Eisenstadt/Wien – Deftige Aussagen in Reden von FPÖ-Politikerinnen und -Politikern sind nichts Neues: Erst am Wochenende zog Parteichef Herbert Kickl im Zuge der freiheitlichen "Heimattour" über alle möglichen Politikerinnen her. Da wurde Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) etwa als "grindig" bezeichnet und SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler als "marxistisches Früchtchen" abgetan. Besondere Aufregung verursachte jedoch am Wochenende nicht Kickl, sondern der burgenländische FPÖ-Klubobmann Johann Tschürtz.

In einer Rede im Landtag verlas Tschürtz 21 Namen von Volksschulkindern mit "migrantisch klingenden Namen" – im nächsten Moment forderte er die Abschiebung von "straffälligen Asylwerbern". Die Grünen brachten deshalb gegen Tschürtz eine Klage wegen Verhetzung bei der Staatsanwaltschaft ein.

Frage: Kann ein Politiker überhaupt für seine Aussagen verurteilt werden?

Antwort: Jein. Im Falle der Aussagen von Tschürtz dürfte die Anzeige im Sand verlaufen, erklärt Verfassungsexperte Peter Bußjäger von der Uni Innsbruck im Gespräch mit dem STANDARD. Denn der FPÖ-Politiker äußerte sich im burgenländischen Landtag – also in seiner beruflichen Tätigkeit als Politiker. "Abgeordnete dürfen für ihre Äußerungen im Parlament oder im Landtag nicht zur Rechenschaft gezogen werden", betont Bußjäger. Grund ist die parlamentarische Immunität, die den Abgeordneten in ihrer Arbeit als Parlamentarier einen verfassungsrechtlichen Schutz gewährt. Die Abgeordneten können nur vom Nationalrat zur Rechenschaft gezogen werden. Die Immunität endet mit der Funktion als Abgeordneter – nach dieser Zeit kann die jeweilige Person also von den Behörden verfolgt werden.

FPÖ-Landtagsabgeordneter Johann Tschürtz bei einem Interview.
FPÖ-Klubobmann Johann Tschürtz steht in der Kritik.
APA/GEORGES SCHNEIDER

Frage: Ein Politiker kann also sagen, was, wann und wo er will, ohne Angst haben zu müssen, dafür bestraft zu werden?

Antwort: Nein, denn die parlamentarische Immunität gilt nur für Aussagen von Politikerinnen und Politikern im Plenum der Landtage oder des National- und Bundesrats, erklärt Bußjäger. Außerhalb ihrer parlamentarischen Tätigkeit können Abgeordnete also sehr wohl verfolgt werden. "Hätte Tschürtz dieselbigen Aussagen etwa bei einer Pressekonferenz vorgetragen, wären sie sehr wohl klagbar", sagt Bußjäger. Steht die strafrechtlich relevante Handlung in Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit, braucht es für die behördliche Verfolgung jedoch die Zustimmung des Nationalrats. Stimmt der Nationalrat zu, ist dann von der "Auslieferung" an die Behörden die Rede.

Frage: Herbert Kickl beleidigte am Wochenende mehrere Regierungsmitglieder in seiner Rede im Rahmen der "Heimattour". Wären diese Aussagen klagbar wegen übler Nachrede?

Antwort: Möglicherweise könnte Kickl wegen verschiedener Aussagen erfolgreich geklagt werden, weil diese nicht im Plenum des Nationalrats getätigt wurden. Doch die Betroffenen, etwa die Bundesregierung, würden von solchen Klagen absehen, um nicht mehr Aufmerksamkeit auf die Sache zu ziehen, meint Bußjäger.

Im Frühjahr wetterte Kickl etwa gegen Bundespräsident Alexander Van der Bellen und bezeichnete diesen als "Mumie in der Hofburg". Die Staatsanwaltschaft nahm daraufhin Ermittlungen wegen Ehrenbeleidung auf, denn Kickl äußerte sich bei einer Rede in einem Bierzelt und nicht im Parlament. Wird ein Bundespräsident beleidigt, wird die Staatsanwaltschaft von sich aus aktiv – sie braucht aber auch die Zustimmung des Präsidenten. Van der Bellen lehnte die Strafverfolgung jedoch ab.

Frage: Was bedeutet das nun für die Anzeige der Grünen?

Antwort: Da sich Tschürtz im burgenländischen Landtag geäußert hat, muss er auch keine strafrechtliche Verfolgung befürchten. Zwar prüft die Staatsanwaltschaft den Tatbestand der Verhetzung und die Datenschutzbehörde die Nennung der 21 Schülerinnen und Schüler, aufgrund der parlamentarischen Immunität werde das Verfahren aber voraussichtlich bald eingestellt, sagt Bußjäger.

In einem ähnlichen Fall vor drei Jahren kam es zu einer Verurteilung: Ein NMS-Lehrer, der im Juli 2020 die Namen und Adressen seiner künftigen Schülerinnen und Schüler veröffentlichte, wurde aufgrund der Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte mit einer Verwaltungsstrafe belangt – der Pädagoge genoss im Gegensatz zu Tschürtz keine parlamentarische Immunität.

Frage: Wo endet die parlamentarische Immunität?

Antwort: Absolute Narrenfreiheit herrscht auch für die Abgeordneten nicht. Für begangene Straftaten und zivilrechtliche Vergehen, die nichts mit der beruflichen Tätigkeiten zu tun haben – etwa klagbare Aussagen außerhalb des Parlaments –, können auch Abgeordnete zur Rechenschaft gezogen werden. "Trinkt ein Abgeordneter nach der Nationalratssitzung, fährt dann betrunken heim und wird von der Polizei angehalten, hat er strafrechtliche Folgen zu befürchten. Denn betrunkenes Autofahren hat nichts mit der Tätigkeit als Abgeordneter zu tun", betont Bußjäger.

Frage: Welche politischen Folgen hat Tschürtz zu befürchten?

Antwort: Auch wenn Tschürtz für seine Aussagen nicht strafrechtlich verfolgt werden kann, muss sich der Burgenländer heftige Kritik aus der Opposition und aus den eigenen Reihen gefallen lassen. Die Neos fordern unter anderem seinen Rücktritt. Tschürtz hat sich am Montag für seine umstrittene Rede entschuldigt. Er habe damit zeigen wollen, dass sich die Einwanderungspolitik der Bundesregierung in den Schulen widerspiegele. "Namen von Schülern zu nennen war jedoch ein Fehler, und das tut mir auch leid", sagte der Klubobmann. (Max Stepan, Muzayen Al-Youssef, red, 20.11.2023)