Geert Wilders
Geert Wilders will regieren. Für eine Mehrheit braucht er mindestens zwei Parteien.
REUTERS/PIROSCHKA VAN DE WOUW

Den Haag – Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders will nach seinem überraschend klaren Wahlsieg umgehend die Möglichkeiten für eine Regierungsbildung ausloten. Er kündigte an, noch am Donnerstag mit der Suche nach Koalitionspartnern zu beginnen.

Wilders' Partei für die Freiheit (PVV) kam bei der Wahl am Mittwoch nach Auszählung von 98 Prozent der Stimmen auf 37 der 150 Mandate in der Zweiten Kammer des Parlaments. Wilders verdoppelte damit sein Ergebnis der Wahl von 2021.

An zweiter Stelle liegt demnach das rot-grüne Bündnis mit 25 Mandaten, ein Gewinn von zehn. Die bisherige rechtsliberale Regierungspartei VVD des scheidenden Premiers Mark Rutte mit der Spitzenkandidatin Dilan Yesilgöz erzielt laut der jüngsten Hochrechnung nur noch 24 Mandate und verliert acht. Die erst vor wenigen Wochen gegründete Partei des ehemaligen Christdemokraten Pieter Omtzigt, der Neue Soziale Vertrag (NSC), kommt auf Anhieb auf 20 Sitze.

Wilders will regieren

Wilders kündigte an, dass er nun auch regieren wolle. Doch für eine Mehrheit braucht er mindestens zwei Parteien – und es ist fraglich, ob er tatsächlich Partner für eine Koalition finden kann.

Video: Partei von Rechtspopulist Wilders bei Wahl in Niederlanden vorne
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"Das Signal, das der niederländische Wähler nun gibt, ist: Es muss anders werden", sagte Wilders am Mittwochabend. "Die Niederländer müssen wieder Nummer eins sein." In seinem Parteiprogramm fordert der 60-Jährige, Moscheen und den Koran zu verbieten, und spricht sich für den Nexit aus – den Austritt der Niederlande aus der EU. Außerdem will er die Grenzen schließen, Flüchtlinge und Arbeitsmigranten nicht mehr ins Land lassen und Klimaschutz als politisches Ziel abschaffen. Zudem lehnt er weitere Waffenlieferungen an die Ukraine ab.

Reaktionen

Der Wahlsieg der mit islam- und ausländerfeindlichen Parolen punktenden PVV in den als liberal geltenden Niederlanden schockierte viele etablierte Parteien. Nicht nur Flüchtlingsorganisationen und muslimische Verbände reagierten entsetzt. "Als praktizierender Muslim mache ich mir Sorgen", sagte Muhsin Köktas, Vorsitzender eines muslimischen Interessenverbands, am Donnerstag im niederländischen Fernsehen. "Ich hatte dieses Ergebnis wirklich nicht erwartet. Auf Muslime kommt eine schwierige Zeit zu."

Andere Rechtspopulisten in Europa hingegen bejubelten Wilders' Triumph. "Ich freue mich und gratuliere herzlich!", schrieb der FPÖ-Delegationsleiter im EU-Parlament, Harald Vilimsky, im Kurznachrichtendienst X. "Herzlichen Glückwunsch zu diesem großen Erfolg. Ganz Europa will die politische Wende!", schrieb AfD-Chefin Alice Weidel. Auch der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán und die französische Rechtsnationalistin Marine Le Pen gratulierten Wilders.

NSC signalisiert Bereitschaft zu Zusammenarbeit

Doch noch ist ungewiss, ob er wirklich Erfolg haben wird mit seinem Aufruf an Parteien des rechten Spektrums, mit ihm zusammenzuarbeiten. "Ich glaube, dass wir jetzt alle über unseren Schatten springen müssen", sagte Wilders. Auf keinen Fall dürfe der Wählerwille ignoriert werden.

Schon am Wahlabend hatte der Chef der neuen Zentrumspartei NSC Bereitschaft zur Zusammenarbeit signalisiert. Und auch VVD-Chefin Yesilgöz scheint nicht abgeneigt. Erst einmal sei nun Wilders am Zug, sagte sie: "Wir werden das in der Fraktion gut abwägen. Dann schauen wir, wohin das führt."

Wilders zeigte sich sehr bemüht, Ängste vor einem zu radikalen Vorgehen seiner Partei zu zerstreuen. Er wolle ein "Premier aller Bürger sein". Die von ihm angestrebte Zwangsschließung von Moscheen sei aktuell kein Thema, versicherte er. Priorität habe jetzt, den "Asyl-Tsunami" zu begrenzen.

ZIB 2: ORF-Analyse zur Niederlande-Wahl
ORF

Die Zustimmung zur PVV war in den vergangenen Wochen in den Umfragen immer weiter gestiegen. Als mitverantwortlich dafür wird vielfach VVD-Spitzenkandidatin Yesilgöz gesehen. Sie hatte zu Beginn des Wahlkampfs gesagt, dass sie Wilders als Koalitionspartner nicht von vornherein ausschließe. Der scheidende Ministerpräsident Rutte, ebenfalls ein Rechtsliberaler, hatte eine Zusammenarbeit mit Wilders dagegen immer abgelehnt. Im niederländischen Fernsehen wurde deshalb am Mittwochabend sofort die Frage aufgeworfen, ob Yesilgöz Wilders mit ihrer Annäherung salonfähig gemacht habe.

Vorgezogene Parlamentswahl

Die vorgezogene Parlamentswahl war notwendig geworden, nachdem im Sommer Ruttes Mitte-rechts-Koalition nach nur 18 Monaten im Amt geplatzt war. Anlass dafür war ein Streit über Migrationspolitik. Rutte, der am längsten amtierende Ministerpräsident der niederländischen Geschichte, hatte daraufhin seinen Abschied aus der nationalen Politik angekündigt, er will jetzt Nato-Generalsekretär werden. Bis zum Antreten einer neuen Regierung bleibt er allerdings noch im Amt.

In den Niederlanden hat sich der Rechtspopulismus schon vor mehr als 20 Jahren als fester Bestandteil der politischen Landschaft etabliert. Der erste erfolgreiche Rechtspopulist Pim Fortuyn war 2002 wenige Tage vor der Parlamentswahl von einem militanten Tierschutzaktivisten ermordet worden. Sein Erbe trat Wilders an, der noch viel radikalere Forderungen als die nach einem Verbot des Korans erhob. Der Politologe und Wilders-Biograf Meindert Fennema (1946–2023) warnte 2017 in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur: "Er ist jemand, der auf demokratischem Weg den Rechtsstaat abschaffen will."

Umfragen haben mehrfach ergeben, dass Wilders-Wähler ihre Zukunft tendenziell pessimistisch einschätzen und Angst vor Veränderungen haben. Sie wohnen häufig in stagnierenden Industriegebieten oder auf dem Land, wo die Jungen wegziehen.

Zu Wilders' Parolen gehört deshalb nicht nur "Der Islam gehört nicht zu den Niederlanden", sondern auch "Mehr Personal in der Pflege" und "Niedrigere Mieten und Steuern". Diese Mischung aus rechten Parolen und klassisch linken Forderungen betrachten Politologen als sein Erfolgsrezept. Eine weitere Besonderheit: Wilders' Partei hat nur ein einziges Mitglied – ihn selbst. So will er verhindern, dass ihn andere überstimmen und selbst das Zepter übernehmen. (APA, red, 22.11.2023)