Aktivisten kleben auf der Straße
Festkleben, wo keine Entscheidungen getroffen werden: So interpretiert die Letzte Generation ihren Protest vor dem Parlament. Der Frust der Aktivistinnen ist groß, Klebeaktionen werden langweilig für alle Beteiligten.
APA/georg hochmuth

Irgendwann steigt der Fahrer des schwarzen Kleinwagens einfach aufs Gaspedal. Er ist aggressiv, das wird auf dem Video später noch deutlich. Vor ihm sitzt ein junger Mann im Schneidersitz auf der eiskalten A2 und blockiert die Fahrbahn. "Bitte", schreit der Klimaaktivist und wirft sich einen Meter nach hinten. Immerhin hatte er sich nicht an den Asphalt geklebt. Der Autofahrer fährt noch ein paar Zentimeter auf ihn zu. Durch. Jetzt.

Der Sitzende wirft die Hände auf die Kühlerhaube, als könnte er den Wagen damit aufhalten. "Bitte nicht!", brüllt der Klimakleber, wie die Aktivisten der Letzten Generation inzwischen genannt werden. Es ist unklar, ob er um sein Leben fleht oder für die Sache. Vielleicht beides. Der Autofahrer steigt aus, schreit ihn an, schubst ihn zur Seite, schubst ihn noch einmal, steigt ein, Gas und weg.

Attacken gegen Aktivisten

Auch andere Autofahrer sind bereits ausgestiegen. Ein Mann schüttet anderen jungen Aktivisten Wasser über den Kopf. Etwas später zerren Autofahrer sie von der Fahrbahn und halten sie dort fest. Am Montag sind die Hemmungen auf der Südautobahn kollektiv gefallen. "Wir verstehen, dass Sie wütend sind", ruft der Aktivist, der davor fast angefahren wurde, einer Autofahrerin zu. "Aber was sollen wir sonst machen?"

Was sollen sie sonst machen? Da fielen vielen Menschen viele Dinge ein. Für die Mitglieder der Letzten Generation ist der Protest hingegen alternativlos. Für sie geht es um alles, das Überleben. Für ihre Gegner geht es um ähnlich viel: die alltägliche Lebensbewältigung. Es ist Zukunft gegen Gegenwart.

Radikal erfolgreich

Ein Team des Fernsehsenders Puls 24 filmt eine Mutter, die an diesem Morgen ebenfalls fleht – ums Weiterfahren. Sie ist nicht aggressiv, sie ist verzweifelt. "Bitte lassen Sie uns durch", ruft sie den Aktivisten zu, schluchzend. Sie will ihren Sohn rechtzeitig zur Schullandwoche bringen. "Es ist so wichtig für ihn", sagt sie. Sie wird nicht durchgelassen. Das Video wird in sozialen Medien vielfach geteilt – quasi als Beleg für den herzlosen Klimaterror.

Dabei ist die Klimabewegung längst vor allem eines: radikal erfolgreich. Im Jahr 2019 war der absolute Klima-Peak. Zu dieser Zeit hielt fast ein Drittel der Österreicherinnen und Österreicher "Klima" für eines der beiden wichtigsten Themen überhaupt. Das zeigt die Umfragereihe Eurobarometer. Seither hat die Bedeutung von Klimafragen zwar etwas abgenommen, sie sind aus dem öffentlichen Diskurs jedoch kaum noch wegzudenken. Mit den Grünen sitzt jene Partei mit dem klarsten klimapolitischen Profil seit vier Jahren in der Regierung. Nischen sehen anders aus.

"Die Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher hat ein Problembewusstsein zum Thema Klimawandel entwickelt", sagt auch der Politikwissenschafter Laurenz Ennser-Jedenastik von der Universität Wien. Man könnte sagen: Es läuft für die Klimabewegung. Wären da nicht die vielen Abers.

Das Greta-Problem

Am Freitag wurde bekannt, dass die bekannte Klimaaktivistin Anja Windl, die vom Boulevard "Klima-Shakira" getauft wurde, in Verwahrungshaft genommen wurde. Zwar wurde sie noch vor dem Wochenende enthaftet, vorgeworfen wird ihr aber eine Straftat: schwere Sachbeschädigung. Bei den Protestaktionen am Montag und Dienstag betonierten sich die Aktivisten mit einer speziellen Mischung aus Quarzsand und Sekundenkleber an der A2, aber auch an anderen Straßen und und in der Innenstadt fest. Es handle sich um kritische Infrastruktur, sagt die Staatsanwaltschaft. Ein Krankenhaus konnte nicht von Rettungswagen angefahren werden. Außerdem seien die Fahrbahnen schwer beschädigt worden. Bei Windl bestehe Tatbegehungsgefahr. Einsichtig war sie bisher nie.

