Paradoxe Intervention ist eine psychotherapeutische Methode, bei der die Therapie auf den ersten Blick im kompletten Widerspruch zu den eigentlichen Zielen steht. Wenn man der internationalen Klimapolitik gegenüber wohlwollend sein möchte, dann kann die 28. Weltklimakonferenz in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) als eine solche gedeutet werden. Im Jänner 2023 wurde Sultan Ahmed Al Jaber, der Chef des staatlichen Ölkonzerns Abu Dhabi National Oil Company (Adnoc) und Industrieminister, als Präsident der diesjährigen internationalen Klimakonferenz verkündet.

SultanAhmed Al Jaber ist Chef des staatlichen Ölkonzerns Abu Dhabi National Oil Company sowie emiratischer Industrieminister – und Präsident der diesjährigen internationalen Klimakonferenz.
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Dass unter der Schirmherrschaft eines fossilen Profiteurs der Ausstieg von Kohle, Öl und Gas besiegelt werden soll, scheint damit bereits vor Beginn der Konferenz mehr als unwahrscheinlich – und das im Jahr 2023, dem heißesten seit Beginn der Messgeschichte. Auch wenn von den letzten Klimakonferenzen bisher nicht viel zu erwarten war: Ist der 28. Weltklimagipfel nun aber der endgültige Kniefall der Klimadiplomatie vor fossilen Interessen?

Grüngewaschene Versprechen und bedenkliche Gastgeber

Der Austragungsort für die diesjährige 28. Klimakonferenz – auch genannt COP28 (Conference of the parties, deutsch: Vertragsstaatenkonferenz) – könnte unpassender nicht sein. Zwei Wochen lang verhandeln die UN-Staats- und Regierungschefs in den Vereinigten Arabischen Emiraten, die sich unter den Top Ten der ölfördernden Staaten befinden, über Klimamaßnahmen. Ungefähr ein Drittel der Export-Einnahmen der VAE werden durch den Verkauf von Öl- und Gasprodukten generiert.

Dass die Optik dieser UN-Klimakonferenz dadurch schief ist, ist auch den Gastgebern in Dubai bewusst. Deshalb führt das Land seit Beginn des Jahres eine breit angelegte Greenwashing-Kampagne. Im Zuge dessen wurden Wikipedia Artikel beschönigt und Fake-Twitter Accounts gestartet, die das klimapolitische Image des Gastgebers aufhübschen sollen. Auf der COP 27 in Ägypten verkündete der Präsident der VAE, das Öl aus seinem Land sei das CO2-ärmste weltweit und vor wenigen Wochen wurde ein als "klimaneutral" bezeichnetes neues Erdgas-Projekt genehmigt. Dieses Versprechen ist laut Analyse-Portal "Climate Action Tracker" schlicht "irreführend", denn die Verbrennung fossiler Energieträger geht stets mit der Entstehung klimaschädlicher Emissionen einher. Hinter der Aussage "emissionsarm" steckt vielmehr die Annahme, auf die umstrittene Speicherung des ausgestoßenen CO2 zu setzen und so die Treibhausgasbilanz fossiler Brennstoffe schön zu rechnen. Währenddessen ist sich die Wissenschaft einig, dass die Verbrennung fossiler Rohstoffe so schnell wie möglich auf Null sinken muss und somit auch keine neuen fossilen Projekte genehmigt werden können, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwehren. Entsprechend muss davon ausgegangen werden: Die VAE kommen diesem grundlegenden Handlungsaufruf nicht nach und färben stattdessen ihre fossile Wirtschaft lieber grün. Das ist aber nicht das einzige Problem der COP 28.

