Überraschend haben die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und der albanische Premier Edi Rama Anfang November ein Abkommen unterzeichnet, das den Bau von zwei italienischen Migrantenlagern in der albanischen Hafenstadt Shengjin und der etwa 20 Kilometer entfernten Stadt Gjader vorsieht (DER STANDARD berichtete). In die beiden Asylzentren mit insgesamt 3000 Plätzen sollen ab dem kommenden Frühjahr Bootsflüchtlinge gebracht werden, die von der italienischen Küstenwache gerettet werden.

Edi Rama und Giorgia Meloni am 7. November in Rom.
Edi Rama (li.) und Giorgia Meloni am 7. November in Rom.
EPA/GIUSEPPE LAMI

Die Camps sollen der italienischen Rechtsprechung unterliegen; die Finanzierung garantiert ebenfalls Rom. "Wenn Italien ruft, sind wir da", erklärte Rama damals in Rom in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Meloni. Diese wiederum sprach von einem "historischen, innovativen Pakt" zwischen beiden Ländern.

Kritik auf beiden Seiten der Adria

Das Abkommen stößt seitdem auf beiden Seiten der Adria auf massive Kritik: Die Opposition in Rom sprach von einem "italienischen Guantanamo"; in Albanien bezeichneten die Kritiker Ramas Zustimmung zum italienischen Migranten-Outsourcing als "Landesverrat".

Sowohl in Rom als auch in Tirana meldeten Juristen und Verfassungsrechtler Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Pakts an (DER STANDARD berichtete auch darüber). Insbesondere wurde die Frage in den Raum gestellt, ob die Rechte der Asylwerber in diesen Zentren garantiert würden. In Italien kritisierte die Opposition des weiteren, dass das Abkommen in aller Heimlichkeit am Parlament vorbei ausgetüftelt worden sei, obwohl das Parlament internationale Verträge ratifizieren müsse.

In diesem Punkt ist die italienische Regierung den Kritikern inzwischen entgegengekommen: Dem Parlament werde das Abkommen in den nächsten zwei Monaten zur Ratifizierung vorgelegt, versicherte Außenminister Antonio Tajani am Dienstag in der Abgeordnetenkammer. Bei der Anhörung erläuterte Tajani außerdem einige Details der geplanten Zusammenarbeit mit Albanien: So würden in die albanischen Zentren nur Migranten und Migrantinnen aus sogenannten sicheren Herkunftsländern gebracht, deren Aussicht auf Asyl oder andere Formen internationalen Schutzes gering seien. Ihre Verfahren würden höchstens 28 Tage dauern. Das Lager in Gjader könne aber auch als Abschiebezentrum verwendet werden, wo die abgewiesenen Asylwerber bis zu 18 Monate festgehalten werden können.

Massive Bedenken

Damit hat Tajani indirekt jenen Kritikern recht gegeben, die neben juristischen Bedenken auch massive Zweifel an der Effizienz dieser Lager äußern. Denn das zentrale Problem – nicht nur für Italien, sondern für alle europäischen Länder – besteht darin, dass abgewiesene Asylwerbende von ihren Herkunftsländern nicht oder nur in sehr geringer Zahl zurückgenommen werden.

Für die Lager in Albanien bedeutet das: Entweder werden die Menschen, deren Asylgesuch abgelehnt wird, spätestens nach 28 Tagen nach Italien gebracht – dann haben sie einfach einen kurzen "Umweg" über Albanien gemacht. Oder sie bleiben in Albanien bis zu 18 Monate in Abschiebehaft – in diesem Fall wären die Lager bereits nach zwei oder drei Wochen voll. Man hätte somit eine "extraterritoriale" Lösung für 3000 Migranten gefunden – bei insgesamt 150.777 Geflüchteten, die allein in diesem Jahr bis zum 21. November in Italien angekommen sind.

"Reine Propaganda"

"Die Lager sind eine reine Propagandaoperation, genauso wie der bereits gescheiterte Pakt mit Tunesien eine war", betonte der Abgeordnete Nicola Fratoianni von der Alleanza Verdi-Sinistra (Grün-linke Allianz). Die albanischen Lager würden das Dreifache dessen kosten, was eine Erweiterung der Asylstrukturen um gleich viele Plätze in Italien gekostet hätte, ohne das Geringste an der Situation zu ändern. Es handle sich um eine "weitere Idee der Regierung, die bei ihrem zentralen Wahlversprechen, der Bekämpfung der Migration, nicht mehr weiterweiß".

Matteo Richetti von der Mittepartei Azione erklärte, dass der Bau zweier Gebäude in Albanien die Rechtswähler vielleicht glauben lasse, ihre Regierung tue etwas. "Aber die beiden Lager werden das Problem der Migration ganz sicher nicht lösen." (Dominik Straub, 22.11.2023)