Ein weiteres Problem heißt Greta. Die Klimaaktivistin Greta Thunberg ist die derzeit bekannteste Aktivistin der Welt. Sie wurde für den Friedensnobelpreis gehandelt, sie hat hunderttausende junge Menschen geprägt, motiviert, aktiviert. Sie wurde gefeiert wie ein Star. Bis die Ikone fiel. Vor zwei Wochen ging ein Video um die Welt, in dem sie bei einer Veranstaltung in Amsterdam zu sehen ist. Thunberg steht auf einer Bühne und erklärt, die Klimaschutzbewegung habe die Pflicht, "auf die Stimmen jener zu hören, die unterdrückt sind und die für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen". Sie meint die Palästinenser. Danach spricht eine andere Aktivistin unwidersprochen von "Völkermord". Und das ausgerechnet als Reaktion auf den mörderischen Anschlag der Hamas auf israelische Zivilisten.

Klimaaktivistin Greta Thunberg zu Besuch in London.
REUTERS/HANNAH MCKAY

Untragbar

Der Auftritt hat die Klimabewegung in zwei Teile gespalten. In Österreich und Deutschland ist die Sache für Aktivistinnen recht klar: Antisemitismus geht gar nicht, Thunberg ist untragbar geworden.

So sehen das auch Klara König, Laila Kriechbaum und Daniel Shams. Sie sprechen für Fridays for Future Österreich, den heimischen Ableger jener Graswurzelorganisation, die einst von Thunberg ins Leben gerufen wurde. Während sich die Letzte Generation an der Südautobahn festklebt, sitzen die drei in einem geborgten Büroraum der ÖH in Wien-Wieden und argumentieren für Kooperation. Sie wählen ihre Worte mit Bedacht, überlegen, für welche Standpunkte es einen Beschluss der Basis gibt. "Wir sehen mit Traurigkeit und Erschütterung, wie sie sich verläuft", sagt Kriechbaum über Thunberg. Sie ist 20 Jahre alt und seit viereinhalb Jahren für Fridays for Future aktiv. Thunberg wurde vom Popstar zur Persona non grata.

Die Äußerungen Thunbergs zum Krieg im Nahen Osten haben der Bewegung geschadet, da sind sich hier alle einig. Kriechbaum betont, dass Fridays for Future Österreich mit anderen Länderorganisationen strukturell überhaupt nichts zu tun habe. Wirklich? Bloß der gleiche Name? "Wir haben vor der Pressekonferenz noch schnell bei Fridays Stockholm angerufen, ob das eh passt", witzelt Shams. Er meint damit: Ja-ha, wirklich gar nichts.

Neue Hoffnung

Die Pressekonferenz, die er anspricht, ist so ziemlich das Gegenteil einer Störaktion: Die Fridays beschreiten den Rechtsweg. Schon zum zweiten Mal. Sie unterstützen die Klimaklage einer Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die Klimaschutz auf Basis der Kinderrechte durchsetzen soll. Die erste Klimaklage war erfolglos. Die zweite gibt den Aktivisten nun Hoffnung, wieder aufzufallen.

Denn die Äußerungen Thunbergs haben die Scheinwerfer auf ein viel tiefer liegendes Problem der Bewegung geworfen: Sie hat in den vergangenen Wochen und Monaten an Präsenz verloren und Wirkungskraft eingebüßt. Im Herbst 2019 waren in Wien laut Organisatoren 80.000 Menschen mit Fridays for Future auf der Straße. Im September 2023 wurde nur noch ein Viertel der Teilnehmer von damals gezählt.

Klimaschutz, ja eh: Das Thema ist angekommen, aber zieht nicht mehr wie einst. Deshalb ändern Klimaaktivisten gerade ihre Strategien.

Demonstration
Bei einer Kundgebung in Wien zeigten Sympathisantinnen der Fridays For Future einmal mehr kreative Schilder.
APA/georg hochmuth

Pandemie als Bremse

Anna Deutschmann, Sozialwissenschafterin an der Universität Wien, beschäftigt sich seit langem intensiv mit der österreichischen Klimabewegung. "Den ersten Strich hat die Pandemie durch die Rechnung gemacht", sagt sie. "Dann sind noch diverse andere Krisen hinzugekommen, die dem Thema Aufmerksamkeit genommen haben." Andererseits sei festzuhalten: Bewegungen verändern sich. Das sei auch der natürliche Lauf der Dinge.

Klara König, eine der Fridays-Sprecherinnen, sieht die Entwicklung positiv: "Wir sind professioneller geworden", sagt sie. Gerade wird darüber spekuliert, ob Lena Schilling, das ehemalige Gesicht der Bewegung, für die Grünen bei der EU-Wahl antreten könnte.

Am vergangenen Wochenende haben sich die Fridays in Graz zum "Bundesplenum" getroffen und ihre strategische Ausrichtung diskutiert – basisdemokratisch, versteht sich. Die Beschlüsse setzen die kooperative – manche würden sagen: brave – Ausrichtung der Organisation fort. Wie Fridays for Future Deutschland soll auch in Österreich der nächste Schritt eine Zusammenarbeit mit ausgewählten Gewerkschaften sein.

