Frau sitzt am Schreibtisch mit zahlreichen Dokumenten
Manche rutschen ohne Vorbereitung in Führungsrollen.
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Wer in seinem Job glänzt, dem sieht man das auch an: Die Person hat Spaß, ist organisiert, arbeitet meist sorgfältig. Und ist plötzlich für alle die Ansprechperson. Kolleginnen und Kollegen stellen viele Fragen zu den Aufgaben, brauchen Hilfe. Die Aufgaben werden immer administrativer und kommunikativer. So schnell können sie gar nicht schauen, müssen sie schon wichtige Entscheidungen für das Team treffen, vielleicht sogar personelle.

So sieht etwa ein typischer Fall eines "Accidental Managers" aus, würden Fachleute sagen – eine unabsichtliche Führungsrolle. Leistungsstarke Mitarbeitende landen vielerorts in Führungspositionen, ohne die nötigen Fähigkeiten, vielleicht sogar ohne die Leidenschaft dafür zu besitzen.

Der Begriff ist gerade vor allem im englischsprachigen Raum in aller Munde: Menschen, die unbeabsichtigt in eine Führungsrolle rutschen, ohne Vorbereitung, Training oder genügend Absprachen im Unternehmen. Eine britische Untersuchung des Chartered Management Institute (CMI) zeigt, dass 82 Prozent der neuen Führungskräfte im Vereinigten Königreich "zufällige Führungskräfte" sein sollen. Das Ergebnis stammt aus einer Yougov-Umfrage, die im Juni unter 4.500 Arbeitnehmerinnen und Führungskräften durchgeführt und kürzlich veröffentlicht wurde.

Der Unterschied zu jenen, die "formal" Führungskräfte wurden? Niemand hat sie darauf vorbereitet, Menschen in einem Team zu führen. Laut der Untersuchung haben ein Drittel der Arbeitnehmer ein Unternehmen bereits wegen der schlechten Beziehung zu den Vorgesetzten verlassen. Die Hälfte derjenigen, die ihre Vorgesetzten als ineffektiv ansehen, plant wiederum innerhalb eines Jahres zu kündigen. Folgenlos bleibt ungeeignetes Management demnach nicht.

Untertauchen und schwimmen

Der US-Autor Jim McCormick schrieb bereits vor einigen Jahren von den Gefahren, die unvorbereitete Führung mit sich bringen kann. Er ist Gründer des Research Institute for Risk Intelligence, Organisationsberater und ehemaliger COO eines großen Architekturbüros in den USA. Viel zu viele Unternehmen würden ihren beförderten Angestellten die sogenannte Sink-or-Swim-Methode zumuten, schreibt er. Bei dieser Methode werde davon ausgegangen, dass jeder intuitiv weiß, wie man führt.

In vielen Unternehmen seien die Aufstiegschancen begrenzt, wenn man nicht ins Management gehe. Meist sind die Möglichkeiten für Gehaltserhöhungen und Beförderungen mit einer Führungsrolle verbunden. Andere Fachleute warnen sogar vor zahlreichen Fällen von Burnout und diversen psychischen Problemen unter plötzlichen Führungskräften: Denn sie müssen Situationen bewältigen, mit denen sie kaum Erfahrung haben, anstatt ihre fachlichen Fähigkeiten auszuleben.

Für die frischgebackenen Managerinnen und Manager, die in dieser Rolle bleiben wollen, gibt es aber freilich auch gute Nachrichten. Natürlich ist nicht jede plötzliche Führungskraft ungeeignet. Manche Menschen, die auf einmal managen müssen, tun sich einfach leicht. Sie schauen sich vielleicht die Qualitäten ihrer eigenen Vorgesetzten ab oder arbeiten aktiv an sich selbst.

Für Letzteres gibt es einige Kniffe, die einem die neue Rolle erleichtern. Laura und Dominic Ashley-Timms, zwei Organisationsberaterinnen und -berater, die sich auf Leistungsoptimierung in Unternehmen spezialisiert haben, nennen in einem Artikel im "Harvard Business Review" einige Beispiele, wie man sich auf die neue Rolle einstellen kann.

