Christian Pilnacek beklagt sich in einem heimlich aufgenommenen Gespräch über Interventionsversuche der ÖVP.
APA/HELMUT FOHRINGER

Eine ebenso heikle wie brisante Tonaufnahme ist am Dienstag bekannt geworden. Zu hören ist darauf der am 20. Oktober verstorbene frühere Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, der sich dabei über Interventionsversuche und mangelnde Unterstützung durch die ÖVP beklagt. Aufgenommen wurde das Gespräch ohne Wissen des Spitzenbeamten am Abend des 28. Juli in einem Wiener Innenstadtlokal. Dem STANDARD liegt ein Ausschnitt der Aufnahme vor.

Zwei Personen waren bei diesem Gespräch mit Pilnacek dem Vernehmen nach anwesend, eine dritte soll später dazugestoßen sein. Im Gespräch berichtete Pilnacek, der bis 2020 die Aufsicht über alle Staatsanwaltschaften in Österreich ausgeübt hat, dass ÖVP-Politiker Dinge von ihm verlangt hätten, deren Umsetzung nicht möglich gewesen sei. So habe man von ihm gewollt, dass er die Einstellung von Ermittlungen verfüge. Ein ÖVP-Minister habe nach einer Hausdurchsuchung gewollt, dass er diese "abdrehe". Er selbst habe mitgeteilt, dass er das weder mache noch könne noch wolle.

Angriffe von der ÖVP

Explizit nannte Pilnacek Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der ihm sinngemäß vorgeworfen habe, dass er, Pilnacek, Verfahren nicht eingestellt habe. Das gehe nicht, habe er reagiert, man lebe in einem Rechtsstaat. Zudem beklagte er offensichtlich eine Mühle, in die er geraten sei: Manche Leute würden ihm vorwerfen, er würde Verfahren abdrehen, und in Wirklichkeit sei er von der ÖVP angegriffen worden, eben weil er nichts abgedreht habe.

Ein Sprecher des Nationalratspräsidenten lässt auf STANDARD-Anfrage wissen: Sobotka habe "niemals mit Christian Pilnacek zu laufenden Verfahren, Ermittlungen oder Sicherstellungsanordnungen gesprochen". Und: "Wenn ein erst kürzlich, unter tragischen Umständen, verstorbener Mensch nun in die Öffentlichkeit gezerrt werden soll, um politisches Kleingeld zu schlagen, dann werden wir uns an einem solch pietätlosen Akt nicht beteiligen." Das "rücksichtslose Instrumentalisieren eines Menschen, der sich heute nicht mehr erklären kann, ist ein absoluter Tiefpunkt der politischen Kultur in unserem Land".

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) soll Pilnacek vorgeworfen haben, dass er versagt habe, weil dieser Verfahren nicht eingestellt habe.
APA/ROLAND SCHLAGER

Die Interventionsversuche sollen schon seit Jahren laufen, erzählte Pilnacek. So habe die ÖVP schon in den frühen 2010er-Jahren versucht, über ihn das Telekom-Verfahren abdrehen zu lassen – auch das habe er nicht gemacht, mit dem Hinweis an die zuständige Ministerin, dass das rechtswidrig wäre.

Loyalität als Beamter

In der Aufnahme sagt Pilnacek, er habe mit Ministern aller Couleur gut zusammengearbeitet, was auch seinem Verständnis als Beamter entspreche. Als er im Ministerium begonnen habe, sei das Ressort von blauen oder von BZÖ-Politikern geleitet worden, da habe man ihn als Blauen und nicht vertrauenswürdig eingestuft. An dieser Stelle betonte Pilnacek sinngemäß seine Loyalität. Er sei Beamter, er müsse den jeweiligen Minister unterstützen.

Der Vorwurf, er habe Verfahren abgedreht, sei verschwörungstheoretisch, sagte Pilnacek. Er verstehe die Haltung von Sozialisten und Neos nicht, weil er immer massiv von der ÖVP angegriffen worden sei. Von der dürfte er sich im Stich gelassen gefühlt haben. Als er einmal gefragt habe, was sie für seine Unterstützung tue, habe es geheißen, dass er nie bei der Partei gewesen sei und nie eine Hausdurchsuchung bei ihr verhindert habe. Die ÖVP könne froh sein, wenn er nicht auspacke.

ÖVP ortet "KGB-Methoden"

Video vom Pressestatement: ÖVP-Generalsekretär Stocker ortet in Tonbandaufnahmen "KGB-Methoden"
APA/bes

Am Abend trat schließlich ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz im Parlament vor Medienvertreterinnen und -vertreter. Dort wiederholte er beinahe wortgleich, was er bereits zuvor in einer Aussendung wissen hat lassen. "Der Wahlkampf wirft bereits seine Schatten voraus", sagte er. Mit der Tonbandaufnahme werde "nun sogar das Andenken an einen Toten missbraucht und instrumentalisiert". Stocker sei "offen gestanden sprachlos, dass seine Person nun dafür herhalten muss, politisches Kleingeld zu schlagen und die Skandalisierungskampagne der SPÖ und FPÖ voranzutreiben".

