"Es wird kein Neubau sein." Dieser Satz kam von allen Experten und Expertinnen, die DER STANDARD nach dem Haus der Zukunft befragt hat. Das Haus der Zukunft existiert bereits, ist sich Madlyn Miessgang sicher. Sie hat Architektur studiert und forscht nun am Future Lab der TU Wien. Vielleicht ist es erst zehn Jahre alt, vielleicht wurde es bereits in den 70er-Jahren gebaut. "So oder so, der Bestand ist eine Ressource, die wir adaptieren und nutzen müssen", sagt sie.

Dass es sich dabei um ein Mehrparteienhaus handelt, ist für Miessgang so klar, dass sie es zunächst gar nicht extra erwähnt. "Das Einfamilienhaus ist ein Auslaufmodell", sagt sie, "das wird sich mit den Ressourcen und auch finanziell nicht mehr ausgehen." Sie ist sich hingegen sicher, dass die Gemeinschaft in Zukunft eine tragende Rolle spielen wird.

Die Pflege von Älteren und Kindern, gemeinsames Lernen, Spielen und auch Kochen könne in Gemeinschaftsräumen stattfinden. So würde Platz im privaten Bereich eingespart, Wohnraum generell verdichtet und effizienter genutzt. Es sei zu hinterfragen, ob künftig jede Wohnung eine eigene Küche brauche, vielleicht genüge auch eine Gemeinschaftsküche für manche. "Wir werden das Konzept von Privatheit hinterfragen und uns stärker auf die Gemeinschaft und gemeinschaftliche Nutzungen fokussieren", sagt Miessgang.

Bauplan, Lineal und Helm auf Baustelle
Grundrisse könnten künftig flexibler gestaltet sein.
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Manche Gemeinschaftsnutzungen verteilen sich zudem nicht nur innerhalb eines Hauses, sondern können sich auch auf ganze Grätzel oder Quartiere erstrecken. Miessgang: "Das Haus der Zukunft muss über die eigene Grundstücksgrenze hinausdenken." Nichtsdestotrotz brauche es auch die Möglichkeit flexibler Grundrisse, damit sich das Leben der Bewohnerinnen und Bewohner darin verändern kann.

"In einem Gebäude muss alles möglich sein", sagt auch Architekt Thomas Romm. Am "nutzungsoffenen" Bauen werde künftig kein Weg vorbei führen – und das sind nicht die einzigen Veränderungen, die die Gebäude der Zukunft mit sich bringen.

Abbruch verboten

Verbundwerkstoffe, sprich Stoffe, die aus mehreren Materialien bestehen, werden laut Romm immer weniger. Stattdessen werde künftig noch mehr auf massive, einfache und monolithische Konstruktionen gesetzt. Die Vorteile: Sie sind gut rückbaubar und bieten die Möglichkeit, Wärme zu speichern – und damit auch die Möglichkeit, das "Übel der Techniklastigkeit unserer Gebäude zu überwinden".

Für Romm ist die Langlebigkeit der Gebäude – und nicht der bestmöglich rezyklierende Abbruch – die zentrale Voraussetzung für klimagerechtes, kreislauffähiges Bauen. Für den Architekten ist ein Abbruchverbot beziehungsweise das Einholen einer Abbruchgenehmigung unerlässlich – diese ist auch in der Kreislaufwirtschaftsstrategie des Klimaschutzministeriums angekündigt.

Holz oder Betonbau

Als Architekt wolle Romm zwar, dass auch in Zukunft neu gebaut werden darf – mit diesen Bauten müsse aber Klimareparatur betrieben werden. "Wichtig ist, den Schaden nicht nur zu begrenzen, sondern Gutes zu tun." Gebaute Strukturen können CO2 nämlich über Jahrhunderte speichern. In allererster Linie eigne sich Holz, sofern es nicht verbrannt wird. "Das muss unbedingt verhindert werden", sagt Romm.

Doch auch in Betonhäusern werden wir in Zukunft nachhaltiger wohnen. Denn der Baustoff könnte schon bald eine weitaus bessere Klimabilanz haben. Daran arbeitet zumindest ein Forschungskonsortium aus zehn Firmen in Österreich. Sie haben zunächst den Zementanteil reduziert und nun in einem weiteren Schritt verkohltes Altholz hinzugefügt. Der sogenannte Performancebeton verbraucht 80 Prozent weniger an CO2-Emissionen verglichen mit konventionellem Beton.

