Claudius von Stolzmann Dreigroschenoper Josefstadt
Claudius von Stolzmann gibt den Mackie Messer aus der "Dreigroschenoper" mit Joker-Affinität. Die Großproduktion übersiedelt in das Theater in der Josefstadt und läuft als Silvesterdoppelvorstellung.
Moritz Schell

Der Zahnarzttermin, den Claudius von Stolzmann am Tag des Gesprächstermins wahrnimmt, ist beruflicher Natur: Prothesenprobe für ein neues Gebiss, das er für seine Rolle als Hausknecht Zagl in Der Himbeerpflücker von Fritz Hochwälder (1911–1986) benötigt. Das Stück über Vertuschungen im ländlichen Nachkriegsösterreich hat am 30. November in den Kammerspielen des Theaters in der Josefstadt Premiere. Wie bereitet sich der Schauspieler auf die Rolle eines Knechts vor – und wie wird man zu einem sogenannten Vielspieler?

STANDARD: Sie bestreiten diese Saison ganze neun Stücke. Sind Sie ein Workaholic, oder hat Sie Direktor Herbert Föttinger auf dem Kieker?

Von Stolzmann: Ich bin ein Workaholic. Solange ich arbeite und kreativ sein kann, fühle ich mich lebendig und wohl.

Himbeerpflücker Josefstadt
Dorfbewohner, denen die Vergangenheit im Nacken sitzt (v.li.): André Pohl, Paul Matic, Johannes Seilern, Dominic Oley, Paula Nocker, Claudius von Stolzmann, Günter Franzmeier und Susanna Wiegand in "Der Himbeerpflücker".
Moritz Schell

STANDARD: Der Schauspielberuf verlangt viele Fähigkeiten. Was mussten Sie denn schon alles lernen?

Von Stolzmann: Eislaufen, Singen, Fechten, viele Arten von Tänzen, auch Gesellschaftstänze. An der Schauspielschule haben wir die gelernt für den Fall, dass es in einer Shakespeare-Inszenierung dann doch einmal zu diesem Menuett-Moment kommen sollte. Auch Stepptanz, Seiltanz, Clownerie, Reiten, Umgang mit Schusswaffen und Sprechen auf der Bühne. Es kommt laufend Neues dazu. Derzeit muss ich für die Rolle im Himbeerpflücker Oberösterreichisch lernen.

STANDARD: Da könnte ich Sie jetzt prüfen.

Von Stolzmann: Oje ... I hob koa Kloagöd ned, leida. Das lerne ich mit einem Coach. Dabei muss ich auch aus dem Oberösterreichischen ins Hochdeutsche rückübersetzen, es ist ein Riesenspaß. Dieses dauerhafte Lernen führt aber auch zu einer gewissen Überheblichkeit in diesem Beruf, weil man denkt, man müsse alles können. Also in dem Sinn: "Natürlich kann ich in sechs Wochen lernen, wie Jimi Hendrix Gitarre zu spielen!"

STANDARD: Ihr Darstellerspektrum ist groß, vom Hausknecht bis zur Rolle des Trigorin. Warum ist Ihnen diese Abwechslung wichtig?

Von Stolzmann: Wenn ich in viele verschiedene psychologische Aspekte eintauchen kann, lerne ich am meisten über das Menschsein, und das ist es ja letztlich, was wir am Theater erforschen.

Der Wald Andrea Jonasson Stolzmann
Andrea Jonasson als Gutsbesitzerin mit Claudius von Stolzmann als Bulanow in Ostrowskijs Drama "Der Wald" im Theater in der Josefstadt.
APA/GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Wer sind denn Ihre Schauspielvorbilder?

Von Stolzmann: Ein großes Vorbild ist Mark Rylance, ehemals Leiter des Globe Theatre in London. Einer, der mich immer verzaubert, ist Nicholas Ofczarek. Oder auch zum Beispiel Michael Fassbender, der mich mit seiner emotionalen Tiefe verblüfft.

STANDARD: Sie proben derzeit den Hausdiener Zagl in "Der Himbeerpflücker". Was wissen Sie bereits über diese Figur?

Von Stolzmann: Zagl ist das kleinste Rädchen in einem unterdrückenden Mechanismus. Sobald er kann, teilt er auch nach unten aus, selbst wenn nicht mehr viele unter ihm sind. Gleichzeitig ist er auch ein Mitläufer, ein Nicht-Selbstdenker. Ein allzu verbreitetes Phänomen unter uns Menschen.

STANDARD: Sie spielen als Mackie Messer zu Silvester eine Doppelvorstellung der "Dreigroschenoper". Wie bereiten Sie sich auf so einen Tag vor?

Von Stolzmann: Wir haben die Dreigroschenoper bereits 58-mal gespielt. Da spüre ich manchmal, wenn wir drei Vorstellungen hintereinander haben, dass es am dritten Tag in den hohen Tönen schon eng wird. Ich pflege meine Stimmbänder mit einem Inhaliergerät, mit dem ich Salzlösung inhaliere, und ich werde viel Tee trinken. Ich nehme mir auch vor, davor und danach nicht viel zu reden, dafür viel zu schlafen, keinen Alkohol zu trinken und nicht zu rauchen. Mit diesem Plan sollte es gehen, wurde mir gesagt. Mal schauen!

STANDARD: Passiert es Ihnen, dass Sie Menschen im Publikum inzwischen wiedererkennen?

Von Stolzmann: Es gibt tatsächlich Fans – und das kenne ich nur aus Wien –, die gehen mit einer solchen Leidenschaft ins Theater, dass sie sich de facto jede Produktion anschauen. Und wenn es ihnen gefällt, auch mehrmals. Die erkennt man wieder. Theater hat in Österreich beziehungsweise in Wien einfach einen anderen Stellenwert als in irgendeiner anderen deutschsprachigen Stadt. Unlängst saß ich mit Bekannten zusammen, ein über 80-jähriger Bauer sagte mir, als er jung war, hatte seine Familie Abos für alles, die Josefstadt, das Burgtheater, die Staatsoper etc. Ein solches Publikum würde ich mir wieder wünschen. (Interview: Margarete Affenzeller, 24.11.2023)