Im Dezember 2022 legte Österreich sein Veto gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens ein, das bis heute aufrecht ist. Argumentiert wird dies vorrangig mit systemischen Problemen des Schengen-Raums. "Ein kaputtes System kann nicht erweitert werden", erklärte Europaministerin Karoline Edtstadler. Außenminister Alexander Schallenberg sprach von einem "Hilferuf" angesichts 100.000 Asylwerbender im Jahr 2022, von denen die meisten jedoch über andere Routen nach Österreich gelangten.

Vetos sind in der EU-Politik unüblich. In den letzten Jahren sind vor allem illiberale Regierungen wie die Ungarns und Polens damit aufgefallen. Das Funktionieren des EU-Entscheidungsprozesses hängt wesentlich davon ab, dass Mitgliedsstaaten sich einem abzeichnenden Konsens anschließen, auch wenn ihre Bedenken nicht völlig ausgeräumt sind.

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Österreich verhindert bis dato den Schengen-Beitritt von Rumänien wie auch Bulgarien – sehr zum Ärger dieser Länder.
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Im konkreten Fall unterstützten fast alle Länder, einschließlich des mit hohen Ankunftszahlen konfrontierten Deutschland, die Schengen-Erweiterung. Die Kommission bestätigte wiederholt, dass beide Länder alle Bedingungen für den Beitritt erfüllen.

Großer Schaden

Das österreichische Veto wurde vor allem in Rumänien als große Ungerechtigkeit empfunden und hatte Boykottdrohungen und die Ankündigung von Klagen vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Folge. Angesichts höherer Transportkosten und beträchtlicher Wettbewerbsnachteile beläuft sich der wirtschaftliche Schaden für Rumänien auf mehrere Milliarden Euro. Empfindliche Nachteile haben auch zahlreiche rumänische Migrantinnen und Migranten, die in Österreich vor allem in systemerhaltenden Berufen, darunter der Pflege und der Erntearbeit, tätig sind.

Ein Jahr nach der Abstimmung legen entscheidende Punkte eine Rücknahme des Vetos nahe:

· Erstens ist die Zahl der Asylanträge in Österreich gegenüber dem Vorjahr stark zurückgegangen. Im ersten Halbjahr haben nach Angaben des Innenministeriums sogar mehr Antragsteller das Land verlassen, als hinzugekommen sind. Europaweit lassen sich zwar steigende Ankunftszahlen beobachten. Doch hat sich das Migrationsgeschehen von den Balkanrouten auf die zentrale Mittelmeerroute verlagert, wie die Situation auf der italienischen Insel Lampedusa verdeutlicht.

· Zweitens gelang bei den Verhandlungen über die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems im Juni 2023 ein Beschluss, der auch von Österreich als großer Fortschritt begrüßt wurde. Das neue System wird wesentlich restriktiver gestaltet sein. Es sieht unter anderem beschleunigte Verfahren an den Außengrenzen für jene Asylwerbenden vor, die wenig Aussichten auf Anerkennung haben.

· Drittens gibt es auch bei einer Reihe von Mitgliedsstaaten nationalstaatliche Bestrebungen, irreguläre Migration stark einzuschränken. Dabei wurden etwa beim jüngsten Migrationsgipfel in Berlin Abkommen mit Drittstaaten und die Erleichterung von Rückführungen angedacht, was der österreichischen Linie entspricht.

· Viertens attestiert die EU-Kommission in ihrem jüngsten Bericht der rumänischen Regierung, maßgebliche Schritte gegen das Schlepperwesen unternommen zu haben, und begrüßt die Änderung der Asylgesetze in Richtung effizienterer Asyl- und Rückführungsverfahren. Die Zusammenarbeit mit serbischen Behörden an der Außengrenze sei im Rahmen eines Pilotprojekts gestärkt worden, ebenso wie die Kooperation mit der Asylagentur EUAA, mit Europol und der Grenzschutzagentur Frontex. Rumänien wird damit zum Vorreiter in der Migrationskontrolle.

Nicht geändert hat sich dagegen die Bedeutung der Wirtschaftsbeziehungen Österreichs mit Rumänien. Österreich gilt als der zweitgrößte ausländische Investor, mit etwa 7000 Betrieben und 100.000 Beschäftigten. Die wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus dem österreichischen Veto für Rumänien ergeben, schlagen daher auch auf die heimische Wirtschaft zurück. Umgekehrt würden die beträchtlichen Wachstumsimpulse, die sich aus dem Schengen-Beitritt für Rumänien ergeben, auch österreichischen Unternehmen zugutekommen. Selbst die Auswirkungen auf CO2-Emissionen, weil stundenlang laufende Motoren an den Grenzen wegfielen, wären positiv.

Großer Nutzen

Zuletzt sei auf den energiepolitischen Nutzen einer Schengen-Erweiterung hingewiesen. Am rumänischen Neptun-Deep-Projekt, das ab dem Jahr 2027 etwa zehn Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr für den mitteleuropäischen Raum produzieren soll, ist bekanntlich auch die OMV beteiligt. Gemeinsam mit der Möglichkeit des günstigen Gaserwerbs über die Turkstream-Pipeline in Bulgarien stellt es einen wertvollen Beitrag zur Sicherstellung der Energieversorgung und der Unabhängigkeit Europas von russischem Gas dar. Glaubt man jedoch Berichten der Financial Times, könnte Österreichs anhaltendes Veto die Umsetzung von Neptun gefährden. Angesichts der Ankündigung der Ukraine, ab 2025 keinen russischen Gastransit mehr zulassen zu wollen, könnte dies die Versorgungssicherheit Österreichs infrage stellen.

Nimmt man alle diese Faktoren zusammen, so wird eine nüchterne Interessenabwägung wohl zu dem Ergebnis kommen, dass Österreich eine baldige Schengen-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien begrüßen muss. (Judith Kohlenberger, Stefan Lehne, 26.11.2023)