Marcel Reif mit dunkelblauem Sakko.
Marcel Reif schwärmt vom österreichischen Team. "Ihr habt eine fantastische Generation."
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Die deutsche Fußballnationalmannschaft reist mit einem Misserfolgserlebnis zum Länderspiel gegen Österreich am Dienstag im vollen Happel-Stadion (20.45 Uhr, ORF 1) an. Am Samstagabend wurde in Berlin gegen die Türkei ziemlich verdient 2:3 verloren. Es war eigentlich eine Auswärtspartie, gut 50.000 der 72.592 Fans im Olympiastadion feuerten die Türken an.

Der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann sagte nach seiner ersten Niederlage im dritten Match: "Wir können jetzt schwarzmalen und alles schlecht sehen, damit werden wir aber nicht weiterkommen. Wir müssen jetzt Stärken stärken." Den 36-Jährigen ärgerte, dass "einige Spieler nicht die hundertprozentige Überzeugung" hatten.

Die Österreicher stuft er stärker als die Türken ein. "Die bringen extreme Emotionalität rein." In Wien kommt es zum brisanten Wiedersehen mit Landsmann Ralf Rangnick, der 65-Jährige kümmert sich mit vorerst mehr Erfolg um die ÖFB-Auswahl. Rangnick hat Nagelsmann einst bei Hoffenheim kennengelernt, er holte ihn später nach Leipzig. Die gegenseitige Wertschätzung ist groß, die Arbeitsweise ähnlich. Sportmoderatorenlegende Marcel Reif kennt beide ganz genau.

STANDARD: Herr Reif, kommen Sie nach Wien?

Reif: Nein, ich beobachte das mittlerweile aus der nötigen Distanz.

STANDARD: Ist es diesmal nicht nur ein Match Österreich gegen Deutschland, sondern auch Rangnick gegen Nagelsmann?

Reif: Ja, klar, weil die beiden aus der gleichen Ecke kommen. Ob es ihnen passt oder nicht, dafür werden die Medien schon sorgen. Der eine ist der junge Wilde, und der andere war einmal der Trainer an der Tafel, der Professor.

STANDARD: Was eint die beiden? Was trennt sie? Auffallend ist neben dem großen Altersunterschied und der deutschen Staatsbürgerschaft, dass beide mäßige bis grottenschlechte Kicker waren.

Reif: Sie haben es, aus welchen Gründen auch immer, nicht geschafft. Nagelsmann wäre ohne Verletzung vielleicht ganz gut geworden, er sieht das nüchtern. Rangnick hat ja in England studiert und unterklassig gespielt, er hat dort seine Liebe zur Premier League entdeckt. Aber ja, sie sind bessere Trainer, als sie Fußballer waren. Das eint sie schon einmal.

STANDARD: Was trennt sie?

Reif: Das Alter, aber dann wird es schwer. Beide sind sehr akribische Arbeiter. Wenn man es negativ sagen wollte, sind sie sehr verkopft. Aus der Hüfte macht keiner der beiden was. Bei Nagelsmann wirkt das rhetorisch sehr gut, auch Rangnick kann sich gut ausdrücken. Aber er geht nicht so auf Pointen wie Nagelsmann. Sie halten mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg, und sie gehen beide davon aus, dass es wenig Widerspruch geben kann.

Ralf Rangnick im Training.
Ralf Rangnick führte Österreich zur EM.
APA/EXPA/JOHANN GRODER

STANDARD: Deutschland setzt enorme Erwartungen in Nagelsmann, den Wunderwuzzi. Rangnick hat diese in Österreich bereits erfüllt.

Reif: Übererfüllt.

STANDARD: Ist das österreichische Team vielleicht sogar ein bisserl weiter als das deutsche?

Reif: Ganz sicher. Das deutsche Team ist individuell noch immer besser besetzt, aber es ist keine Mannschaft geworden. Bei euch ist das anders. Ihr habt eine fantastische Generation. Österreich ist ein kleines Land. Solche Länder brauchen goldene Generationen, es darf dir nie ein Talent durch die Lappen gehen, die Jugendarbeit muss fantastisch sein. Red Bull hat euch geholfen mit allem, was man an dem Konstrukt nicht gut finden mag. Da wird überragend gearbeitet.

STANDARD: In Deutschland nicht?

