Jüdinnen und Juden müssen in Österreich in Sicherheit leben können. Das ist Verfassungsministerin Karoline Edtstadler ein Anliegen, der Kampf gegen Antisemitismus eine "Herzensangelegenheit", wie sie bei einem Hintergrundgespräch mit Medien am Donnerstagabend am Ballhausplatz betonte. Tatsächlich würden aber gerade alle Dämme in der Gesellschaft brechen, warnte die ÖVP-Ministerin.

Kranzniederlegung der österreichischen Bundesregierung in Gedenken an die Novemberpogrome 1938 im Ostarrichipark. *** Vienna, Austria November 9, 2023 Wreath-laying ceremony of the Austrian Federal Government in remembrance of the November pogroms of 1938 in Ostarrichipark
Die Namensmauer im Wiener Ostarrichipark.
IMAGO/Andreas Stroh

Seit 2021 werden in Österreich alle Maßnahmen der Ministerien, die Antisemitismus eindämmen und ein sicheres jüdisches Leben fördern sollen, in der Nationalen Strategie gegen Antisemitismus (NAS) gebündelt. Einige Initiativen gab es bereits, andere wurden seither angestoßen. Anlass für den Termin war unter anderem die Präsentation des zweiten Umsetzungsberichtes der NAS.

Meilensteine der Umsetzung

Die Bilanz: Nach zwei Jahren sind bereits 26 der 38 Maßnahmen, die man sich im Rahmen der NAS vorgenommen hatte, umgesetzt. Als "Meilensteine" werden im aktuellen Bericht etwa die Einrichtung einer Arbeitsgruppe für eine Dokumentationsstelle genannt, die eine bessere Datenerfassung antisemitischer Vorfälle und Hassverbrechen bringen soll, die Unterzeichnung von bisher elf EU-Staaten der "Wiener Deklaration" gegen Antisemitismus und für dessen Dokumentation, den Ankauf von Teilen des KZ Gusen durch den Bund, eine mehrjährige Kooperation Österreichs mit der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel, eine Kooperation des Militärs mit dem Mauthausen Memorial oder die Errichtung der Namensmauer zum Gedenken an Opfer des Holocaust in Wien. Auch die Novelle des Verbotsgesetzes ist ein Teil des Kampfes gegen Hetze gegen Jüdinnen und Juden.

"Man kann nie genug tun", sagte Edtstadler, und auch wenn Österreich bei der Umsetzung seiner Strategie "Vorreiter" sei, gelte dies seit dem 7. Oktober besonders. Es sei ihr egal, wo der Antisemitismus herkomme, ob von "links, rechts oder importiert oder antizionistisch", so Edtstadler. Schon jetzt lässt sich deutlich abschätzen, dass antisemitische Vorfälle heuer gegenüber dem Vorjahr massiv zugenommen haben.

Auf europäischer Ebene wurde schon 2018 durch eine gemeinsame Erklärung der EU-Mitgliedsstaaten die Bekämpfung von Antisemitismus und zur Entwicklung eines gemeinsamen Sicherheitskonzepts für jüdische Gemeinschaften und Einrichtungen in Europa auf Schiene gebracht. Koordinatorin in der Europäischen Kommission ist Katharina von Schnurbein, die am Donnerstag aus Paris ins Bundeskanzleramt zugeschaltet war und die NAS Österreichs lobte, weil Österreich "innerhalb der EU dieses Thema pusht".

Vor und nach dem 7. Oktober

Es gebe ein "Vor und Nach dem 7. Oktober", so Schnurbein, der Kampf gegen Antisemitismus betreffe nicht nur Israel, sondern es gehe um die Frage: "Sind wir auf der Seite der Demokratie oder gleiten wir ab in eine Situation Hass ein Kommunikationsmittel wird?"

Da die Situation auf diversen Kommunikations- und Social-Media-Plattformen längst gekippt ist, will die EU auch die großen Player wie Tiktok verstärkt durch das Gesetz über digitale Dienste (DSA) zur Verantwortung ziehen, so Schnurbein. Das heißt, soziale Plattformen, die in Europa operieren, müssten Analysen darüber vorlegen, wie sie die Gesellschaft gefährden und wie sie dagegen vorgehen. Ansonsten setzte es hohe Geldstrafen.

Auch ein Netzwerk der Fact-Checker soll im Internet dort für Gegenrede sorgen, wo etwa antisemitische Propaganda verbreitet wird.

In der EU haben 13 Länder seit 2018 eigene Strategien entwickelt, 18 weitere haben zumindest eigene Beauftragte für Maßnahmen gegen Antisemitismus.

Ein eher unrühmliches Paradoxon stellt Ungarn dar, wo Jüdinnen und Juden zwar relativ sicher leben können sollen, aber mitunter von staatlicher Seite selbst antijüdische Verschwörungsmythen gefördert werden.

Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Donnerstag, 19. Oktober 2023, anl. des? Nationalrat - u.a. Bundesfinanzgesetz 2024, in Wien. - FOTO: APA/EVA MANHART
Verfassungsministerin Karoline Edtstadler im Parlament.
APA/EVA MANHART

Bei dem Hintergrundgespräch erzählte Antonio Martino, Leiter der Abteilung Förderung österreichisch-jüdisches Kulturerbe und Antisemitismusbekämpfung im Bundeskanzleramt, wie man die Ziele der NAS, etwa im Bereich Bildung, Sicherheit, effektiver Strafverfolgung, Integrationsarbeit, Dokumentationen zwecks Datenvergleichs und gesellschaftspolitische Arbeit vorantreibe.

Wertekurse für Zugewanderte

In Sachen Integration wird unter anderem auf Werte- und Orientierungskurse für Migrantinnen und Migranten gesetzt. Diese dauern insgesamt 24 Stunden auf drei Tage verteilt und bestehen aus Modulen, die sich etwa der Geschichte Österreichs widmen oder "generell die Vermittlung des Judentums" anstrebten. Eine Evaluierung solcher Kurse soll demnächst vorliegen, die Ergebnis seien jedenfalls positiv, so Martino.

Martino betonte, dass auch die jüngste Vergangenheit gezeigt habe, dass es nur "einen Funken braucht, um einen latenten Antisemitismus zu entfachen, der in diesem Ausmaß besorgniserregend ist". Man habe das am 7. Oktober, aber auch schon in der Pandemie oder mit Ausbruch des Ukrainekrieges beobachtet. Nach dem 7. Oktober wurde nun eine neue, zusätzliche Taskforce eingerichtet, die im Dezember ihre Arbeit aufnehmen wird. (Colette M. Schmidt, 17.11.2023)