Im Februar 2023 erhielt Suzie Cheikho die Kündigung, weil sie im Homeoffice nicht genügend tippte. Ihr Arbeitgeber, die Insurance Australia Group, für den die 38-jährige Frau aus Sydney 18 Jahre tätig gewesen war, hatte auf ihrem Firmenlaptop einen sogenannten Keylogger installiert, eine Software, die Tastatureingaben protokolliert.

Blick von der Decke auf eine Frau, die an einem kleinen Tisch inmitten einer vollgeräumten Küche sitzt
Büroarbeit im trauten Heim? Überwachung via Software ist kein Kunststück
dpa/Kahnert

Der Chef kann so in Echtzeit nachverfolgen, was man in Mails schreibt oder ob man während der Arbeitszeit im Internet surft. Die Auswertung der Daten stellte der Angestellten ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: An 47 der überwachten 49 Arbeitstage loggte sie sich zu spät ein, an 29 Tagen machte sie früher Schluss, und an vier Tagen arbeitete sie gar nicht. Sie verpasste Meetings, war häufig nicht erreichbar und erledigte ihre Aufgaben nicht. Lediglich 54 Tastaturanschläge schaffte sie durchschnittlich pro Stunde, was nicht einmal zwei Zeitungszeilen entspricht. Im November 2022 hatte die Frau bereits eine Abmahnung erhalten, doch nachdem sich ihre Arbeitsmoral nicht besserte, zogen die Vorgesetzten die Reißleine und kündigten ihr.

Cheiko erhob gegen die aus ihrer Sicht "unfaire" Kündigung bei der Fair Work Commission Beschwerde – das Arbeitsgericht lehnte diese jedoch ab. Begründung: Es liege "ein triftiger Entlassungsgrund" vor. In Deutschland oder Österreich hätte die Frau vermutlich recht bekommen, denn nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2017 ist der Einsatz eines Keyloggers nicht erlaubt, "wenn kein auf den Arbeitnehmer bezogener, durch konkrete Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat oder anderen schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht". Dies wäre im vorliegenden Fall wohl zu verneinen.

Trotzdem werden immer mehr Mitarbeiter von ihren Arbeitgebern überwacht. Spähsoftware, die in regelmäßigen Abständen Screenshots der Benutzeroberflächen macht, gibt Vorgesetzten detaillierte Einblicke in die Arbeit ihrer Mitarbeiter im Homeoffice – so, als würde man einfach mal ins Büro kommen und auf den Bildschirm schauen.

Wie ist deine Laune?

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Computerprogrammen, mit denen sich nicht nur Tastatureingaben, sondern auch Emotionen oder Stimmen analysieren lassen. Ist der Mitarbeiter heiser, weil er krank ist oder am Vorabend zu viel getrunken hat? Ist er gereizt, weil er aggressiv in die Kamera schaut und die Stimme hebt? In der Corona-Pandemie, als eine Videokonferenz die nächste jagte, erlebte die biometrische Überwachung einen Boom.

Doch bei aller Aufregung um die Schnüffelei am Arbeitsplatz: Mitarbeiterüberwachung ist kein neues Phänomen. Bereits in der frühen Bronzezeit vor gut 5.000 Jahren wurden Arbeiter einer Kupfermine von einem Beobachtungsturm aus kontrolliert, wie Ausgrabungen von Archäologen in der Judäischen Wüste in Israel belegen. Im Jahr 1750 protokollierten Plantagenbesitzer auf Jamaika und Barbados jeden Arbeitsschritt ihrer Sklaven, um die Produktivität zu steigern. Henry Ford ließ mit seinem "Sociological Department" sogar Kontrolleure ausrücken, um das Privatleben seiner Arbeiter auszuleuchten: Die Inspektoren führten unangekündigte Hausbesuche durch, um die Hygienebedingungen und das Konsumverhalten zu überprüfen. Messies und Alkoholiker wollte der Disziplinfanatiker nicht in seinen Autowerken haben. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Kamera schaut zu

Heute haben Arbeitgeber ganz andere technische Möglichkeiten, ihr latentes Misstrauen gegenüber Angestellten zu bekämpfen. Als mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie Millionen Menschen ins Homeoffice geschickt wurden, wurden Mitarbeiter eines Callcenter-Dienstleisters daheim von Webcams überwacht, um zu prüfen, ob sie gerade essen oder auf ihr Smartphone schauen. Die britische Bank Barclays ließ vor Jahren Bewegungsmelder unter Bürotischen installieren, um zu prüfen, ob jemand gerade an seinem Platz ist.

Gegenüber den Kontrollregimes der Plattformökonomie ist das aber Lowtech: So hat Amazon KI-gestützte Kameras in seinen Lieferwägen in den USA installiert, um die Aufmerksamkeit der Fahrer zu kontrollieren. Die Kamera mit vier Linsen filmt den laufenden Verkehr sowie den Innenraum und stellt mithilfe einer Gesichtserkennungssoftware fest, ob der Fahrer gähnt und übermüdet ist. Erst vor wenigen Monaten waren Livemitschnitte im Online-Forum Reddit geleakt worden, was eine Diskussion über Datenschutz auslöste. Der Fahrdienstleister Uber zapfte sogar heimlich die Bewegungssensoren von Handys seiner Fahrer an, um zu überprüfen, ob sie zu schnell beschleunigen oder bremsen.

Kontrolle macht Stress, macht krank

Dabei ist die Überwachungstechnik der Produktivität nicht unbedingt zuträglich. So belegen Studien, dass sich Überwachung negativ auf die mentale Gesundheit und das Arbeitsklima auswirkt. Mitarbeiter, die wissen, dass sie überwacht werden, haben ein höheres Stresslevel und machen mehr Fehler. In Amazons Logistikzentren, wo die Sortierer von Algorithmen auf Geschwindigkeit getrimmt werden und teilweise in Flaschen urinieren müssen, weil es keine Zeit für reguläre Toilettenpausen gibt, führen der permanente Leistungsdruck und Dauerstress zu einem höheren Verletzungsrisiko. Experten befürchten, dass die Daten, die Unternehmen mit digitalen Überwachungstechnologien sammeln, dazu genutzt werden könnten, KI-Systeme zu trainieren, die den Menschen einst ersetzen. Suzie Cheikho ist jetzt übrigens Influencerin – auf Tiktok gibt sie Karriere- und Motivationstipps. (Adrian Lobe, 11.12.2023)