In einer globalisierten Welt sind die Möglichkeiten der Mobilität und die Vernetzung über Ländergrenzen hinweg so ausgeprägt wie niemals zuvor. Soziale Beziehungen werden über weite Distanzen hinweg gepflegt – sei es durch Arbeit, Reisen oder Tourismus oder eben auch durch Migrationsbewegungen. Dieser globale Trend prägt unseren modernen Zeitgeist, in dem Vielfalt zur Norm geworden ist.

Österreich Fahne, daneben eine Statue
Die Frage, wer zu einem Land oder zu der Vorstellung eines "Volkes" gehört, wird von populistischen Positionen auch in Österreich bewusst genutzt.
APA/HELMUT FOHRINGER

Dennoch – und das ist in diesem Sinne eigentlich verwunderlich – bleibt die Diskussion über Migration und das Fremde im eigenen Land stark polarisiert und wird negativ assoziiert. Populistische Politik wird über Emotionen betrieben, und ein ambivalenter Begriff des "Volkes" fließt von rechter Seite immer wieder in deren Ideologie ein. Wobei eine Erklärung davon, wer das "Volk" eigentlich ist, ausständig bleibt. Wer ist also das "Volk", welches anscheinend ganz ohne Klassen oder Interessenunterschiede und interne Gegensätze auskommt?

Populismus, Differenzlogik und Doppelmoral

Die Flüchtlingsbewegung von 2015 trug maßgeblich zur Ausbreitung populistischer Strömungen und zur Solidarisierung des "eigenen Volkes" untereinander gegen "das Fremde" bei. Insbesondere durch die omnipräsente Nutzung sozialer (ungefilterter und unreflektierter) Medien äußerten viele Menschen ihre Meinungen über Geflüchtete. Politischer Druck und medienwirksame Ereignisse wandelten eine einst existierende Willkommenskultur in eine Ablehnungskultur um. Rechtsnationale Parteien schüren mittlerweile in ganz Europa gezielt Ängste gegenüber Flüchtlingen, um Stimmung gegen diese zu machen.

Der Integrationsdiskurs, der aber auch von staatlichen und institutionellen Einrichtungen getragen wird, basiert auf einem defizitären Ansatz. Zugewanderten wird unterstellt, bestimmte "Fähigkeiten" nicht zu haben, die ausgeglichen werden müssen, um sich zu integrieren. Diese einseitige Sichtweise schafft eine unerträgliche Doppelmoral. Beispielsweise werden Sprachdefizite bei Personen aus "westlich geprägten" Staaten eher toleriert als, sagen wir, vom dem aus Afghanistan stammenden Kind. Diese Differenzlogik findet sich auch in Bezug auf das Zusammenleben der Familie oder Religion. Es sollte daher die fundamentale Frage gestellt werden, inwiefern dieser "Vergleich mit dem Anderen" zielführend ist.

Auswirkungen der Exklusion

Eine Studie1 (die vermutlich in Österreich ähnliche Ergebnisse erzielen würde) aus den Jahren vor der Flüchtlingskrise untersuchte die Auswirkungen negativer Differenzierung auf die Integration in benachteiligten Stadtteilen Deutschlands mit einer großen Anzahl türkischstämmiger Bewohner:innen. Die Ergebnisse zeigten, dass eine Kategorisierung von Menschen, die Andersartigkeit einer Person betont, wodurch schließlich Exklusion erzeugt wird. Diskriminierende Handlungen oder Aussagen von Politiker:innen führen darüber hinaus zu einem sozialen Ausschluss von Menschen mit Migrationshintergrund.

Daraus resultieren massive negative Folgen für die Integration. Menschen mit Migrationshintergrund stehen von Anfang an vor Barrieren, die sich in diskriminierenden Handlungen (das unterstellte Defizit) ausdrücken; sowohl in staatlichen Einrichtungen als auch in der Gesellschaft.2 Diskriminierende Einstellungen gegenüber Fremden gibt es nicht nur im Alltag, sondern ebenso in staatlichen Institutionen, wo Unterstellungen der Andersartigkeit oder auch des Sozialschmarotzertums an die Oberfläche treten. Die Frage, die sich dadurch stellt: Wie möchte man jemanden in eine Gesellschaft integrieren, in der diese Person von vornherein ausgeschlossen ist?

Lösungsansätze und politischer Appell

Es gibt zumindest sprachliche Lösungsansätze, die sowohl in der Wissenschaft, der Politik und folglich auch im medialen Diskurs beachtet werden könnten: Den Begriff der "Postmigration"3 verwenden, um eine neue Perspektive auf Migration zu ermöglichen, wodurch marginalisierte Sichtweisen einbezogen werden. Damit ist gemeint, Migration als einen unaufhaltsamen Prozess einer globalisierten Welt zu verstehen. Dies könnte dazu beitragen, Zu- aber auch Abwanderung aus einer allumfassenden, transformativen und integrativen Perspektive wahrzunehmen, um so ein Ungleichgewicht von Macht in der Gesellschaft aufzudecken. Es ist natürlich nicht alleine mit einer sprachlichen Umstellung getan, aber diese könnte den Diskurs beeinflussen, wie man über Migrant:innen denkt.

Es ist an der Zeit, eine ehrliche Diskussion, die frei von Vorurteilen ist, über die Integration und inklusive Maßnahmen zu führen. Österreich und Europa benötigen gut integrierte Menschen, die wertschätzend behandelt werden, damit dem demografischen Defizit (Überalterung der Gesellschaft) entgegengewirkt werden kann. Politische und mediale Diskurse müssen sich von negativen Narrativen lösen und stattdessen Inklusion fördern, um langfristig Probleme sowohl in der Gesellschaft, als auch im Sozialsystem zu bewältigen. Exklusion ist keine Lösung, sondern ein Rezept für soziale Bruchlinien, wodurch die gesellschaftliche Spaltung noch weiter vorangetrieben wird, als diese es ohnehin schon ist. Die Annahme, dass es in einer multipluralistischen und globalisierten Gesellschaft nur "ein Volk" gibt, ist illusorisch. Wir müssen lernen zu verstehen, dass kategorische Trennungen von Gesellschaften – Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit – in totalitären Systemen immer die Oberhand gewinnen werden und dafür benutzt werden, Ausgrenzung voranzutreiben, damit rechtsgerichtete Parteien (neben dem Anti-Eliten-Paradigma) wieder groß werden können.

Offiziell hat das Bundeskanzleramt ja bereits bestätigt, dass ein Integrationsprozess keine Einbahn ist, jedoch wird dies in der Tagespolitik und auch im parteilichen Agenda-Setting kaum berücksichtigt. Ja, die Kultur der Differenz ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt. Dass diese Logik aber auch zu Ausgrenzung führt, sollte mitgedacht werden, denn Exklusion trägt auch zur Radikalisierung bei. (Patrik Reisinger, 9.1.2024)