Obwohl in die Entstehungsgeschichte nicht direkt involviert, ließ sich der Kanzler den Auftritt nach dem Ministerrat der Regierung am Mittwochmorgen nicht nehmen. Schließlich galt es, wie er selbst sagte, eines der wichtigsten Projekte der Republik zu präsentieren. Dies tat Karl Nehammer (ÖVP) umso lieber, als sich das Werk durch seinen "Reformcharakter" auszeichne.

Die Rede ist vom Finanzausgleich, den die Vertreter von Bund, Ländern und Gemeinden am Dienstagabend nach über 100 intensiven, sich über ein Jahr erstreckenden Verhandlungsrunden fixiert haben. Der Pakt legt nichts Geringeres fest als die Verteilung des Großteils der staatlichen Steuereinnahmen für die nächsten fünf Jahre. Der Bund erhört dabei den Ruf von Ländern und Gemeinden nach mehr Geld, um die steigenden Kosten bei Pflege, Spitälern und anderen Aufgabenbereichen zu stemmen. Pro Jahr sollen 2,4 Milliarden Euro zusätzlich fließen – aber eben nicht bedingungslos, sondern geknüpft an konkrete Vorhaben.

Einher gehen mit dem Finanzausgleich deshalb umfangreiche Begleitgesetze. Allein 60 Seiten rechtlicher Änderungen umfasst ein besonders markantes Projekt: eine Gesundheitsreform, laut Einschätzung der Regierung die größte seit über 20 Jahren.

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Das Impfprogramm wird ausgebaut, aber das ist nur ein kleiner Teil der Finanzspritze, die dem Gesundheitssystem verabreicht wird.
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Sein Kernanliegen sei es gewesen, die Versorgungssituation der Patientinnen und Patienten zu verbessern, erläuterte Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne). Dieses Ziel sieht er trotz einiger Last-Minute-Zugeständnisse an die Ärztekammer, die gegen die Beschneidung ihres Einflusses protestierte, erreicht. Die Ansätze im Überblick:

Bleibt noch die Causa Prima der vergangenen Tage: Um den Ausbau des ärztlichen Versorgung zu beschleunigen, wollte Rauch die Mitsprachemöglichkeiten der als Blockiererin verrufenen Ärztekammer beschneiden. Dabei sei es auch geblieben, betont der Minister: "Es gibt kein Vetorecht der Ärztekammer mehr." Dies gelte für die Pläne zur Verteilung von Kassenarztstellen ebenso wie für die Errichtung von Ambulatorien oder Gruppenpraxen, sofern davor eine klassische Einzelstelle nicht besetzt werden konnte. Bereits im Lauf des Jahres hat die Kammer ihr Veto bei der Einrichtung von Primärversorgungseinheiten (PVE) verloren. Seither habe es Pläne für 30 neue PVEs gegeben, sagt Rauch.

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Finanzminister Magnus Brunner, Bundeskanzler Karl Nehammer und Sozialminister Johannes Rauch stellten am Mittwoch nach dem Ministerrat die Einigung auf den Finanzausgleich und die damit verknöpften Reformen vor.
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Zugeständnisse an Ärztekammer

Auf den letzten Metern hat die Kammer aber auch Teilerfolge erreicht: Erstens wurde die Idee ad acta gelegt, dass Ärztinnen und Ärzte statt eines konkreten Arzneimittels künftig nur mehr einen Wirkstoff verschreiben sollen. Hier habe es berechtigte Einwände gegeben, sagt Rauch.

Video: Finanzausgleich und Gesundheitsreform im Ministerrat beschlossen.
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Zweitens verzichtet der Bund auf ein Druckmittel, entgegen der herrschenden föderalistischen Praxis einen Gesamtvertrag mit österreichweit einheitlichen Leistungs- und Honorarkatalogen durchzusetzen. Bis Ende 2025 sollen Sozialversicherung und Ärztekammer diesen aushandeln. Sollte es keine Einigung geben, wollte der Bund die aktuell gültigen Tarife für die Abgeltung ärztlicher Leistungen einfrieren. Das konnte die Kammer abwenden.

Drittens wird die Gesundheitskasse (ÖGK) entgegen Rauchs Plänen auch künftig keine Einzelverträge mit Ärzten abschließen können. Auch das hätte mehr Unabhängigkeit von der Haltung der Standesvertreter bringen sollen.

Wie schwer diese Zugeständnisse wiegen? Die Forderungen in Sachen Verträge seien nicht essenziell, sondern vor allem deshalb in den Plänen gelandet, um Verhandlungsmasse zu haben, ist aus dem Umfeld Rauchs zu vernehmen: Wenn man bei Lohnverhandlungen zehn Prozent erreichen wolle, steige man auch besser mit zwölfProzent in die Gespräche ein. Wichtig sei: Beim Knackpunkt Vetorecht habe man sich durchgesetzt.

Offiziell argumentierte Rauch auf Nachfrage nach dem Ministerrat mit einem Verweis auf ein Zitat des ehemaligen deutschen Kanzlers Helmut Schmidt: Wer zum Kompromiss nicht fähig sei, sei für die Demokratie nicht zu gebrauchen.

 1,1 Milliarden im Zukunftsfonds

Reformen verspricht die Regierung aber auch in anderen Bereichen. 1,1 Milliarden Euro des Gesamtvolumens an frischem Geld entfallen auf den Zukunftsfonds, an den konkrete Ziele geknüpft sind.

Wenn eines der Ziele nachweislich erreicht ist, darf das Geld auch in einen der anderen Bereiche fließen, mit Ausnahme der Kinderbetreuung, sagte Finanzminister Brunner. Da müsse es in den Betrieb investiert werden.

Erstmals gebe es auch Transparenzvereinbarungen auf allen Ebenen, und eine einheitliche Einmeldung in die Transparenzdatenbank wurde vereinbart. Es sei verpflichtend zu prüfen, welche Förderungen es bereits in dem Bereich gibt. (Gerald John, Gudrun Springer, 22.11.2023)