Gleiches Ziel, andere Methode

Dass die Fridays von den Nerv-Aktionen der Letzten Generation wenig halten, das klingt im Gespräch nur zwischen den Zeilen durch. Die beiden Organisationen verfolgen das gleiche Ziel: auf die Wissenschaft hören, das 1,5-Grad-Ziel einhalten, endlich etwas tun. Von einem Konflikt untereinander hätten beide Organisationen nichts, auch wenn sie sich bei der Wahl der Methoden uneinig sind.

Die Letzte Generation setzt auf Eskalation. Sie legt sich knallhart mit der Regierung an – und wird von rechten Politikern im Umkehrschluss zu "Klimaterroristen" erklärt. Die Angriffe von politischer Seite tragen laut den Aktivistinnen zur Aggression der blockierten Autofahrer bei. Man würde zu Freiwild erklärt, heißt es. Seit Windl in Verwahrungshaft sitzt, sprechen die Aktivisten von "erhöhter Repression" durch die Behörden.

Wobei auch die Letzte Generation für "die Kleberei" keinen Enthusiasmus mehr verspürt. "Eigentlich sind solche Straßenproteste schon langweilig", sagt Marina Hagen-Canaval, Sprecherin der Organisation. Sie meint: sowohl für die Öffentlichkeit als auch für die Aktivistinnen selbst. Doch für neue Mitglieder sei die Protestform eine gute Schule, "um die Luft des zivilen Widerstands zu schnuppern". Zulauf habe die Organisation genug.

Strategiewechsel

Die Letzte Generation, erklärt Hagen-Canaval, stecke aber mitten in einem Strategiewechsel. Mittelfristig entwickle man immer neue Protestformen, "mit denen wir so wenige Menschen wie möglich nerven, aber trotzdem auf die Titelseiten kommen". Etwa mit der Blockade des Skiweltcups in Tirol. Dreimal pro Woche treffen sich die Protestorganisatoren, um ihre Strategien anzupassen, traditionelle und soziale Medien werden laufend überwacht, um die Reaktionen in der Bevölkerung einschätzen zu können.

Doch der Frust ist groß – nicht einmal simpel umzusetzende Minimalforderungen wie Tempo 100 auf der Autobahn wurden umgesetzt. "Wir wussten bei der Gründung: Die Chancen stehen fifty-fifty, dass die Regierung entweder einlenkt – oder dass sie zeigt, dass sie nicht in der Lage ist, die Klimakatastrophe zu bekämpfen", sagt Hagen-Canaval.

gesperrte Autobahn
Klimaaktivisten der Letzen Generation Österreich blockierten die Autobahn A2 in Richtung Wien.
IMAGO/Andreas Stroh

Zu viele, um sie einzusperren

Die Reaktion läuft nun über zwei Schienen. Einerseits sollen Menschen motiviert werden, ein Stück weit aus staatlichen Strukturen auszusteigen: Wenn sich kleine Communitys etwa selbst mit Lebensmitteln und Energie versorgen, hätten sie mit den "klima- und menschenfeindlichen" globalen Lieferketten weniger zu tun. Wenn der Staat nichts gegen die Krise tut, sollen sich die Menschen auf die Hinterbeine stellen.

Andererseits geht es der Letzten Generation um die schiere Größe: "Idealerweise sind 3,5 Prozent der Bevölkerung im zivilen Widerstand", sagt Hagen-Canaval, in Österreich wären das rund 200.000 Menschen. Das sei eine kritische Größe, wie Untersuchungen gezeigt hätten: "Dann haben sie einfach nicht genug Gefängniszellen, um uns einsperren, dann muss sich die Regierung wirklich damit auseinandersetzen, was wir wollen."

Bedingungsloser Einsatz

Was die Klimabewegung eint, ist der bedingungslose Einsatz für die Sache. Aktivistinnen und Aktivisten widmen dem Klimaschutz teils ihr gesamtes Leben. Schließlich geht es ihnen ums Überleben.

Dennoch bestreitet niemand von ihnen, dass es gerade schwierig ist. Prügelnde Autofahrer, eine Ikone, die sich disqualifiziert hat, Verachtung aus der Politik und eine entnervte Öffentlichkeit: Das sind nicht die Zutaten für eine erfolgreiche Klimarevolution.

Der Politikwissenschafter Ennser-Jedenastik hält die Klebeaktionen für aus der Zeit gefallen: "Das wäre vor 20 Jahren ein gutes Mittel gewesen, damit man um jeden Preis auffällt", sagt er. Heute sei das Thema Klima "angekommen". Umstritten sei nur, was getan werden müsse, welche Maßnahmen gesetzt werden sollten. "Die massiven Einschnitte, die nötig wären, um tatsächlich die Klimaziele zu erreichen, die will fast niemand hinnehmen." (Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt, 25.11.2023)