Ungleiche Machtverhältnisse und inhaltliche Ablenkungsmanöver

Für die kommenden zwei Verhandlungswochen wird das Gastgeberland Delegationen aus rund 200 Staaten beherbergen. Das enorme Ungleichgewicht in der Verhandlungsmacht spiegelt sich entlang globaler Nord-Süd-Verhältnisse wider: Jene Länder des globalen Südens, die bereits heute akut unter den Auswirkungen der Klimakrise leiden, haben zugleich weniger finanzielle Ressourcen für ihre Bewältigung. Sie sind damit vom "guten Willen" reicher Länder abhängig, die historisch betrachtet die Hauptverursacher sind. Neben den stimmberechtigten Delegierten der Regierungen nehmen als Beobachter:innen oder in sogenannten Sideevents auch Vertreter:innen der Industrie und der Finanzwelt sowie diverse NGOs und Aktivist:innen teil.

Mit einer gewaltigen Delegation sind auch Lobbyist:innen für fossile Konzerne auf dem Klimagipfel präsent: Wäre die fossile Lobby ein Land, hätte sie bei der letzten COP mit 636 registrierten Vertretern die zweitgrößte Delegation nach den VAE ausgemacht – und damit jede Delegation der am stärksten betroffenen Ländern weit in den Schatten gestellt. Welche Folgen das mit sich bringt, unterstreicht David Jablonski, UNFCCC Jugenddelegierter bei Climates Austria, der die Interessen junger Menschen bei der COP 28 vertritt: "Die Macht von fossilen Unternehmen und ihren Lobbyist:innen muss massiv eingeschränkt werden, auch auf den COPs, wo sie oftmals als Teil nationaler Delegationen wissenschaftlich fundierte Klimapolitik blockieren. Auf den Weltklimakonferenzen sollten sich diese allenfalls auf den Zuschauertribünen wiederfinden und nicht an den Verhandlungstischen."

Denn der bisherige Einfluss fossiler Lobbyist:innen auf den COPs ist deutlich: Obwohl die fossile Energiegewinnung den Löwenanteil des globalen CO2-Austoßes verursacht, wird dieser Zusammenhang in den Abschlussdokumenten sämtlicher vergangener UN-Klimakonferenzen nicht benannt, geschweige denn der explizite Ausstieg aus fossiler Energie ("phase out of fossil fuels") festgeschrieben. Unter Dirigenz eines ölfördernden Staates ist auch auf der diesjährigen Konferenz kein solches Bekenntnis zu erwarten. Vielmehr wird der Fokus der Verhandlungen erneut auf Geo-Engineering-Ansätzen der CO2-Abscheidung und -Speicherung ("Carbon Capture and Storage") liegen. Der Einsatz dieser Technologien ist in der Wissenschaft umstritten. Zudem wird auf der COP 28 eine sechs Länder übergreifende Allianz für Atomkraft mit Frankreich an der Spitze erwartet, zu der unter anderem auch die VAE gehören. Statt verbindliche Reduktionsziele in den Mittelpunkt zu stellen und sich mit wirksamen Maßnahmen zu beschäftigen, wird es auf der COP 28 also um umstrittene Lösungen gehen.

Darum trotzdem COP 28: Widersprüchlichkeiten und Forderungen

Wie kann nun mit den Absurditäten dieser Klimakonferenz umgegangen werden? Zunächst: Auch wenn die Liste an Kritikpunkten schier unendlich scheint, dürfen die Klimaverhandlungen nicht abgeschrieben werden. Es wäre ein Leichtes, sich dem Narrativ zu beugen, internationalen Klimaverhandlungen ihre Bedeutung abzusprechen, da sie bisher weder bestehende Machtverhältnisse umgekehrt noch das notwendige Sinken der Emissionen erreicht hätten. Die globalen Verhandlungstische der COP 28 triefen zwar von Greenwashing und ungerechten Machtverhältnissen, und doch sind es die einzigen, die in Zeiten der sich zuspitzenden Klimakrise zur Verfügung stehen. Nirgendwo anders kann über zentrale Fragen globaler Klimagerechtigkeit, wie Schadens- und Reparaturzahlungen des globalen Nordens an den globalen Süden, verhandelt werden. Auch wenn die Bedingungen nicht schlechter sein könnten: Diesen Widersprüchlichkeiten gilt es, ins Auge zu blicken, öffentlichkeitswirksam anzuprangern und die Bühne nicht den fossilen Lobbyist:innen zu überlassen.

