Jil Sander
Jil Sander 2017 während der Eröffnung ihrer Einzelausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main.
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Hamburg - Sie revolutionierte mit ihrem Purismus die Frauenmode. Die 1943 nahe Wesselburen in Schleswig-Holstein als Heidemarie Jiline Sander geborene Designerin prägte mit minimalistisch und bequem geschnittenen, von Männerkleidung beeinflussten Blazern, Hemden und Hosen in bester Qualität den Stil moderner, um Unabhängigkeit ringender Frauen in Europa und den USA. Zudem setzte die Deutsche Maßstäbe bei Kosmetikartikeln und Accessoires.

Die von ihr gegründete und nach ihr benannte Marke existiert und inspiriert bis heute. Obwohl das Unternehmen Jil Sander seit 2000 nicht mehr gehört, war sie noch fünf Jahre lang weiter für es tätig. Am 27. November feiert die diskrete Designerin mit Wohnsitzen bei Plön, in Hamburg, Berlin, Gstaad und auf Ibiza ihren 80. Geburtstag. Wo und wie sie das tun wird, ist nicht bekannt. Nur eines verriet sie der Deutschen Presse-Agentur: "Diesen Geburtstag vergesse ich ganz gerne und gehe auf Reisen."

Jil Sander und ihre Marke haben die Mode geprägt. Die Erfinderin des "Zwiebellooks", sei die international erfolgreichste deutsche Designerin, sagt Bisrat Negassi, Sammlungsleiterin Mode und Textil im Museum für Kunst & Gewerbe Hamburg. "Mit klaren Linien und unglaublich raffinierten Schnitten schuf sie eine intellektuelle Mode, die Understatement feiert und High End ist."

Die Hansestadt, in der Jil Sander nach zwei Jahren in Heide (Schleswig-Holstein) mit ihrer Mutter und deren zweitem Ehemann aufgewachsen war, war Keimzelle ihrer Karriere, die ihr 1996 den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, 2018 den Personality-Preis des German Design Award sowie den Titel "Queen of Less", deutsch "Königin des Weglassens", eingebracht hat. 2017 veranstaltete das Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt/Main die erste große Einzelausstellung des Jil-Sander-Werkes.

In die weite Welt hinaus

Doch erst einmal verließ Sander ihre norddeutsche Heimat. Sie studierte an der Staatlichen Ingenieurschule für Textilwesen in Krefeld (Nordrhein-Westfalen) und der University College Los Angeles (USA). Im Anschluss arbeitete sie in New York bei der Frauenzeitschrift "McCalls".

Nach zwei Jahren kehrte Jil Sander 1963 nach Hamburg zurück, wo sie für die Magazine "Constanze" und "Petra" als Moderedakteurin tätig war. Mit 24 Jahren verkaufte sie ihren VW-Käfer, um im aufstrebenden Stadtteil Pöseldorf eine schwarz lackierte Boutique eröffnen zu können. Neben Entwürfen Pariser Luxusdesigner wie Sonia Rykiel bot sie ab 1973 eigene Mode an. Sie setzte auf funktionales Understatement in zurückhaltenden Farben aus eigens entwickelten Hightech-Geweben, Wollstoffen, Kaschmir, Seide und Leinen. "Die inneren Qualitäten verstärken sich, wenn das Äußere stimmt", sagte sie stets dazu.

Sander sah sich dem Bauhaus verbunden. Damit wandte sie sich gegen den Zeitgeschmack in der Mode, der Buntes und Dekoratives bevorzugte. "Ich habe Jil Sander als besonders leidenschaftliche Designerin kennen und schätzen gelernt", befand ihre Hamburger Kollegin, die "Kaschmir-Königin" Iris von Arnim. Ihre Anfangsjahre meisterte Sander finanziell dank einer lukrativen Parfüm-Lizenz. Mit dem Kosmetikhersteller Beecham bot sie eine Duft- und Pflegeserie an – und bewarb diese mit eigenem Gesicht, was sie als Persönlichkeit bekannt machte. Damals kamen "Woman Pure" und "Men Pure" gleichzeitig auf den Markt.

Modeprofessorin in Wien

Bereits in den modisch exaltierten Achtzigerjahren präsentierte Sander ihre Kollektionen während der Mailänder Modewochen. Von 1983 bis 1985 war sie als Professorin an der Modeklasse an der Universität für angewandte Kunst Wien als Nachfolgerin von Karl Lagerfeld tätig. 1989 führte sie ihr Unternehmen an die Börse und leitete es als Vorstandsvorsitzende.

Weltweit entstanden Jil-Sander-Flagship- und Franchise-Stores – darunter auch in Tokio, Hongkong und Taipeh. In den Neunzigerjahren entwickelte sie eine Männerlinie, die bald 20 Prozent zum Konzernumsatz beitrug. Nach triumphalen Jahren ging die Hamburgerin 1999 mit der italienischen Prada-Gruppe ein Joint Venture ein. Zu einem späteren Zeitpunkt verkaufte sie ihre Aktienmehrheit an den Partner – für angeblich 275 Millionen Mark.

2003 übernahm sie erneut die Design-Verantwortung im Unternehmen ihres Namens, das unter der Führung von Prada rote Zahlen geschrieben hatte. Einmal mehr erzielte Sander Erfolge. Doch 2004 trennte sie sich wieder vom Prada-Chef Patrizio Bertelli, um 2012 ein letztes Mal das Design von Jil Sander zu übernehmen.

Auch diesmal erhielt Sander viel Anerkennung. Nur ein Jahr später kehrte die Hamburgerin der nach ihr benannten Marke voraussichtlich zum letzten Mal den Rücken, nach eigenen Angaben aus persönlichen Gründen. 2014 starb ihre Lebenspartnerin, Angelica "Dicky" Mommsen, mit 72 Jahren an Krebs. Mit ihr hatte Sander auch auf dem Gut Ruhleben bei Plön (Schleswig-Holstein) gelebt. Als Hobbys der Modedesignerin, die nie Schmuck getragen hat, gelten Gartengestaltung und das Sammeln von Gegenwartskunst. (APA, red, 27.11.2023)