Reif: In Deutschland gehen bei 90 Millionen Einwohnern viele Talente durch die Lappen. Ich kenne das aus der kleinen Schweiz, in der ich lange lebte. Jugendarbeit ist alternativlos, sonst kannst du den Laden dichtmachen. Und du brauchst, wie gesagt, ab und zu eine goldene Generation. Österreich hat im Moment eine goldene. Es ist immer noch ein bisserl Arnautovic, aber das ist ja das Charmante an euch, das leicht Arnautovic-Hafte. Er bedient das Klischee, aber er ist ein toller Kicker, hat eine Karriere vorzuweisen. Mit dem habe ich meinen Frieden gemacht, das ist einer. Die anderen sind gut ausgebildet, und sie spielen bei uns in der Bundesliga. Sie sind nicht irgendwelche Mitläufer in den Vereinen, sondern absolute Leistungsträger. Aus der Generation hat Rangnick eine tolle Mannschaft gemacht. Eure selbstzerstörerische Skepsis hat er abgearbeitet.

STANDARD: Warum genießt Rangnick in seiner Heimat nicht den allerbesten Ruf?

Reif: Es lag an seinem Abschied, er war ja der Wundertrainer. Dann ist es auf Schalke total schiefgegangen, er hat eine Ehrenrunde gedreht, es war gut, dass er ins Ausland gegangen ist.

STANDARD: RB Leipzig galt als unsympathisch und künstlich, er ist dafür gestanden.

Reif: Ja, das kommt sicher dazu. Aber es hat sich beruhigt, gegen Leipzig zu sein wirkt mittlerweile fast schon exotisch.

STANDARD: Wieso wurde Nagelsmann bei Bayern München rausgeworfen, er hatte doch Chancen auf drei Titel?

Reif: Er war nicht lernfähig, um sich einem solchen Klub doch ein bisschen unterzuordnen. Er hat ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein, hat ein paar Dinge gemacht, die er nicht noch einmal tun würde. Er würde sich in der Kabine anders verhalten, er würde sich anders kleiden.

Julian Nagelsmann im Training.
Julian Nagelsmann soll Deutschland zum EM-Titel führen.
IMAGO/Eibner-Pressefoto/Florian

STANDARD: Warum traut man ihm den Teamchef, den Bundestrainer zu?

Reif: Weil jeder weiß, dass er ein fantastischer Trainer ist. Eines der größten Trainertalente überhaupt. Nur jeden Tag in einem Klub, in einem Haifischbecken wie Bayern München zu sein, kann zum Problem werden. Wenn die Kabine sagt, unser Wunderwuzzi macht sich ein bisserl sehr wichtig, dann wird es eng. Dann verliebt sich Nagelsmann noch in die Reporterin der Bild-Zeitung, das kann man nicht erfinden.

STANDARD: Bei seinem Debüt wurde über das gewöhnungsbedürftige Karosakko von Nagelsmann diskutiert. Rangnick kann anziehen, was er will. Macht das das Leben leichter?

Reif: Viel leichter. Rangnick ist ein erwachsener Mann, neigt nicht zum Karo. Ihr seid lockerer. Wenn bei uns die Spieler sagen, die Stars sind wir, wir sind die Models, dann bedingt eines das andere. Nagelsmann hat sich bei den Bayern mit Manuel Neuer angelegt. Heute würde er vieles anders machen, er lernt im Schnellgang. Bayern war seine Schocktherapie, er hat bis zum Schluss nicht gedacht, dass er rausfliegt. Das war ihm völlig rätselhaft. Weil er ein intelligenter Junge ist, hat er es nun begriffen. Rangnick wäre übrigens ein Thema gewesen, aber er ist ja in Österreich engagiert. Es gibt keinen passenden Teamchef, der auf der Straße herumläuft.

STANDARD: Rangnick ist nach dem Schweizer Marcel Koller und dem deutschen Franco Foda bereits der dritte ausländische Teamchef in Österreich hintereinander. Ist in Deutschland ein Ausländer als Bundestrainer auszuschließen?

Reif: Völlig auszuschließen. Der Nabel der Fußballwelt ist in der Selbstbeschauung Deutschland. Ein Ausländer als Trainer wurde kurz diskutiert, aber sofort verworfen. Es wäre undenkbar, der Fußballbund DFB ist da unbelehrbar. Da seid ihr weiter.

STANDARD: Wie geht das Spiel aus?

Reif: Ich tippe 1:1, es wird ein Spiel auf Augenhöhe. Ich bin sicher, wäret ihr nicht für die EM qualifiziert, dann wäre es so ein Prestigetanz gewesen. Jetzt ist es ziemlich nüchtern ein Testspiel von zwei EM-Teilnehmern, die einiges probieren. Aber es wird Pfeffer drinnen sein. (Christian Hackl, 20.11.2023)