Denkweise ändern

Häufig halten plötzliche Führungskräfte noch an ihren vorigen Aufgaben fest, schreiben die Ashley-Timms, und wollen weiterhin hauptsächlich mit ihren fachlichen Kompetenzen Probleme lösen. Allerdings sollten sie ihre Gedanken umschichten: Sie sind nun Anleitende und Befähigende, sollten ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter motivieren und organisatorisch anleiten. Bevor sie sich also dabei erwischen, wieder zu schreiben, zu coden, zu designen, oder was auch immer ihr Fach war, gelte es, sich Fragen zu stellen: Was braucht mein Team von mir? Wie kann ich ihm helfen, die Aufgaben besser zu bewältigen? Welche Auswirkung hat mein Feedback?

Andere Fragen stellen

Das führt direkt zu dem zweiten Tipp. Es sei wichtig, viele Fragen an die Mitarbeitenden zu stellen, um das eigene Denken anzuregen. "Wenn Sie ihnen die Möglichkeit geben, zu einer Lösung beizutragen – anstatt sie ihnen vorzugeben –, zeigt das, dass Sie an ihr Potenzial glauben und ihnen Eigenverantwortung zutrauen", schreiben die Ashley-Timms. Hilfreich sei, nicht direkt mit einem Warum zu beginnen. Statt "Warum sind Sie davon ausgegangen, dass der Markt klein ist?" ist ein "Welche Faktoren haben Sie zu der Annahme veranlasst, dass der Markt klein ist?" laut den Fachleuten sinnvoller. Das fordere die Mitarbeitenden auf, Gedanken offen mitzuteilen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Man bleibe bei der Sache, statt über die Person zu urteilen.

Aktiv zuhören

Es sei außerdem wichtig, den Angestellten ein offenes Ohr zu schenken und ihnen die Möglichkeit zu geben, über ihre persönlichen Herausforderungen zu sprechen. Wer den Teammitgliedern seine ganze Aufmerksamkeit schenkt, schafft ebenfalls Vertrauen. Es gelte, sie ausreden zu lassen, ihre Aussagen zu akzeptieren und anzubieten, bei einem Brainstorming oder bei der Problemlösung Hilfe zu leisten. Auch dazu gibt es Fragen, die in den Beschäftigten Zuversicht auslösen könnten: Wie kannst du die Aufgabe sonst noch angehen? Welche weiteren Ideen hattest du zu dem Thema?

Ziele klarmachen

Die Menschen im Team im Fokus zu sehen und auf ihre individuellen Bedürfnisse zu hören sieht auch Marion Parrish als eine der Prioritäten für neue Führungskräfte. Sie ist seit knapp neun Jahren speziell als "Accidental Manager Coach" tätig und hat auch ein Buch mit dem Titel "Step Up: The Accidental Manager's Guide to Leading a Team" veröffentlicht. Was sie aber neben der menschenbezogenen Führung noch empfiehlt, ist, sich die Unternehmensziele wirklich klarzumachen.

Die Betroffenen müssten lernen, darauf zu achten, dass ihre Mitarbeiter genügend Arbeit haben, müssten auch deren Arbeitslast im Blick behalten und sich kümmern, wenn unterschiedlichste Störfaktoren auftreten – seien es IT-Probleme, Materialmangel oder Personalmangel. Die meisten müssten auch Personalaufgaben übernehmen, etwa die Gehälter überprüfen oder die Überstunden kontrollieren.

Am Ende ihres Buches will Parrish aber vor allem Mut machen. Es sei kein Problem, wenn man auch Fehler mache. Aus diesen lerne man nur noch mehr. Es gehe aber darum zu verstehen, dass die zwischenmenschliche Verbindung mit den Teammitgliedern, die offene und kontinuierliche Kommunikation Wunder wirken könne – auch bei jenen, die ohne Vorkenntnisse in die Führungsrolle gerutscht sind. (Melanie Raidl, 6.12.2023)