Goldoni Latella Patriarchat Komik
Noch sieht im Wiener Volkstheater das Ensemble authentisch nach Goldoni aus – bald wird seinesgleichen splitterfasernackt dastehen.
© Marcel Urlaub // Volkstheater

Das muss einem als Schauspieler erst einmal passieren: Da übernimmt man eine Rolle in einer heiteren italienischen Verstellungskomödie aus dem 18. Jahrhundert, plötzlich steht man mit heruntergelassener Hose auf der Bühne, schlenkert mit seinem Penis und behauptet, es wäre ein "Degen". Als nächstes packt der Darstellerkollege die neue Waffengattung mit den Fingern, zieht einen daran über die Spielfläche. Und nach zwei Stunden steht man überhaupt splitterfasernackt da und muss zu einem feministischen Drill-Song (Lisa Schützenberger) klatschen, der das Patriarchat anprangert. Und alles, weil Clarice, die einem zur Frau versprochen wurde, einen aus unerfindlichen Gründen nicht mehr heiraten will und man das nicht versteht. So geschieht es in Carlo Goldonis Diener zweier Herren im Volkstheater. Antonio Latella inszeniert den Stoff.

Die Geschichte gibt an sich nicht viel außer Verwicklungen her: Clarice (Irem Gökçen) sollte den Rasponi heiraten, das hat der Vater mit seinem Geschäftsfreund ausgedealt, der ist aber gestorben. Also soll sie nun Silvio (Mario Fuchs) ehelichen, auch da stehen die Väter (Andreas Beck, Stefan Suske) dahinter.

Die beiden lieben einander immerhin tatsächlich, quer über die Bühne hopsend schwören sie einander in einem aufwendigen Prozess Wort an Wort stoppelnd Zuneigung. Soweit so gut, bis die Schwester (Lavinia Nowak) des Toten auftaucht, sich als er ausgebend, um an sein Vermögen zu kommen – weil sie als weibliche Erbin von den alten Männern ja nicht anerkannt würde. Die Ehe strebt sie zwecks Tarnung an.

Mit bringt sie den Diener Truffaldino (Elias Eilinghoff), der im grauen Harlekinkostüm mehr als eine Schraube locker hat. Mit irrer Intonation und Grimassen erklimmt er die Bühne. Weil Beatrice ihn schlecht nährt, wird er im Hunger einen zweiten Dienstherrn (Birgit Unterweger) annehmen. Für ihn bedeutet das noch mehr Stress, für das Stück noch mehr Verwirrung. Puh.

Die nötige Distanz

Der Italiener Latella hält all dem eine leere – nur Taubengurren und Glockenschläge markieren sie als Venedig – Bühne (Giuseppe Stellato) entgegen und distanziert sich so bereits wohltuend vom Stoff. Wie macht man den Stuss für 2023 fruchtbar? Man überführt ihn als solchen und potenziert ihn mit Körper- und Sprachkomik! Also wird beim Stille-Post-Spielen aus dem Wort "ermordet" "amore", wird gehopst, werden Beine im Kuss angewinkelt, strecken zwei beim Deklamieren die Körper aus einer Sänfte.

Und zwischendurch wird auch getanzt – und gerappt, zur feministisch-emanzipatorischen Unterströmung des Abends passend "lick this pussy like you should". Bei der Aufforderung zum Cunnilingus zog es ein paar aus dem Saal, manche fragten sich nach zwei Stunden: Gehen wir in die Pause oder doch z’haus?

Einige Plätze blieben nach der Pause tatsächlich leer. Insgesamt hat der sympathische Abend aber einen guten, in sich stimmigen Sound und Sog sowie mit Eilinghoffs Truffaldino ein starkes Zentrum. Der voriges Jahr mit dem Nestroy für die beste Nebenrolle Ausgezeichnete spielt sich als Titelfigur die Seele aus dem Leib und aus dem Ensemble hervor in die erste Reihe. "Hab ich vom Regisseur gelernt … hat die ganze Zeit Italienisch gesprochen, hab kein Wort verstanden", und: "Der Regisseur hat gesagt, ich soll das machen, und ich zieh das jetzt durch", feixt dieser schnaufende, spuckende, schwitzende traurige Clown und flirtet über die vierte Wand hinweg in drei langen Soli mindestens so sehr mit dem Publikum wie mit den Ensemblekollegen. Irgendwie ist das sehr 1990er.

Der einzige Faktor

Ironisch spielt Latella in dieser Inszenierung Theatertraditionen und einstige -innovationen durch. Deswegen sind auch die Kostüme (Simona D’Amico) von einer augenzwinkernden Geschmacklosigkeit. Was hier als einziger und unhintergehbarer Faktor fürs Gelingen übrig bleibt, ist das Spielen selbst. Eine gestische Tour de force, wenn Uwe Schmieder nach der Pause den Tisch deckt!

Anfangs skeptisch, registriert man zunehmend die wohltuende Kraft dieses – zur Abwechslung mal – Abbaus von Bedeutung in debattentechnisch derart hochgerüsteten Zeiten. Gaffen und großer Applaus. (Michael Wurmitzer, 19.11.2023)