Das Forschungsprojekt wurde vom Klimaministerium und der Stadt Wien in Auftrag gegeben. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) machte deutlich, dass Beton auch in Zukunft ein zentraler Baustoff sein werde. "Wir werden auch nach 2040 noch sanieren müssen", sagte Gewessler in Hinblick auf das Zieljahr, bis zu dem Österreich klimaneutral sein will. Zudem spiele Beton auch bei der Energiewende eine Rolle – etwa bei der Bauteilaktivierung, bei der Betonelemente Hitze für die spätere Verwendung speichern.

Die Dämmung

Um die Temperatur konstant zu halten, spielt die Dämmung eine zentrale Rolle. Bereits in den vergangenen Jahren wurde in Österreich mehr gedämmt – Tendenz weiter steigend. Während der Großteil noch zum günstigsten Schaumstoff, gefolgt von Mineralwolle, sprich Stein- und Glaswolle, greift, könnte sich das in Zukunft ändern. Architekt Peter Schubert tüftelt nämlich an Alternativen.

In den vergangenen Jahren hat er sich mit Stroh beschäftigt, ab Dezember will er sich alten Jeans widmen. "Sie bestehen zu mindestens 95 Prozent aus reiner Baumwolle und wärmen gut, darum tragen wir im Winter auch Baumwollkleidung", sagt der Architekt. Zudem habe Baumwolle mit 450 Grad eine hohe Zündtemperatur. "Raucher wissen das", sagt Schubert, "fällt eine Zigarette auf die Jeans, passiert kaum etwas." Der Architekt geht davon aus, dass die Entflammbarkeit zudem von 450 auf 1.000 Grad mit nur einer Behandlung erhöht werden kann. Doch schon jetzt, ist sich Schubert sicher, erfüllen die zerrissenen Jeans die Anforderungen im Innenausbau.

Da die Herstellung von Baumwolle sehr ressourcenintensiv ist – eine Jeans benötige in etwa 8.000 Liter Wasser –, wäre es "absurd", frische Baumwolle als Dämmstoff zu verwenden. Eine Weiterverarbeitung von Jeans zu Reißwolle wäre hingegen klimaschonend. Werden sie nicht mehr getragen, landen Altkleider häufig in Afrika oder der chilenischen Atacama-Wüste auf irgendwelchen Mülldeponien.

Um zu beweisen, dass recycelte Jeans der bessere Dämmstoff sind, startet Schubert in Zusammenarbeit mit Knauf Insulation, die Dämmstoffe aus Glas- und Steinwolle, aber auch Holzwolle vertreibt, das Forschungsprojekt Dämmstoff Himmelblau. In den kommenden drei Jahren wollen sie Daten sammeln und nachhaltige Herstellungsverfahren testen, um zu zeigen, dass die Brandschutzanforderungen auch mit Baumwolldämmung erfüllt werden können. Vorbild sei ein Projekt in den USA, wo die sogenannte Ultratouch-Jeansdämmung bereits im Baumarkt verkauft wird. "Da wollen wir auch hin", sagt Schubert.

Sanierung coachen

Da künftig neben dem Halten von Temperaturen auch die Kühlung von Gebäuden wichtiger wird, blickt Architekt Romm auch in Länder, die seit jeher hohen Temperaturen ausgesetzt sind. Künftig könnten auch in Österreich arabische Luftbrunnen verbaut werden. Dabei strömt Luft durch das Erdreich oder unterirdische Hohlräume und zurück in den Wohnraum, wo die Temperatur konstant gehalten werden kann. Eine Imitation davon gab es bereits in den Gründerzeithäusern in Wien, wo Luftschächte mit den Räumen verbunden sind und diese, wie auch bei den arabischen Luftbrunnen, mit kühler Luft versorgen.

Damit künftig nicht nur erneuerbare Energien verbaut werden, sondern das Gebäude auch thermisch optimiert und damit der Energiebedarf des Gebäudes gesenkt wird, braucht es laut Heinrich Schuller künftig den Beruf eines Sanierungscoachs. Der Architekt und Mitgründer von Architects for Future, einem Ableger von Fridays for Future, weiß, dass eine Eigenheimsanierung komplex sein kann. Ein Sanierungscoach würde planen, die Baustelle koordinieren und sich um Förderungen kümmern.

Unerlässlich ist für Schuller jedenfalls, dass Häuser künftig in ihre Einzelteile zerlegt und diese wiederverwendet werden können. Dämmstoffe, Verkleidung, Fassade – einfach alles soll wie Legoteile auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden können. Derzeit gebe es zwar die Möglichkeit, Fenster zerstörungsfrei auszubauen, es werde allerdings selten gemacht, weil die Technik schlicht zu teuer sei. "Der Modulbau ist nichts Schlechtes", sagt Schuller. Im Gegenteil, dadurch könne die Qualität auch besser werden. (Julia Beirer, 30.11.2023)