Die Hintergründe zu "diesem Tonband und den Methoden, die an den russischen Geheimdienst erinnern", müssten aufgeklärt werden", forderte Stocker. "Wer es aufgezeichnet hat, was das Motiv ist, wer hinter diesen KGB-Methoden steckt." Die Verantwortlichen vermutet Stocker jedenfalls in der Opposition: "Von wo kommt's denn her, wenn nicht von der Opposition?", fragte er. Mit dem Inhalt des Tonbandes wolle sich dieser hingegen nicht beschäftigen, weil dieser "unter dubiosen Umständen" erstellt worden sei.

Außerdem betonte der Generalsekretär der Volkspartei bei der Pressekonferenz, dass für ihn "maßgeblich" sei, "was Pilnacek unter Wahrheitspflicht im U-Ausschuss ausgesagt hat". Dort habe er Gegenteiliges gesagt, als bei dem heimlich aufgezeichneten Gespräch. So habe Pilnacek 2020 auf die Frage, ob es irgendjemanden gegeben habe, der ihn jemals darauf angesprochen habe, ein Auge auf ein Verfahren zu werfen, mit "nein" geantwortet. Im Jahr 2022 habe Pilnacek auf die Frage, ob es konkrete Behinderungen der Ermittlungen gegeben habe, geantwortet, "wenn Sie mich über konkrete Behinderungen fragen: nein", außerdem habe er, "wo ich die Fachaufsicht hatte, keine Wahrnehmungen über politische Beeinflussungen" gehabt.

Auf Journalisten-Nachfrage stellte Stocker außerdem klar, dass die ÖVP hinter Nationalratspräsident Sobotka stehe, dieser "die Vorwürfe zurückgewiesen" habe und ein Rücktritt für ihn nicht im Raum steht.

ZIB 2: ÖVP-Generalsekretär Stocker zu Pilnacek-Vorwürfen
ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker nahm am Dienstagabend auch in der "ZIB 2" zu den Tonbandaufnahmen und den damit verbundenen Vorwürfen gegen die ÖVP Stellung.
ORF

Der grüne Koalitionspartner reagierte in einer schriftlichen Stellungnahme äußerst vorsichtig, in keinem Wort wird die ÖVP erwähnt. "Was das Tonband wieder einmal aufbringt ist, dass es früher offensichtlich ein Problem gegeben hat. Dass es immer wieder Versuche gegeben hat, dass man Einfluss auf die Justiz nimmt", meinte Generalsekretärin Olga Voglauer. "Das ist nichts Neues." Aber: "Allein der Eindruck, dass das so gewesen sein könnte, ist Gift für eine Demokratie", sagte Voglauer.

Die Frage "nach der Personalie Sobotka" hätten die Grünen bereits vor einiger Zeit und beim Aufkommen verschiedenster Skandale rund um dessen Person beantwortet, meinte die grüne Generalsekretärin außerdem. "Ich an seiner Stelle, und das haben in der Vergangenheit bereits verschiedene hochrangige Grüne gesagt, hätte sogar früher, schon längst den Hut genommen. Um das Ansehen dieses hohen Amtes zu schützen."

Rufe nach Sobotkas Rücktritt

Für SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer sind die Inhalte auf dem Tonband "schockierend, aber leider nicht überraschend", sagte er in einer Aussendung. Sie würden "bestätigen, was wir in zwei Untersuchungsausschüssen über den organisierten Machtmissbrauch des Systems ÖVP erfahren haben. Diese ÖVP ist immer noch die Kurz-ÖVP", meinte Krainer, der im Ibiza- und ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss Fraktionsführer seiner Partei war. Dem Nationalratspräsidenten legte der SPÖ-Mandatar den Rücktritt nahe: "Wenn Sobotka noch einen Funken politischer Verantwortung in sich verspürt, weiß er, was er zu tun hat."

Ähnlich sieht das Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos. In Pilnaceks Aussagen sei "von Machtmissbrauch, Druck und versuchter Einflussnahme auf die unabhängige Justiz, durch 'die ÖVP' als Ganzes und namentlich durch den zweithöchsten Mann im Staat" die Rede. "Wer dem Hohen Haus der Demokratie vorsteht, muss über jeden Verdacht erhaben sein", sagte Hoyos in einer Aussendung. Außerdem habe die ÖVP nun die Pflicht, die Angelegenheit "rasch und lückenlos" aufzuklären.

Freispruch und Einstellungen

Pilnacek war jahrzehntelang der wichtigste Beamte im Justizministerium. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere hatte er die sogenannte Supersektion inne, die aus der Aufsicht über die Ermittlungen und der Legistik bestand. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) trennte die Sektion auf: Offiziell begründete sie das mit einer "inneren Gewaltenteilung", hinter den Kulissen spielte aber bereits der Konflikt zwischen Pilnacek und der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), die ihm Interventionen vorwarf, eine Rolle.

Im Frühjahr 2021 wurde Pilnacek dann wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs suspendiert, außerdem wurde sein Handy sichergestellt und ausgewertet. Daraufhin wurde eine Reihe von Strafverfahren durch die Staatsanwaltschaft (StA) Innsbruck eingeleitet. Ein Delikt wurde angeklagt, Pilnacek wurde rechtskräftig freigesprochen. Drei Verfahren liefen noch, als der Sektionschef im Oktober 2023 plötzlich verstarb. Die Ermittlungen wurden daher eingestellt, wie die Staatsanwaltschaft Innsbruck erklärt. (Renate Graber, Fabian Schmid, Sandra Schieder, 21.11.2023)