Es sind Klimaaktivist:innen wie Disha Ravi aus dem globalen Süden, die trotz der zahlreichen Ambiguitäten bei der diesjährigen COP für Klimagerechtigkeit kämpfen werden: Eine ihrer zentralen Forderungen an die Regierungen ist das Bekenntnis zum Ende fossiler Energie. Hierbei soll ein "Fossil Fuel Nonproliferation Treaty" (deutsch: Vertrag über die Nichtverbreitung fossiler Brennstoffe) das Pariser Abkommen ergänzen und per Vertrag das Ende von Erdöl, Gas und Kohle sowie eine sozial gerechte Wende hin zu erneuerbaren Energien besiegeln. Zudem drängt sie auf eine gerechte Finanzierung klimabedingter Verluste und Schäden, die durch die Emissionen des globalen Nordens im globalen Süden verursacht worden sind und künftig weiter zunehmen werden. Der auf der COP 27 in Ägypten hierbei zugesicherte "Loss and Damage Fonds" war von den kleinen Inselstaaten bereits seit mehr als drei Jahrzehnten gefordert worden, weshalb dessen Einrichtung letztes Jahr zunächst als kleine Errungenschaft gefeiert wurde. Die zentrale Frage in den harten Finanzverhandlungen der diesjährigen COP wird aber nun lauten: Wer zahlt wie viel in den Fonds ein?

Tatsächlich Verantwortung übernehmen

Die 28. Klimakonferenz vermag zudem gerade aufgrund ihres Austragungslandes eines deutlich machen: Wenn wir Greenwashing, Menschenrechtsverletzungen und ungerechte Machtverhältnisse kritisieren, müssen wir auch vor der eigenen Haustüre kehren. Als die COP in Großbritannien stattfand, wurden weder der Kolonialismus des Vereinigten Königreichs, noch die Tatsache, dass Großbritannien zu jenen Ländern gehört, die historisch für die meisten Emissionen pro Land verantwortlich sind, im gesellschaftlichen Diskurs ausreichend behandelt. Disha Ravi erläutert, für den globalen Norden sei es sehr einfach geworden, zu sagen: "Dubai ist Schuld." Sie ist der Meinung: "Ja, wir sollten Dubai zur Rechenschaft ziehen, aber wir sollten auch die Länder des globalen Nordens zur Rechenschaft ziehen für das, was sie in der Vergangenheit getan haben und auch heute noch tun."

Auch wenn die VAE zurecht als Austragungsort kritisiert wird: Fortschritte in Richtung Klimagerechtigkeit werden nur möglich sein, wenn jene Länder des globalen Nordens, die ihren Reichtum größtenteils auf fossilen Energien, Kolonialismus und Ausbeutung aufgebaut haben, vorangehen und ihre Klimaschulden begleichen. Das heißt, sie müssen ihre Emissionen zuerst auf Null bringen. Wichtig ist also "was die Regierungen machen, wenn sie von der Klimakonferenz heimkommen: Es ist oft einfacher, international zu versprechen, als national umzusetzen", betont auch der Jugenddelegierte David Jablonski mit dem Hinweis auf das noch immer fehlende Klimaschutzgesetz in Österreich. Wie ernst es reiche Länder bei der COP 28 meinen, wird sich nicht zuletzt auch konkret daran zeigen, ob der Loss and Damage Fonds befüllt werden kann.

Die COP 28 wird wohl keinen unmittelbaren klimapolitischen Umbruch erreichen. Was sie aber gerade aufgrund der sich zuspitzenden Absurditäten schaffen kann, ist es, die medialen Scheinwerfer auf Ungerechtigkeiten und Komplexitäten, die der Klimakrise zugrunde liegen, zu richten. Denn die Fragen nach Schuld und Verantwortung für die Klimakrise sind am Ende des Tages Verhandlungen, die in jedem Land der Welt geführt und deren Antworten von einer mobilisierten Zivilgesellschaft vor Ort erkämpft werden müssen. Das gilt für jede COP und für diese jetzt besonders. (Judith Neumann, Veronika Winter, 30.11.2023)