Um die 200 Kilo werden hier im kleinen Kellergewölbe auf einmal verarbeitet. Fünf bis sechs Leute sitzen dann stundenlang gemeinsam hier an ein paar Holztischen. "Zuerst werden die Knollen vorsortiert, es kommt alles raus, was eventuell verschimmelt oder sonst nicht verwertbar ist." Dann wird das Ganze gewaschen, aufgebrochen und händisch zugeputzt und in kleine Stücke geschnitten. Maschinell lässt sich das wegen der Oberflächenbeschaffenheit der Knollen nicht machen, "weil dann hast du alles drin, Wurzeln, eingewachsene Steinchen, Erdreste".

Eine mühevolle Arbeit – bei der man unbedingt Handschuhe tragen muss. "Da kannst du regelrecht Feuerblitze schicken, wenn du keine Handschuhe anhast", lacht Friedl. "Ingwersaft öffnet die Gefäße, da spürt man bald richtig den Herzschlag in der Hand, ganz heiß wird das!" Und gibt gleich nebenbei einen Life-Pro-Tipp: "Bei kalten Händen oder Füßen wirkt ein Ingwerbad Wunder!"

Wie viel Kilo Ingwer braucht es für einen Liter Feuerkuss? "Für 1.000 Flaschen brauchen wir 150 bis­ 200 Kilo. Es ist nicht immer gleich, der Ingwer ist mal trockener, mal saftiger, mal gibt er mehr ab, mal gibt er weniger ab." Angesetzt werden die Ingwerstücke mit Ethanol (also quasi hochreinem Ansatzkorn) in kleineren und großen Edelstahltanks zwischen 25 und 300 Kilo, "alles, was gerade noch irgendwie mobil ist, für einen fix eingebauten Riesentank ist kein Platz".

Zuckerfrei und schweinesicher

Was kommt da außer Ingwer und Alkohol eigentlich noch alles rein? "Bio-Apfelsaft und die Maische für Geschmack und Süße", erklärt Friedl, "Zucker setzen wir sonst keinen zu." Die Fruchtsüße der Äpfel, die er vom Bauern in der Steiermark bezieht, reicht völlig aus. Ich sage auch immer zu den Leuten: Vorsicht, er heißt zwar Likör, aber er ist nicht wirklich süß, sondern eher scharf! Weil Zucker funktioniert da ja ein bisschen wie Butter, wenn man genug dazuschmeißt, schmeckt alles irgendwie gut. Ich will aber, dass man hauptsächlich die Zutaten schmeckt." So wie auch die diversen Kräuter und Aromate, die sonst noch in den Feuerkuss kommen – über die Zusammensetzung seiner Gewürzmischung lässt sich Friedl aber keine Details entlocken. "Wir haben wirklich lang daran getüftelt, zum Glück haben wir gleich mehrere gut ausgebildete Zungen, wie ich immer sage!" Friedls Mutter ist nämlich eine wunderbare Köchin, erzählt er, und seine Ehefrau Daria erfahrene Gastronomin.

Ingwer, Likör, Feuerkuss
Für 1.000 Flaschen "Feuerkuss" werden 150 bis­ 200 Kilo Ingwer benötigt.
Regine Hendrich

Nachdem die Ansatzmischung ein paar Wochen lang gezogen hat, wird sie abgeseiht und ausgepresst – "wie mit riesigen Teebeuteln" –, die Flüssigkeitsmenge dann noch wenn nötig mit Zusatz von Alkohol ausgeglichen, der fertige Feuerkuss hat einen Alkoholgehalt von feurigen 24 Prozent. Dann wird das Ganze in Flaschen abgefüllt. "Das machen wir selbst, wir haben eine eigene Abfüllanlage im 9. Bezirk. Nur die Miniaturfläschchen, die lassen wir von einem Partnerbetrieb abfüllen, dazu braucht man wieder eine eigene Anlage." Zwischen 10.000 und 20.000 Standardflaschen werden jährlich in etwa produziert, dafür werden drei bis vier Tonnen Rohstoffe verarbeitet.

Aus dem abgefilterten Rest entsteht Humus – er landet im Biomüll. "Ursprünglich haben wir uns gedacht, dass wir die Reste einem Bauern geben, zum Verfüttern an die Schweine. Er hat dann aber gesagt, dass das keine gute Idee ist, weil da noch immer einiges an Restalkohol drin ist. Er hat erzählt, dass er mal seine Schweine mit Obst gefüttert hat, dass schon leicht angegoren war. Und die Schweinderln waren daraufhin so fett, dass sie aggressiv geworden und aufeinander losgegangen sind. Das wollten wir dann nicht mehr riskieren." (Gini Brenner, 17.11.2023)