Machtpolitik ohne Prinzipien - dafür steht der ehemalige Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).
Heribert Corn

Was wir jetzt als eine nicht abreißende Kette von Skandalen und Korruption erleben, hat größtenteils seinen Ursprung in der Politikauffassung von Sebastian Kurz. Die Postenschiebereien, die gefakten Umfragen mit Steuergeld, die "Hure der Reichen"-Aktionen bis hin zur Hilfestellung für René Benko, die Versuche, eine ermittelnde Staatsanwaltschaft zuerst als "rotes Netzwerk" zu denunzieren, dann auf die Justiz Einfluss zu nehmen. Das entspricht dem System Kurz: Machtpolitik ohne Prinzipien mit einer autoritären Grundnote.

Die Ent-Kurzung der ÖVP ist daher dringend notwendig. Für die Partei, aber auch für das Land. Eine stabile Demokratie braucht eine solide, größere konservative Partei (und eine solide, größere "linke" Partei). Sonst droht der Sieg des extremen Rechtspopulismus wie in Ungarn, Italien, der Slowakei, jetzt den Niederlanden.

Staatsgefährdung

Ja, Kurz war ein politisches Talent. Aber er hat sein Talent missbraucht. Seither versucht die ÖVP, das zu vertuschen. Wolfgang Sobotka hat schon als Innenminister geholfen, die Regierung Mitterlehner-Kern zu sprengen und den Weg für Kurz zu bereiten.

Was sich jetzt im Fall Pilnacek abspielt, ist staatsgefährdend. Wegen der generellen Verluderung der demokratischen Kultur sowieso, aber auch: Wenn die ÖVP so weitermacht, erbt Herbert Kickl alles. Dann können wir uns echt auf was gefasst machen.

Die ÖVP ist eine Gründerpartei der Zweiten Republik. Leopold Figl und Julius Raab organisierten (gemeinsam mit der SPÖ) den Wiederaufbau. Alois Mock war (mit Franz Vranitzky) ein wesentlicher Treiber des EU-Beitritts. Erhard Busek zeigte in Wien, dass man mit neuen Ideen ("bunte Vögel") als ÖVP in Wien 34 Prozent bekommen kann, und er war ein Bahnbrecher im kommunistischen Osteuropa. Maria Schaumayer war die erste Präsidentin einer Notenbank weltweit.

Gewiss: Die ÖVP war immer wieder gestrig, muffig, von Spezialinteressen abhängig. Aber in ihr hatte auch ein progressiver Katholizismus Platz. In Wirtschaftsfragen war sie solide. Der legendäre Wirtschaftskammerchef Rudolf Sallinger pflegte mit dem ÖGB-Chef Anton Benya die Sozialpartnerschaft.

Gewiss, die Sozialpartnerschaft war zuletzt erstarrt. Wolfgang Schüssel wollte aus ihr ausbrechen und verbündete sich mit dem Scharlatan Jörg Haider. Aber wenn traditionelle Christdemokraten (oder Sozialdemokraten) sich mit einer NS-Nachfolgepartei einlassen, geht das immer schief: 1983–1986, 2000–2006, 2017–2019. Sebastian Kurz wollte das nicht glauben.

Irrweg Kurz

Die Nehammer-ÖVP konnte sich bisher nicht wirklich von Kurz lösen. Ob das vor der Wahl vollständig gelingen kann, ist sehr die Frage. Aber man (Karl Nehammer oder jemand anderer) müsste jetzt damit anfangen. Die verzweifelten Vertuschungsversuche ("Sobotka hat mein Vertrauen") wirken nur noch hilflos. Aber das Letzte, was Österreich in der jetzigen Situation braucht, sind hilflose "staatstragende" Konservative. Viele meinen, die Volkspartei müsste weg von der Bundesregierung.

Kann man so sehen, aber wenn sich die Alternative (Rot-Grün-Pink) nicht ausgeht? Das Allerletzte, was Österreich jetzt braucht, ist eine Neuauflage einer ÖVP-FPÖ-Koalition. Um eine halbwegs tragfähige Dreierkoalition aus ÖVP, SPÖ, vorzugsweise Neos oder auch den Grünen zu bilden, muss die ÖVP zeigen, dass sie sich vom Irrweg Kurz lösen kann (vor allem personell). Sie hat die Verantwortung. (Hans Rauscher, 24.11.2023)