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FPÖ-Politiker Johann Tschürtz las die Namen von 21 Kindern einer Volksschule in Niederösterreich vor und sprach anschließend davon, dass straffällige Asylwerber abgeschoben gehören.
APA/HELMUT FOHRINGER

21 Namen. 21 Kinder. Konkrete Vorwürfe hat Johann Tschürtz nicht. Der FPÖ-Politiker verliest im burgenländischen Landtag trotzdem die Namen von Kindern einer Volksschulklasse und spricht kurz darauf über straffällige Asylwerber. Für Tschürtz haben diese Kinder von Geburt an etwas falsch gemacht: Sie tragen einen Namen, der nicht in sein Bild von Österreich passt.

In einer Zeit, in der Antisemitismus wieder dramatische Ausmaße annimmt, tragen rassistische Aussagen wie die von Tschürtz vor allem zu einer Pauschalverurteilung von Musliminnen und Muslimen bei und vergiften den Diskurs insgesamt noch mehr. Und derartige Aktionen fallen in eine für viele muslimische Jugendliche bereits heikle Zeit. Als würden sie unter Beobachtung stehen – so schildern sie ihre derzeitige Lage in der Schule etwa der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus. Sie werden aufgefordert, sich zum Krieg im Nahen Osten zu positionieren, sich von Terror zu distanzieren, ihnen wird gesagt, ihre Religion habe in der Schule keinen Platz. Die Dokumentationsstelle verzeichnete in den wenigen Wochen seit Oktober 2023 mehr Fälle als zwischen Jänner und September insgesamt.

"Klare Erwartungen" nur an eine Gruppe

Im ersten Augenblick denkt man sich vielleicht: Es kann doch nicht so schwer sein, sich von der Hamas zu distanzieren. Ist es natürlich für viele überhaupt nicht. Aber es werden eben nur Angehörige einer bestimmten Religionsgemeinschaft dazu aufgefordert. Sie fühlen sich dann, zu Recht, als würden sie unter Generalverdacht stehen.

Aus der Politik wird nicht nur von der FPÖ Öl ins Feuer gegossen. Nachdem Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) bereits eine "Null-Toleranz-Initiative" voller Schikanen für Ausländer angekündigt hatte, forderte sie kurz darauf von offizieller muslimischer Seite nicht nur "klare Worte der Abgrenzung und Ablehnung, sondern auch aktive Überzeugungsarbeit in den Moscheen und Schulen". Sie äußerte die "klare Erwartung", dass Muslime in Österreich "Hass und Antisemitismus ablehnen". Der Forderung nach Ablehnung von Hass und Antisemitismus ist an sich nicht zu widersprechen, sie ist aber an alle Menschen in Österreich zu stellen. Ansetzen könnte man auch in der eigenen Regierung: Immerhin koaliert die Landeshauptfrau mit jener FPÖ, deren Vorsitzender Mitglied einer Burschenschaft war, in deren Liederbüchern die Vergasung von Juden gefeiert wurde.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft bezeichnete bereits kurz nach dem Terrorangriff auf Israel die Brutalität der Hamas als "absolut inakzeptabel und aufs Schärfste abzulehnen", verurteilte jede Form von Gewaltaufrufen bei Demonstrationen und leitete eine Sensibilisierung des Lehrpersonals in die Wege. Mikl-Leitner und vielen anderen geht es aber wohl um die muslimische Bevölkerung als Ganzes beziehungsweise um jedes einzelne Individuum, das sich von Antisemitismus distanzieren soll.

Subjektive Wahrnehmung trifft auf tatsächliche Diskriminierung

Angesichts steigender Zahlen von Übergriffen auf jüdische Menschen und Einrichtungen ist ein entschiedenes Vorgehen gegen Antisemitismus absolut angebracht. Das Problem in muslimischen Communitys darf auch nicht geleugnet oder kleingeredet werden. Es ist nicht eine Frage des Ob, es ist aber eine Frage des Wie: Distanzierung von jeder einzelnen muslimischen Person zu verlangen ist nicht zielführend und außerdem rassistisch. Liberale Musliminnen und Muslime haben mit der Hamas überhaupt nichts am Hut, zum Teil handelt es sich um Menschen, die selbst vor islamistischem Terror geflohen sind. Viele bekennen sich ähnlich wie Taufscheinchristen eher zu einer "Kultur" und nicht den Regeln einer Religion.

Kinder, die lesen
In Zeiten des Nahostkriegs ist die Stimmung in vielen Schulen angespannt.
APA/dpa/Sebastian Gollnow

Für muslimische Jugendliche sind Aussagen wie jene von Tschürtz und Mikl-Leitner nur einige von zahlreichen derzeit empfundenen Ungerechtigkeiten. Für Trauer über zivile Opfer in Gaza scheint es keinen Platz zu geben, immer wieder werden, vor allem in Deutschland, Palästina-Demos untersagt. Die jährliche palästinensische Filmwoche in Wien wurde verschoben, in Berlin eine Fotoausstellung über muslimisches Leben, in Frankfurt die Ehrung einer palästinensischen Autorin. Vorfälle wie diese nähren das Gefühl der Kollektivschuld, dass alle palästinensisch, arabisch, muslimisch gelesenen Personen antisemitischer Terrorsympathie verdächtigt werden. Subjektive Wahrnehmung trifft auf tatsächliche Diskriminierung, und bei Betroffenen kommt an: Eure Perspektive ist nichts wert. Euer Leben ist nichts wert.

Fachleute warnen vor einem extremen Ausmaß an Polarisierung, vor fundamentalistischen Rattenfängern, die in dieser Situation ein leichtes Spiel haben, weil sie genau diese Ungleichbehandlung seit Jahren predigen. Islamwissenschaftler Rami Ali spricht von einer Zäsur und dem "wohl größten Katalysator für Entfremdung und soziale Desintegration". Viele Musliminnen und Muslime, die es sich leisten können, denken zum ersten Mal ernsthaft an Auswanderung, weil sie sich in diesem Diskurs nicht repräsentiert sehen.

Überfordertes Lehrpersonal

Wie kommen wir da also heraus? Zunächst einmal müssen diese Pauschalisierungen ein Ende haben. Dass man nicht eine gesamte Bevölkerungsgruppe für die Taten einiger weniger verantwortlich machen kann, sollte selbstverständlich sein. Weiters muss jetzt vor allem in den Schulen angesetzt werden. Antisemitische und antimuslimische Vorfälle häufen sich, das Lehrpersonal ist nicht nur wegen fehlender Ressourcen, sondern auch fehlender Expertise oft überfordert und fühlt sich mit dem Problem alleingelassen. Die Autorin und ehemalige Lehrerin Melisa Erkurt schlägt vor, dass Zeitzeuginnen, Menschen, die Krieg und Terror überlebt haben, an Schulen aufklären sollen. Dunia Khalil von der Dokustelle Islamfeindlichkeit betont, wie wichtig es ist, Perspektivenvielfalt zu schaffen und Expertise einzubeziehen. Sie empfiehlt Anti-Rassismus-Trainings für Jugendliche und Sensibilisierungsworkshops für Lehrkräfte.

Es gibt sie, die besonnenen Stimmen von Fachleuten, die jahrelange Erfahrung haben und jetzt durchaus vernünftige Vorschläge liefern. Verantwortliche in der Politik täten besser daran, auf sie zu hören – anstatt auf verletzende und gefährliche Pauschalisierungen zu setzen. (Noura Maan, 19.11.2023)