Von der italienischen Küstenwache gerettete Flüchtlinge und Migranten werden nach Lampedusa gebracht.
Von der italienischen Küstenwache gerettete Flüchtlinge und Migranten werden nach Lampedusa gebracht. Künftig sollen sie in Albanien landen, doch dieser Plan wird scharf kritisiert.
REUTERS/YARA NARDI

Die Vereinbarung wurde im Geheimen ausgetüftelt. Am 6. November traten dann der albanische Premier Edi Rama und seine italienische Amtskollegin Giorgia Meloni vor die überraschte Presse und kündigten zwei italienische Migrationszentren an der albanischen Küste an. Bis zu 3000 Migranten, die eigentlich nach Italien wollen und auf dem Meer aufgegriffen werden, sollen demnach von den italienischen Behörden nach Albanien verschifft und in die Zentren gebracht werden.

Dort sollen ihre Asylanträge von italienischen Beamten geprüft werden. Die Migranten dürfen die Lager auf albanischem Territorium nicht verlassen. Die Gesetze, die für dieses Vorhaben notwendig sind, wurden bereits ins Parlament in Tirana eingebracht. Doch weil viele Juristen meinen, dass die Migrationszentren verfassungswidrig seien, hat nun die stärkste Oppositionskraft, die Demokratische Partei, den Verfassungsgerichtshof aufgerufen, die Gesetze zu prüfen.

Der Verfassungsgerichtshof kann damit das gesamte Vorhaben stoppen. Der frühere Premier und die graue Eminenz der Demokratischen Partei, Sali Berisha, verkündete am Freitag, dass das Meloni-Rama-Abkommen vor die Verfassungsrichter komme, weil es sowohl gegen die Verfassung als auch gegen die Menschenrechte verstoße. Dieser Meinung ist auch der Verfassungsrechtsexperte und Dekan an der Universität Tirana, Jordan Daci. "Es ist verrückt, überhaupt über so etwas zu reden, geschweige denn so etwas im Parlament zu ratifizieren", sagt Daci zum STANDARD über die Meloni-Rama-Vereinbarung.

Staatliche Hoheitsrechte

Einer seiner Hauptkritikpunkte betrifft das Hoheitsrecht. Ein Staat darf nämlich keinem anderen Staat ein Territorium zur Verfügung stellen, und er darf auch nicht Exekutivvollmachten auf Beamte eines anderen Staates übertragen. Deshalb können etwa Frontex-Beamte im Auslandseinsatz keine exekutiven Aufgaben übernehmen, sondern nur beobachten. "In Albanien als Nato-Staat dürfen außer Albanern nur Nato-Angehörige exekutiv tätig werden", so Daci.

Zudem sei extraterritoriales Gebiet in Albanien ausschließlich für diplomatische Zwecke – also in Botschaften – oder für militärische Zwecke der Nato zulässig, erklärt er. Das geplante Migrationszentrum in Gjadër soll jedoch laut der italienisch-albanischen Vereinbarung nicht mehr als "Teil Albaniens betrachtet werden". "Laut der Verfassung darf Albanien aber keinen Zentimeter seines Territoriums einem anderen Staat übergeben", so Daci. "Das wäre auch eine Straftat."

Abgesehen davon ist Albanien durch die Menschenrechtskonvention für den Schutz der Migranten auf dem gesamten Territorium verantwortlich. Eine Freiheitseinschränkung oder Freiheitsberaubung von Migranten, die sich nichts zuschulden kommen ließen und die sich nicht in Schubhaft befinden, ist menschenrechtswidrig.

"Sie werden wie Gefangene behandelt"

Genau so eine Freiheitsberaubung ist aber in der Vereinbarung vorgesehen. Im fünften Punkt des sechsten Artikels der Vereinbarung zwischen Meloni und Rama heißt es: "Die zuständigen italienischen Behörden werden die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um den Aufenthalt der Migranten in den Zonen zu gewährleisten und ihnen sowohl während der Dauer des Verwaltungsverfahrens als auch am Ende keine unbefugte Ausreise in das restliche Hoheitsgebiet der Republik Albanien ermöglichen, was auch immer das Ergebnis des Verfahrens sein mag." Im Klartext: Die Migranten werden in den Lagern eingesperrt. "Sie werden wie Gefangene behandelt", kritisiert Daci.

Er verweist darauf, dass Albanien in jedem Fall rechtlich verantwortlich sei, egal was im Vertrag mit Italien stehe. "Der Staat Albanien kann sich dem nicht entziehen", so Daci. (Adelheid Wölfl, 26.11.2023)